Tag 1183: Virtuelle Falschmeldungen

von Heiko Gärtner
13.05.2017 14:59 Uhr

28.03.2017

Heute hatten wir eine sehr spannende Begegnung mit zwei jungen Informatikern, der uns einiges über ihre Arbeit erzählen konnten. Spannend war das Gespräch dabei vor allem aus zwei unterschiedlichen Perspektiven heraus, einmal aus unserer Sicht als Blogger und Web-Nomaden, die darauf angewiesen sind, dass ihre Internetprojekte bekannt und erfolgreich werden und einmal aus Sicht eines normalen Bürgers, der etwas darüber erfährt, wie unsere sogenannte “Informationsgesellschaft” aufgebaut ist. Die beiden jungen Männer stammten aus Paris und waren gerade dabei, eine Radtour nach Mount Saint Michelle zu machen. Als wir uns trafen waren sowohl wir als auch sie gerade bereit für ein Picknick und so kamen wir etwas ins Gespräch. Der ältere von beiden, nennen wir ihn Phill, war Programmierer, während sein jüngerer Begleiter Luk vor allem Suchmaschinenoptimierung und Sozial Marketing betrieb. Vor allem, was uns der zweite erzählte war äußerst interessant un ließ uns wieder einmal ein klein bisschen vom Glauben abfallen. Ein erfolgreiches Unternehmen zu sein bedeutet heute vor allem, eine gute Positionierung im Netz zu haben. Wer bei Google und Facebook unsichtbar ist, ist quasi vom Markt. Es sei denn natürlich, er verkauft selbstgestrickte Mützen an Leute im Altenheim. Doch selbst hier ist es fast unerlässlich eine Homepage zu haben. Ein falscher Eintrag bei Google-Maps, so dass die Menschen, die einen im Netz finden, an die falsche Adresse geführt werden, reicht manchmal aus um einem Unternehmen eine Kundeneinbuße zu verschaffen, die es an den Rand der Existenz bringt.

Dieses Spiel bedeutet auch, dass fast niemand mehr ohne einen eigenen Facebook, Twitter und Instagram Account auskommt. Und hier wurde es jetzt spannend, denn um als Unternehmen erfolgreich zu sein, reicht es nicht aus eine Präsenz im Netzt zu haben. Man muss auch beliebt sein. Oder zumindest beliebt wirken. Wenn eine große Firma eine Facebookseite mit fünf Fans hat, dann wirkt das eher lächerlich, als dass es hilft. Aus diesem Grund gibt es Spezialisten, die sich um die Aufwertung dieser Sozial-Media-Präsenzen kümmern. Methoden gibt es dafür einige und die einfachste und Effektivste von ihnen ist es, sich die “Likes” und “Follower” einfach zu kaufen. Dazu gibt es Firmen im Netz, die ihr Gel damit verdienen, dass sie überall auf der Welt Fake-Accounts anlegen, sie im Netz lebendig werden lassen und dann damit alles liken und jedem folgen, der eben dafür zahlt. So kann man als Unternehmen innerhalb von relativ kurzer Zeit einige 10.000 an Followern, Freunden und Fans gewinnen, durch die man weitaus beliebter wirkt, als man eigentlich ist. Bis zu diesem Punkt war aber alles noch im humanen Bereich. Es war eben wie überall sonst auch: Es gibt nichts reales, alles ist Fake und Fassade. Aber wenn dies bei unserem Geldsystem und den Informationen die wir von Ärzten, Lehrern, Nachrichten und Wissenschaftlern bekommen der Fall ist, wieso sollte es hier anders sein? Jeder versuchte eben so gut darzustehen wie möglich und da spielte es zunächst keine Rolle, ob es echt ist oder nur so wirkt. Weitaus spannender war jedoch, was Luk über Kollegen berichtete, die weitaus größere und einflussreichere Auftraggeber hatten. Denn wenn es möglich ist, eine Freundesliste bei Facebook zu fälschen, dann kann man auch alles andere fälschen, was mit diesem Bereich zu tun hat. Uns war schon klar, dass hier einiges möglich ist, aber nicht, wie weit die Möglichkeiten hier gehen.

Denn wenn man genügend Mittel und Gelder zur Verfügung hat, kann man mit Hilfe des Internets und der sozialen Medien hoch koordinierte Desinformationskampagnen starten. Das bedeutet im Klartext: Man überflutet die Welt mit Informationen aus tausend unterschiedlichen Quellen, die alle aufeinander abgestimmt sind und daher eine so hohe Glaubwürdigkeit besitzen, dass man mit ihnen komplette Ereignisse erzeugen kann, die es nie gab. Früher in den Zeitungen nannte man so etwas eine „Ente“. Das Käseblatt aus Hinterhugelhapfingen berichtete beispielsweise, dass demnächst ein großes Straßenfest stattfinden sollte, obwohl nie etwas in der Art geplant war. Heute macht man im Prinzip nichts anderes, nur dass alles ein paar Nummern größer geworden ist und es nicht mehr um Straßenfeste sondern um Großereignisse geht, die ganze Konzerne, Städte, Nationen oder sogar die Weltbevölkerung betreffen. Ich erinnerte mich daran, etwas ähnliches im bescheideneren Ausmaß bereits vor einigen Jahren einmal mit Zusammenhang mit der Umweltschutzbewegung in Deutschland gehört zu haben. Damals hatte ich einige Aktivisten kennengelernt, die Umweltkampagnen von großen gewissenlosen Firmen ins Leben riefen, indem sie die Illusion erzeugten, es gäbe sie bereits. Das Prinzip dahinter war ebenso einfach wie genial. Man sucht sich einen Konzern, der gerade dabei ist, die Umwelt zu zerstören und dem man deswegen eins auswischen will. Dann hackt man dessen Internetseite oder erstellt eine eigene, identische, die wirkt als wäre sie die originale und die man bei Google so nach oben ratet, dass sie die echte überbietet.

