Das Sonnenvitamin

von Heiko Gärtner
28.01.2015 01:38 Uhr

Die Toskana gehört zweifelsfrei zu den schönsten Gegenden, durch die wir je gewandert sind. Es ist als wäre man mitten im Auenland und würde hinter der nächsten Hügelkuppe direkt mit einem barfüßigen Hobbit zusammenstoßen, der pfeifend seine Ziege spazieren führt. Saftig grüne Wiesen, unendliche Hügelketten, winzig kleine Dörfer, die so verschlafen wirken, als stammten sie aus dem Märchen von Dornröschen und ruhige, abgelegene Wanderwege, fern jeder Straße. So hatten wir uns das Wandern um die Welt vorgestellt, lange bevor wir zu unserer Reise aufgebrochen waren. Fast hatten wir schon vergessen, dass es solche Regionen überhaupt noch geben konnte.

Unsere Mittagspause machten wir auf einem Friedhof, da uns der heftige Wind hinter eine schützende Mauer trieb. Dann schlängelten wir uns weiter die grünen Pfade entlang und erreichten schließlich eine kleine Stadt namens Gambassi Terme. Es war der erste Ort auf der Via Francigena, an dem wir von der Pilgerherberge abgelehnt wurden, weil wir kein Geld hatten. Dafür bekamen wir einen Platz im Gemeindehaus, das leider kälter war als jeder Raum, den wir bislang hatten. Zum Mittagessen wurden wir ins Rote Kreuz eingeladen. Hier hatte sich die gesamte Dorfelite versammelt, um gemeinsam zu speisen, denn heute war der Feiertag des Schutzpatrons dieser Stadt. Die Menge an Menschen im Raum sorgte leider wieder für eine Lautstärke, gegen die ein startender Düsenjet harmlos gewesen wäre, aber dafür gab es All-You-Can-Eat Hähnchen, Lamm und Salatbüfett. Später am Nachmittag wird noch eine Prozession an unserem Pfarrhaus vorbeigeleitet werden. Ob wir uns dann jedoch wieder aus unseren Schlafsäcken lösen können, ist fraglich.

Während wir uns hier tief in unsere wärmenden Schlafsäcke verkrochen, fiel uns ein altes Thema wieder ein, über das wir schon lange etwas schreiben wollten. Und zwar über die Sonne, oder besser gesagt über die Kraft, die die Sonne für unsere Gesundheit hat.

Dass Vitamin-D für den menschlichen Körper und auch für unseren Geist keine unwichtige Rolle spielt, haben wir ja bereits beim Thema Sonnencreme schon einmal aufgegriffen. Doch jetzt haben wir noch einige Fakten herausgefunden, die wir euch auf keinen Fall vorenthalten wollen.

So ist Vitamin-D das einzige Vitamin, das wir nicht in erster Linie über unsere Nahrung, sondern über unsere Haut zu uns nehmen. Unser Körper produziert es selbst, wenn unsere Haut mit natürlicher UVB-Strahlung der Sonne in Kontakt kommt. Eigentlich sollten wir deshalb immer ausreichend damit versorgt sein, denn wenn es irgendetwas auf unserer Welt noch in ausreichender Menge und absolut kostenlos gibt, dann ist es Sonnenlicht. Doch faktisch ist das nicht der Fall. Im Gegenteil, ein zu niedriger Vitamin-D Gehalt im Blut ist in unserer Gesellschaft der am häufigsten gemessene Laborwert überhaupt. Es gibt also keine weiterverbreiteten Mangelerscheinungen als die von Vitamin-D. Nach Angaben des deutschen Ärzteblattes vom Januar 2012 haben 89 % aller deutschen Altersheiminsassen einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel. Zu niedrig bedeutet hierbei, dass der Wert unterhalb von 12 ng/ml liegt. Im Rest der Bevölkerung sieht es jedoch nicht viel besser aus. So zeigte eine Untersuchung der Techniker Krankenkasse, dass 91 % der Frauen und 82 % der Männer die offiziell angegebenen Optimalwerte von 20 ng/ml nicht erreichen.

Warum gerade ein Wert zwischen 12 und 20ng/ml als gesunder Normalwert gilt ist jedoch ebenfalls sehr fraglich, denn es gibt keine wirklichen wissenschaftlichen Belege dafür, dass dieser Wert ausreicht. Im Vergleich: Farmer in Puerto Rico, die sich täglich in der Sonne aufhalten haben einen Vitamin-D-Spiegel von rund 54ng/ml. Das ist mehr als das Doppelte. Rettungsschwimmer an den Touristenstränden der USA haben mit 65ng/ml sogar mehr als den dreifachen Wert. Dr. Reimund von Helden untersuchte die Vitamin-D Konzentration in verschiedenen Naturvölkern und fand dabei Werte zwischen 50 und 90ng/ml. Wenn wir also nicht von einem künstlich erschaffenen Richtwert der Pharmaindustrie sondern von dem natürlichen Normalwert von Menschen ausgehen, die im Einklang mit der Natur leben, dann sind unsere Werte mehr als nur bedenklich.

Doch wie kommt es, dass wir das Sonnenhormon fast nicht mehr in unserem Körper besitzen?

Wie bei so vielen anderen Problemen ist der Schlüssel auch hier in unserer Lebensweise begraben. Wir halten uns fast nicht mehr im Freien auf, verbringen den Großteil unserer Zeit in geschlossenen Räumen hinter UV-dichten Fenstern, hüllen uns von Kopf bis Fuß in Kleidung und schmieren die wenigen Stellen, die wirklich mal der Sonne ausgesetzt werden könnten, mit Sonnencreme zu. Und das vor allem deshalb, weil es entweder wie hier gerade schweinekalt ist, oder weil wir durch die Panikmache Angst vor zu hoher Sonnenstrahlung haben.

Was aber macht dieses Vitamin-D eigentlich?

Warum Vitamin-D überhaupt als Vitamin bezeichnet wird ist fraglich, denn es hat nur wenig mit anderen Vitaminen gemein. Es ist eine Art Prohormon, dass direkt an die körpereigene DNS andockt und dort als Genregulator wirkt. Auf diese Weise übernimmt es eine Vielzahl von Funktionen. Es wirkt heilend und regenerierend auf unsere Muskeln, auf die Knochen und das Nervensystem. Es reguliert den Zuckerstoffwechsel, wirkt entzündungshemmend und ist außerdem für die Kalziumaufnahme im Körper mitverantwortlich. Untersuchungen zeigten, dass ein höherer Vitamin-D-Spiegel äußerst positive Auswirkungen bei Bluthochdruck, Diabetes, Osteoporose, Autoimmunkrankheiten, Multipler Sklerose und Krebs hat. Bereits 2002 zeigte eine US-amerikanische Studie, die in der Fachzeitschrift „Cancer“ veröffentlicht wurde, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Krebserkrankungen gibt. Die Wissenschaftler untersuchten die Sterblichkeit bei 13 verschiedenen Krebsarten in 506 unterschiedlichen Regionen. Dabei stellten sie fest, dass die Todesrate bei allen Krebsarten in sonnenarmen Regionen durchweg deutlich höher lag, als in sonnenreichen. Und das obwohl die Ernährung und sogar die Behandlungen weitgehend identisch waren. Am deutlichsten war der Zusammenhang zwischen der Todesrate und dem Mangel an Sonnenstrahlung vor allem bei Brust- und Darmkrebs. Hier starben in den sonnenarmen Gebieten rund doppelt so viele Menschen, wie in den sonnenreichen. Aber auch bei allen anderen Krebsarten, darunter Blasen-, Gebärmutter-, Speiseröhren-, Rektal- und Magenkrebs wurde ein deutlicher Zusammenhang festgestellt. Auffällig war bei der Studie auch, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe stärker betroffen waren, da ihre Haut an extrem hohe Sonneneinstrahlung angepasst ist und daher in Gegenden mit wenig Sonnenlicht auch weniger Vitamin-D produzieren, als Menschen mit heller Hautfarbe.

Doch nicht nur Krebs wird durch fehlendes Vitamin-D gefährlicher. Auch die Anfälligkeit für Krankheiten im Allgemeinen steigt und sinkt mit dem Vitamin-D-Spiegel. Menschen, die besonders anfällig gegen Erkältungskrankheiten waren, verloren diese Anfälligkeit nach einer Erhöhung des Spiegels und waren in den Untersuchungen deutlich gesünder.

Und die Moral von der Geschichte?

Natürlich gibt es Möglichkeiten, sich auch im Winter oder in der trüben Jahreszeit mit Vitamin-D zu versorgen. So enthält beispielsweise Fisch große Mengen des Sonnenvitamins. Inzwischen gibt es außerdem eine Vielzahl von Vitamin-D präparaten zum Einnehmen. Dies kann sinnvoll sein, wenn man einen akuten Mangel und gerade keine Möglichkeit hat, sich in der Sonne zu baden. Doch das sinnvollste ist es natürlich, sich so viel in der Sonne bzw. im Freien aufzuhalten, wie möglich.

Spruch des Tages: Let the Sunshine in!

 

Höhenmeter: 360 m

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 7053,87 km

Wetter: Sonnig mit kaltem Wind

Etappenziel: Pfarrhaus, 50050 Gambassi Terme, Italien

 

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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