Und nun kommt der Clou: Man erfindet eine großangelegte Umweltschutzkampagne, die man auf allen Kanälen, über Facebook, Twitter, Instagram, Google+ und natürlich die gefakte oder gehackte Webseite im Namen der besagten Firma verbreitet. Zum Beispiel: „Die Firma Öl-Gigant2000 übernimmt Verantwortung für die Verschmutzung der Meere und startet eine großangelegte Kampagne um die durch Öltanker verschmutzten Strände zu reinigen.“ Man gibt Pressemeldungen heraus, versendet Newsletter, postet was das Zeug hält und sorgt dafür, dass binnen weniger Stunden die halbe Welt davon weiß. Dann kündigt man große Pressekonferenzen mit der Führungsetage des Konzerns an und lädt alle großen Medien dazu ein. Jetzt kommt der Moment der Entscheidung. Der betroffene Konzern kann nun natürlich dementieren und erklären, dass es sich bei all dem um einen großen Schwindel handelt. Doch er kann dies nun nicht mehr insgeheim tun, sondern muss es öffentlich machen, vor den Augen der halben Weltbevölkerung. Wenn er das tut, muss er dabei offen und ehrlich eingestehen, dass er nicht der gute ist. Alle Welt ist bereits begeistert und freut sich darüber, dass hier etwas getan wird. Um das richtig zu stellen muss etwas gesagt werden wie: „Es handelt sich um eine Fehlmeldung! Öl-Gigant2000 hat nicht vor und hatte auch nie vor, irgendetwas in dieser Richtung zu tun!“ Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass dies einen nicht unerheblichen Image-Schaden verursacht, die die Position der Firma am Markt durchaus schwächen könnte. Die andere Alternative ist, die Kampange anzunehmen und die Welt glauben zu lassen, dass es von Anfang an wirklich genau so geplant war. Nun steht man als die guten da, hat aber natürlich das Problem, dass man die Kampagne auch wirklich durchführen muss. Zumindest in einem gewissen Rahmen. Wichtig ist natürlich, dass die erfundene Kampagne so groß ist, dass sich der Aufwand lohnt und dass sie von außen tatsächlich überprüfbar ist. Wenn es dem Konzern gelingt, nur so zu tun, als würde er etwas machen, hat man als Aktivist nicht mehr erreicht, als das Image eines Unternehmens aufzupolieren, dem man eigentlich schaden wollte. Gleichzeitig darf es aber auch wiederum nicht zu groß und teuer sein, denn der Konzern wird sich immer für das kleinere Übel entscheiden. Stört ihn der Image-Verlust bei der Aufklärung der Falschinformationen weniger als die Kosten der tatsächlichen Kampagne, dann wird er sie kaum durchführen.

Dieses Beispiel ist natürlich noch immer relativ klein im Vergleich zu dem was möglich ist und was Luk uns erzählte ging noch einmal um ein vielfaches weiter. Denn in der Regel sind es keine studentischen Umweltaktivisten, die solche Kampagnen in Auftrag geben, sondern Regierungen, Lobiisten, die besagten Großkonzerne selbst, Verbrechersyndikate, Geheimdienste oder das Militär. Wer wie diese Gruppen nicht aufs Geld schauen muss, kann heute nahezu alles erschaffen. Ganz gleich ob es dabei um eine unliebsame Person geht, der man ein Verbrechen anhängen will, ob man ganze Städte durch erfundene Terroranschläge in Angst und Schrecken versetzen möchte, ob man Regierungen stürzen oder nie dagewesene Kriege anzetteln will. Man aktiviert tausende von Fake-Accounts überall auf der Welt, die zehntausende von Posts und Tweets senden, die sich alle beispielsweise auf einen Ebola-Ausbruch in New Orleans beziehen, um damit den Aktienkurs des Pharmaunternehmens in die Höhe zu treiben, das zufällig kurz zuvor einen Impfstoff dagegen entwickelt hat.

Man hackt sich in die Homepages der Onlinezeitungen um glaubwürdige Meldungen über einen Terroranschlag in London zu verbreiten und stimmt dies mit gefaketen Live-Berichten auf Twitter und Instagram ab um von dem Abzulenken, was in Paris oder Brüssel gerade wirklich passiert. Dank der Foto-, Film- und Informationstechnik erscheinen die erfundenen Ereignisse dabei so echt, dass am Ende niemand mehr weiß, ob nun etwas passiert ist oder nicht. Denn unsere Gesellschaft ist ein dynamisches System. Es reicht, wenn man eine erfundene Information hinein wirft, um danach echte Reaktionen zu bekommen, die zu weiteren realen Ereignissen führen. Am besten funktioniert es, wenn man dabei möglichst viel Angst erzeugt, denn diese verbreitet sich wie ein Lauffeuer. In kürzester Zeit entstehen Rauchschwaden, die alles vernebeln und durch die niemand mehr sagen kann, was eigentlich wirklich geschehen ist. Im Schutz dieses Chaos kann man dann ganz in Ruhe und vollkommen unbemerkt das tun, was man tun wollte. Was immer das auch sein mag.

Spruch des Tages: Traue keiner Fehlinformation, die du nicht selbst gefälscht hast.

Höhenmeter: 170 m Tagesetappe: 15 km Gesamtstrecke: 21.704,27 km Wetter: Sonnig und relativ warm Etappenziel: Gemeindesaal der Stadt, Auzouville-sur-Ry, Frankreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare