Wutabbau

von Franz Bujor
30.08.2016 04:18 Uhr

Fortsetzung von Tag 929: (Hier geht es zum Gesamtartikel)

 

Tobias Krüger ist tot, aber was nun?

In den folgenden Tagen stellten wir jedoch fest, dass meine Umbruchsphase auch mit dem Ritual und dem Tod von Tobias Krüger noch nicht beendet war. Bislang hatte ich nach einem einfachen Prinzip gelebt, das mich zwar nie hatte glücklich oder zufrieden machen können, das mir jedoch einen gewissen Halt und eine Orientierung gab. Ich war ein funktionierender Roboter gewesen, der versuchte, stets die Anforderungen zu erfüllen, die man an ihn stellte. Mein Leben war im Grunde nichts anderes gewesen, als eine To-Do-Liste, auf der es verschiedene Punkte abzuhaken galt. Es ging also nicht darum, etwas zu fühlen oder wirklich zu Leben, sondern nur darum, die Aufgaben zu erledigen, die mir durch mich selbst oder durch jemad anderen gestellt wurden. Nun hatte ich beschlossen, nicht mehr dieser Roboter zu sein. Aber was war ich nun? Ich hatte keine Ahnung! Ich hatte nie versucht, wirklich zu leben und hatte somit auch nicht die geringste Vorstellung, wie ich das anstellen sollte. In den nächsten Tagen wurde ich für Heiko damit sogar noch weitaus unerträglicher, als ich es zuvor gewesen war. Ich wurde noch unaufmerksamer, noch langsamer, noch trotteliger, noch verplanter und bekam nun überhaupt nichts mehr auf die Reihe. Noch immer hatte ich das Gefühl, funktionieren zu müssen, doch ich funktionierte einfach nicht mehr. Ich war noch immer der alte Roboter, doch nun war ich kaputt. Alles was ich anfasste ging schief und ich brauchte Stunden für jeden noch so kleinen Handgriff. In der Folge ging ich Heiko natürlich ständig auf die Nerven und übertrat ohne es zu merken jede seiner persönlichen Grenzen. Noch immer war die Stimmung auf dem Tiefpunkt und ich fühlte mich nicht lebendig, sondern vollkommen tot. Ja, Tobias Krüger war gestorben, aber das hieß nicht, dass ich nun automatisch Franziskus war. Ich war noch immer Tobias Krüger, nur eben tot. Und je weniger ich zustande brachte, desto mehr wünschte ich mir das alte zurück. Was war nur mit mir los, dass ich einfach nicht mehr funktionierte? Freude oder Zufriedenheit spürte ich nun überhaupt nicht mehr, sondern nur noch Leere, Schwere und Niedergeschlagenheit. Dementsprechend lief ich wieder einmal nur noch mit einer Fratze durch die Gegend und sorgte so für ausreichend schlechte Stimmung. Und dies sorgte natürlich dafür, dass es immer wieder zu kleineren und größeren Explosionen kam. Zunächst sah es so aus, als wäre die Sache hoffnungslos und ich war schon wieder soweit, dass ich überzeugt war, mich niemals ändern zu können, so dass ich ewig das nervige Arschloch bleiben würde, mit dem es niemand lange aushielt. Doch wie sich zeigte, war das Spiel zwischen Gegner und Hüter keine Theorie, die wir einfach so daher gesagt hatten. Es war wirklich ein Gesetz, nachdem das Leben aufgebaut war. Wer nicht lernen will oder kann, bekommt Druck und dieser Druck steigert sich so lange, bis es automatisch zu einem Lernschritt und zu einem Erkennen kommen musste. In meinem Fall lag die Antwort genau in der Provokation von Heikos Wutausbrüchen begraben.

Spannenderweise hatten wir in der Nacht, in der es zum größten Gewitter zwischen uns kam, Besuch von einem ganz besonderen Mentor, der uns auf die richtige Fährte brachte. Am Nachmittag hatte es wieder einmal ein Problem mit unseren Solarsegeln gegeben und Heiko übertrug mir die Aufgabe, zu überprüfen, ob sie funktionierten oder nicht. Nach dem ersten Überprüfen machten sie auf mich den Anschein zu funktionieren und so verzichtete ich auf jede weitere Überprüfung. Es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass es nötig sein könnte. Am Abend stellte sich jedoch heraus, dass sie keinen Mux von sich gegeben hatten. Als Heiko merkte, dass ich wieder eine kinderleichte Aufgabe nicht hatte übernehmen können, so dass ich die Situation für uns beide unnötig komplex machte, platzte ihm erneut die Hutschnur. Wieder kam es zu einem Disput, bei dem er mir einige Schläge und Tritte verpasste. Auffällig dabei war, dass er sich selbst dadurch am Schienbein verletzte, während mir überhaupt nichts passierte. Warum? Ganz einfach. Heiko hatte für sich bereits erkannt und verinnerlicht, dass alles eins war. Er wusste, dass er nicht mich, sondern sich selbst trat und dass ich nur ein Spiegelpartner für ihn war. Wenn alles eins ist, dann ist jedes Wesen, dem wir im außen begegnen in gewisser Weise die Manifestierung eines Aspektes unserer Selbst. Das bedeutet: Jeder Mensch und jedes andere Wesen, dem wir jemals begegnen können, sind wir selbst. Alles was wir an ihnen lieben und mögen, lieben und mögen wir also an uns und alles was wir an ihnen hassen oder ablehnen, hassen wir an uns selbst. Folglich ist auch jede Handlung, die wir im Außen tun, eine Handlung an uns selbst. Wann immer wir jemandem etwas schenken, beschenken wir uns selbst. Wann immer wir jemanden heilen, heilen wir uns selbst. Und wann immer wir jemanden verletzen, verletzen wir uns selbst. Den meisten Menschen ist dieses Spiegelgesetz jedoch nicht bewusst und so wirkt es sich bei ihnen nur sehr indirekt aus. Jeder spürt mehr oder weniger, dass er sich selbst schadet, wenn er jemandem anderen Schaden zufügt und jeder spürt auch, dass er sich selbst das Leben bereichert, wenn er jemand anderem aus vollem Herzen ein Geschenk macht. Doch meist kommt es auf größeren oder kleineren Umwegen zu uns zurück und oft erkennen wir dann die Zusamenhänge nur noch schwer oder gar nicht mehr. In Heikos Fall war ihm das Eins-Sein mit mir und der Welt in diesem Moment jedoch so sehr bewusst, dass er es sofort in seinem Bein spürte. Und doch spürte er auch, dass es richtig war, genau so zu handeln, wie er gehandelt hatte. Es ging nicht um die Handlung selbst, denn er hatte in diesem Moment auf sein Gefühl gehört und dieses hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass es wichtig war, hier eine Grenze zu ziehen. Es waren viel mehr die Gedankenkonzepte, die er zu diesem Thema im Kopf hatte und die ihm ein schlechtes Gefühl dazu einredeten. Als wir uns wieder beruhigt hatten, begannen wir uns zu fragen, was hinter der ganzen Sache steckte. Warum kam es immer wieder zu diesen Disputen und warum führte alles, was zurzeit geschah dazu, dass wir uns auf die eine oder andere Art gegenseitig verletzten? Wir kamen auf einige wichtige Ergebnisse, doch noch immer wollte keine Lösung auftauchen, die uns wirklich weiter brachte.

Dann hatte sich Heiko ins Zelt zurückgezogen und ich war dabei, auf einer nahegelegenen Picknickbank die Ergebnisse unseres Gesprächs zu notieren. Plötzlich rief mir Heiko aus dem Zelt zu, dass ich einmal nachschauen solle, wer denn da so dreist um unser Zelt schlich. Als ich dort eintraf, blinken mir im Schein meiner Stirnlampe bereits zwei leuchtende Augen entgegen. Noch war es zu dunkel, um zu erkennen, was für ein Tier es war und so versuchte ich, noch etwas dichter heranzukommen. Der kleine Unbekannte lief immer wieder ein Stück vor mir weg, blieb dann aber stehen und schaute mich erwartungsvoll an, so dass ich ihn schließlich einholen konnte. Nun sah ich zwei spitze, aufmerksame Ohren und einen langen, buschigen Schwanz. Es war ein Fuchs, der sich jedoch vollkommen untypisch verhielt. Er sprang auf das Zelt, knabberte an den Zeltschnüren und tauchte in dieser Nacht immer und immer wieder auf. Auch jetzt machte keinerlei Anstalten, vor mir wegzulaufen, sondern schlawinerte immer wieder um mich herum. Hätte er mir einen Brief überreicht, in dem geschrieben stand: “Hallo, ich bin ein Tierbote und habe eine wichtige Botschaft für dich, die du nun in einem entsprechenden Buch nachschlagen solltest”, hätte er nicht deutlicher sein können. So taten wir genau das, was uns der Fuchs mitteilte und Heiko las aus unseren Aufzeichnungen über die Botschaften des Fuchses vor. Der Fuchs ist seit jeher ein Vermittler in Kriesenzeiten, der vor allem bei der Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten hilft. Es war also kein Zufall, dass er gerade mitten in unseren Konflikt geplatzt kam. Als trickreicher Scharlatan, der eine ähnliche Denk- und Lebensweise besitzt, wie der Coyote, der Heikos Dodemtier ist, zeigt er dabei auf, dass es gerade in verzwickten Situationen unkonventionelle Lösungswege gibt, an die man selbst zuvor nicht gedacht hatte. Als Meister der Täuschung weist er einen gleichzeitig auch darauf hin, dass man gerade vor einem wichtigen Schritt steht, bei dem man sich entweder nicht vom Offensichtlichen täuschen lassen darf, oder bei dem man selbst eine gewisse Form der Täuschung anwenden muss, um voranzukommen. Das, was jetzt gerade offensichtlich erscheint, ist möglicherweise nicht die Wahrheit deines Herzens, sondern nur eine Illusion, die durch Angt und Mistrauen erzeugt wurde. Die Dinge sind oft ganz anders, als sie zunächst erscheinen und um voranzukommen, ist es manchmal wichtig, trickreich und spielerisch mit den Fakten umzugehen. Nicht hinterlistich und betrügerisch, sondern gewieft und trickreich, so dass man den Verstandesgegner austricksen kann und an die Wahrheit des Herzens gelangt. Später wurden ihm im europäischen Raum dann natürlich auch noch allerleih dämonische und böse Eigenschaften zugesprochen, so wie man es eigentlich mit allen Krafttieren machte. Spannend dabei war jedoch, dass der Fuchs auch in Verbindung mit dem Element der Wut und mit dem Teufel, also dem Verstandesgegner gebracht wurde. Daher kommt auch der Ausdruck “Fuchsteufelswild”. Die Botschaft des kleinen, frechen Waldbewohners war also mehr als nur deutlich: “Findet einen ungewöhnlichen, kreativen, spielerischen und trickreichen Weg im Umgang mit eurer Wut und eurem Verstandesgegner, und ihr werdet zur Wahrheit eures Herzens gelangen!” Doch was für ein ungewöhnlicher und spielerischer Weg sollte dies sein? Wir begannen damit, zunächst einmal die Fakten neu zu bewerten und die Situation aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. Keiner von uns beiden fühlte sich mit der aktuellen Situation wohl. Mir gefiel es nicht, ein gefühlstoter Nervenbolzen zu sein und Heiko hatte keine Lust darauf, dass ich ihn ständig in die Rolle des bösen Cholerikers drängte, der vor Wut explodierte und mich anschreien und wachrütteln musste. Unsere Beziehung sollte die zwischen zwei Freunden und Seelenverwandten sein, doch im Moment waren wir Parasit und Wirt. Ich hatte mein Leben lang als Parasit gelebt und nun war ich immer wieder dabei, Heiko auf den unterschiedlichsten Wegen Energie zu entziehen. Ich war mir meiner Strategien dabei nicht bewusst, aber im Nachhinein stellte ich fest, dass ich eine ganze Reihe von Wegen hatte, mit denen ich zum Energieräuber wurde. Hinter allen steckte immer wieder die gleiche Angst: Die Angst vor dem Tod. Ich wusste nicht, dass ich ein göttliches, unsterbliches Wesen bin und die Aussicht, eines Tages sterben zu können, machte mir schreckliche Angst. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, nur einen begrenzten Vorrat an Lebensenergie zu besitzen. Wenn dieser verbraucht war, bedeutete dies, dass mein Leben enden würde. Dass alles nur aus einer einzigen Energie besteht, die niemals verbraucht werden kann, hatte ich zwar als Verstandesidee im Kopf, aber spüren konnte ich es nicht und somit hatte ich es auch noch immer nicht begriffen. Um der Angst vor dem Tod zu entkommen, glaubte ich also nun, so viel Lebensenergie wie möglich von anderen entziehen zu müssen, wodurch ich meine eigene sparen und auffüllen konnte, so dass sich mein Leben möglichst stark verlängerte. Der gleich Gedankengang steckte auch hinter der Faulheit und Trägheit, die ich oft in mir spürte. Die unterbewusste Idee dahinter war, dass ich mein Leben verlängern und damit dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte, wenn ich meine Energie so gut wie möglich aufsparte. Dadurch wurde es zu einer meiner Kernstrategien, alles immer mit dem geringstmöglichen Aufwand zu tun, was jedoch in der Regel dazu führte, dass ich die Dinge nicht richtig machte und am Ende mit doppeltem, dreifachen oder zehnfachen Aufwand noch einmal wiederholen musste. Ähnlich unpraktikabel waren auch alle anderen Strategien, die ich mir unterbewusst angeeignet habe, um meinen Mitmenschen möglichst viel Energie zu rauben.

Da war zunächst meine Hilflosigkeit. Wenn ich selbst nichts kann muss man mir helfen. Ich bin also wie eine Pflanze, die oben auf einem Baum sitzt und mit den Wurzeln nicht auf den Boden kommt, so dass ich nicht selbst für mich sorgen kann. Ich kann nichts für mich alleine tun, sondern brauche ständig die Hilfe von anderen, die nun ihre Energie und ihre Lebenszeit opfern müssen um mich zu versorgen. Die zweite Taktik waren meine Angst und meine Tendenz, möglichst viel Leid in mir festzuhalten. Auch hierin verbirgt sich wieder ein ähnlicher Gedankengang: „Die Welt ist hart, grausam und gefährlich, deswegen brauche ich immer jemanden, der mich beschützt und der sich um mich kümmert.“ Ich verstecke mich also stets hinter dem Rücken anderer und laufe in ihrem Windschatten. Alle Probleme, die auftauchen, werden so von ihnen aus dem Weg geräumt, wodurch sie die ganze Arbeit haben, während ich locker und leicht auf einem ausgetretenen Pfad wandern kann. Dann war da noch meine Unaufmerksamkeit. Ich selbst nehme nur einen Bruchteil von dem wahr, was es wahrzunehmen gibt und stolpere so in jedes Fettnäpfchen, jede Panne und jede Gefahrenquelle. Dies führt dazu, dass automatisch alle anderen für mich mitdenken und mitaufpassen müssen, um mich vor den Gefahren zu bewahren. Gewissermaßen habe ich meine Sinnesorgane also ausgelager, so dass ich mit die Energie dafür sparen kann, weil ein anderer die Arbeit übernimmt. Die vierte Taktik war das Abgeben jeglicher Form von Verantwortung. Wenn also etwas schief läuft, brauche ich die Konsequenzen dafür nicht selbst zu tragen, da ich ja auch nicht verantwortlich, ergo auch nicht der Verursacher bin. Die Konsequenz bekommt immer der, der auch die Verantwortung trägt. Wenn ich diese zu 100% an andere abgebe, kann ich für meine Fehler auch nicht belangt werden, da es nun ja nicht mehr meine Fehler sind. Auf diese Weise spare ich unglaublich viel Lebensenergie, die nun andere für mich opfern müssen. Hinzu kam meine Dreistigkeit und meine Tendenz, jegliche persönliche Grenze zu übertreten. Ich selbst kann die Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht oder nur schwer wahrnehmen, wodurch sie kaum eine Präsenz in meinem Leben haben. Dadurch treten automatisch meine eigenen Belange immer an erste Stelle und um sie zu befriedigen, ist mir jedes Mittel recht. Ich gehe also automatisch über jede Grenze, oftmals ohne es auch nur zu merken, und dränge mich anderen so sehr auf, dass sie plötzlich meine Bedürfnisse erfüllen, auch wenn sie es gar nicht wollen. Und selbst meine Lernresistenz war eine Strategie, um mir die Energie anderer zu erschleichen. Ich mache immer wieder die gleichen Fehler und treibe somit meine Mitmenschen in den Wahnsinn. Dadurch ziehe ich automatisch Aufmerksamkeit auf mich. Jeder, der sich über mich ärgert, investiert also Energie in mich, weil er sich zwangsläufig mit mir beschäftigt. Ob dies im Positiven oder im Negativen passiert, spielt dabei keine Rolle. Und schließlich war da noch das Mittel der Manipulation. Durch subtile Hinweise, Anmerkungen und ähnliches drücke ich Triggerpunkte bei anderen, die Schuld, Scham, Mitleid oder ähnliches auslösen, so dass sie mir ihre Energie geben, ohne dass sie es wollen. Sie wissen nicht warum, aber sie tun das, was ich von ihnen möchte und lassen sich aussaugen. All diese Strategien führten dazu, dass ich ein permanentes Parasiten-Dasein führte und ganz automatisch die Menschen aussaugte, die mir am nächsten standen. Seit wir zu unserer Reise aufgebrochen waren, war dies vor allem Heiko gewesen und je mehr ich den Kontakt zu meiner Familie und meinen früheren Freunden einstellte, desto schlimmer wurde es, da Heiko nun immer mehr zum einzigen Akku wurde, den ich noch anzapfen konnte. Er hatte also keine Wahl. Er musste Grenzen setzen und zwar klare und deutliche, denn ohne diese Grenzen würde ich ihn irgendwann so sehr aussaugen, dass nichts mehr als seine bloße Hülle von ihm übrig war. Gleichzeitig waren all meine Parasitenstrategien aber auch Strategien, die mir selbst das Leben schwer und unangenehm machten. Ich fühlte mich als Parasit nicht wohl. Ich wollte nicht hilflos, ängstlich, manipulativ, lernresistent, penetrant und unangenehm sein, sondern zu einem selbstbestimmten Wesen werden, dass seine Lebensaufgabe übernahm. Somit brauchte auch ich die Grenzen, die mir gezeigt wurden, damit ich meine Parasitenstrategien ablegen und durch eine neue Lebensweise ersetzen konnte. So unangenehm die Situationen in denen es zum Disput kam auch waren, sie waren an uns für sich niemals negativ, sondern immer absolut richtig und wichtig. Das schlechte Gefühl dabei entstand lediglich durch unsere eigene Erwartungshaltung. Auffällig war, dass jedes Wutgewitter im Nachhinein immer zu einer kleinen Teillösung des Knotens in mir und zu einer kleineren oder größeren Selbsterkenntnis führte. Auch wenn ich diese Situationen selbst immer vermeiden wollte, mich vor ihnen fürchtete und daher versuchte, so gut wie möglich zu funktionieren, stellte sich im Nachhinein immer heraus, dass sie absolut wichtig waren, dass sie sowohl mich als auch Heiko weiter brachten und dass wir uns danach jedes Mal befreit fühlten. Wie konnte das sein? Es gab einen riesigen Krach, der nicht selten damit endete, dass ich Schläge bekam und doch fühlte ich mich dadurch besser.

Zunächst einmal kamen wir darauf, dass wir beide eine unglaubliche Wut in uns trugen, die erst zu einem kleinen Teil abgearbeitet und aufgelöst war. Bei mir waren es gerade einmal 0,015%, bei Heiko immerhin 37%, was aber auch noch nicht gerade viel war. Die Frage war also nun, warum wir so extrem Wütend auf uns selbst waren. Bei mir war die Antwort einfach: Ich hasste es, dass ich mich so extrem verbogen hatte. Ich hasste mich dafür, ein Angsthase, Duckmäuser und Speichellecker zu sein. Bis zum meinem 16. Lebensjahr hatte ich mich so sehr verbogen, dass ich nicht einmal mehr wusste, dass ich eine Seele hatte. 16 Jahre lang hatte ich mich ununterbrochen 24 Stunden am Tag dauervergewaltigen lassen, in jeder nur erdenktlichen Hinsicht. Ich hatte all meine Gefühle eingefrohren und meine komplette Persönlichkeit, meine Seele und mein Herz aufgegeben, zerrissen und vergraben. Wie sollte ich da nicht sauer auf mich sein? Und noch schlimmer! Ich hatte dies nicht nur als Kind und Jugendlicher getan, ich tat es noch immer. Ich war noch immer eine elendige Muschi, lief vor allem davon, konnte nichts anpacken und schiss mir wegen jeder Kleinigkeit ins Hemd. Auch bei Heidi war die Situation ähnlich. Sie war in vielerleih Hinsicht eine Spiegelpartnerin für mich, deren Grundmuster den meinen glichen wie ein Ei dem anderen. Auch sie hatte als Kind für einen Moment erkannt, wer sie war und hatte es dann so tief vergraben, wie sie konnte, um ein funktionierender Robotter zu werden. Sie hatte das Verbiegen und Anpassen aus der weiblichen Perspektive erlebt, wodurch es völlig andere Formen angenommen hatte als bei mir. Doch die Grundmechanismen, die dahinterstanden waren exakt die gleichen. Bei Heiko hingegen war es etwas komplexer, da er kein Spiegel im Sinne vom Gleichnis war, sondern in Sinne des ergänzenden Gegenpols. Heiko hat sich als Kind nicht geduckt um dem Schmerz der Ablehnung auszuweichen, sondern ist mit vollem Bewusstsein ins Messer gelaufen und hat geschriehen: “Tut mir an was ihr wollt, aber ihr werdet mich niemals brechen!” Seine Wut auf sich selbst kommt daher von einer anderen Seite. Bei seiner Erkenntnis, wer er in Wahrheit ist, begriff er auch die Spiegelgesetze des Lebenstraumes. Ihm war also bereits als Kind klar, dass er alle Situationen in seinem Leben selbst erschuf. Er wusste, dass er es war, der den Schmerz und das Leid in sein Leben zog, und doch konnte er es nicht verhindern. Er wusste also, dass er der Schöpfer seines Lebenstraumes war und erschuf sich durch seine Angstgedanken trotzdem die Hölle. Dies machte ihn wütend auf sich selbst. Doch das war nur der erste Teil. Denn später erkannte er, dass der Schmerz und das Leid von Anfang an sinnhaft gewesen sind, da sie wichtige Taktgeber waren, um ihn in Richtung Erkenntnis und Erwachen zu navigieren. Nun war er also sauer darauf, dass er den Schmerz überhaupt benötigte und nicht in Leichtigkeit in sein Gottbewusstsein gehen konnte. Noch etwas später erkannte er, dass Leid und Schmerz fiktiv sind, dass er sie nur so intensiv spürte, wie er selbst daran glaubte, dass sie aber keinen realen Bestand hatten. Es sind reine Illusionen. Obwohl er dies nun wusste, spürte er sie aber noch immer, weil er noch nicht vollkommen in seinem Gottbewusstsein war. Auch dies machte ihn wieder sauer auf sich selbst, weil er von sich erwartete, dass er nun den Schmerz als Illusion der Liebe vollkommen annehmen können müsse, so dass er sich auflöst und nicht weiter benötigt wird. Der Kern, warum er sauer auf sich selbst war, war also, dass er von sich erwartete, von Anfang an im vollkommenen Gottbewusstsein stehen zu müssen, also von der ersten Erkenntnis an, vollkommen erleuchtet zu sein. Doch diese Erwartungshaltung kann natürlich nicht erfüllt werden, denn es ist ein Weg, der zur Erleuchtung führt und dieser beinhaltet verschiedene Schritte, die alle mit Freude angenommen werden wollen. Der zweite Grund für Heikos Wut auf sich selbst lag darin, dass er sauer war, weil er sein persönliches Geschenk noch nicht erhalten hat. Das bedeutet im Klartext: Obwohl er schon als Kind erkannt hat, wer er wirklich ist, hat er dennoch den Zugang zur Kraft, also zur Urquelle verloren. Er weiß nun, dass er in vollkommenem inneren Reichtum und Wohlstand leben könnte und dass alles bereits vorhanden ist und in ihm schlummert. Und doch kommt er nicht dran und kann es nicht wachrufen, so dass es sich in seinem Lebenstraum manifestiert.

Auffällig dabei ist, dass die Wut bei uns zwei komplett unterschiedliche Ausrichtungen hat. Bei Heydi und mir richtet sie sich nach innen. Wir wissen, dass wir es waren, die unsere Seele verkackt haben, dass wir uns selbst vergewaltigt, verleugnet, missbraucht und verstümmelt haben, um anderen zu gefallen. Der Hass ist also ein kompletter Selbsthass. Bei Heiko ist es anders. Er weiß zwar, dass er die Schmerzen und die Schläge mittels seiner Gedankenkraft in sein Leben gezogen hat und dass er so im Grunde ebenfalls selbst dafür verantwortlich ist. Dennoch ist er sich selbst treu geblieben und hat den Schmerz von außen erhalten. Sein Gegner tauchte also nicht in Form der inneren Gedankenstimme auf, die ihm sagte: “Bück dich du Sau und lutsch jedem den Arsch, der an dir vorüberläuft”, sondern in Form von anderen Menschen, die ihn für das was er war verurteilten und trietzten. Seine Wut richtet sich also in erster Line nach außen. Er will sich also an den Dritten die ihm angeblich Schmerz zugefügt haben rächen. Aus göttlicher sicht, macht das natürlich keinen Unterschied, weil ohnehin alles eins ist, und jeder andere auch wieder nur wir selbst sind. Doch es macht einen gewaltigen Unterschied, wenn es um die Heilung geht. Und dieser wurde uns heute erst so richtig bewusst. Die zentrale Frage lautet dabei: “Wann entsteht die Wut und wann löst sie sich auf?” Meine Wut entsteht immer dann, wenn ich merke, dass ich selbst zum Arschloch werde, Dinge kaputt mache, mich verleugne, mich verbiegen lasse, meine innere Stimme überhöre oder ignoriere oder irgendetwas “falsch” mache. Sobald ich erkenne, dass ich auf der Stelle trete, mich im Kreis drehe und mich verhalte wie ein Vollidiot, werde ich wütend auf mich selbst und versinke immer mehr im Selbsthass. Heiko hingegen gelingt es sehr gut, sich selbst so zu lieben wie er ist. Dafür wird er jedoch sofort sauer, wenn er spürt, dass ihm Leid oder Schmerz, wie aber auch Energieentzug von außen gespiegelt wird, so wie er ihn eben als Kind und Jugendlicher immer erhalten hat. Deswegen mache ich ihn mit meinem Arschlochverhalten, bzw. Energiefressertum so unglaublich wütend und genau deswegen ist er auch so oft auf Heydi sauer, da wir durch unsere Lebensgeschichten permanent Leid, Stress und Unannehmlichkeiten für ihn verursachen. Die Frage, die dabei automatisch in seinem Kopf entsteht und die ihn in den Wahnsinn treibt lautet: “Warum müsst ihr immer so unglaublich krasse Geschichten erfinden, bei denen es so immens schwierig ist, im Vertrauen zu bleiben und euch zu lieben?” Zum einen liegt darin natürlich die Aufgabe verborgen, zu erkennen, dass es diese Geschichten und das Energiefressertum alles gar nicht geben kann und dass alles in Wahrheit eine Illusion ist, die Heiko selbst durch seine Gedankenkraft erschaffen hat. Zum anderen geht es natürlich auch darum, dass Urvertrauen, bzw. die bedingungslose Liebe gerade in den Situationen zu wahren, in denen es unmöglich erscheint. So hat Heidi aber auch ich genau die Macken und Fehler begangen die sein Ego gar nicht dulden kann. Zum dritten, und dies ist der Knackpunkt auf den ich hinaus will, geht es aber auch gerade um die Wut, die dadurch ausgelöst wird, bzw. die dadurch an die Oberfläche dringt und aufkocht.

Halten wir also noch einmal die Fakten fest: Je nachdem, für welchen Weg wir uns als Kinder im Umgang mit unserem wahren Sein entscheiden, gibt es zwei unterschiedliche Arten, mit denen wir durchs Leben gehen und auf die wir Wut in uns anstauen können. Der Weg der Selbstverleugnung führt zu einem Angstdasein, zum Arschkriechertum und zum Selbsthass. Er bringt uns auf Wege die ein anderer nur schwer dulden und lieben kann. Dies beginnt bei Parasitismus, Selbstvergewaltigung, Speichelleckertum, Verbiegen, Persönlichkeitsaberkennung, Verkaufen der Seele und des Körpers. Die Liste ist wohl schier endlos. Der Weg der Selbstbehauptung führt zum Gegendruck, zur Verurteilung und zum Schmerz von anderen und somit auch zum Hass auf andere. Von euch, habe ich immer Druck bekommen. Ihr, die ihr vom Gegner gesteuert wart, wolltet das ich mein Sein nicht lebe. Gesellschaftlich würde man diese beiden Wege in den Weg des Opfers und den des Täters unterteilen. Das Opfer läuft stets voller Angst durch das Leben, duckt sich vor allem, will nirgendwo anecken und versucht jede Konfrontation zu vermeiden. Dabei merkt es aber, dass es ein Duckmäuser ist und verachtet sich dafür selbst. Man kann mit ihm, eben alles machen und so wird er verbogen, vergewaltigt, gedemütigt und geschändet. Der Täter hingegen weicht nicht zurück, nimmt jede Konfrontation an und akzeptiert sowohl Selbst- als auch Fremdverletzungen, um sich selbst treu zu bleiben. Er sieht jedoch, dass andere ihm im Wege zum wahren Sein stehen und häuft daher Wut auf die anderen an. Das heißt im Klartext: Er erkennt noch nicht, das alles eins ist und das nur durch diese Prüfungen sich die Liebe maximal ausdehnen kann. Bei unseren Konfrontationen ist uns aufgefallen, dass es uns im Nachhinein jedes Mal beiden besser ging. Heiko fühlte sich befreit, weil er Dampf ablassen und seiner Wut freien Lauf lassen konnte. Mein Selbsthass hingegen verschwand, weil ich spürte, dass mich der Schmerz durch die Schläge leuterte. Mein Gedanke dazu war: “Endlich fühle ich einmal das, was in Gedanken die ganze Zeit in mir rumort. Endlich bekomme ich die Konsequenz für meine Selbstverleugnung und mein Energiefressertum, die ich verdiene!” Und noch etwas fiel uns auf: Als wir im letzten Jahr mit Paulina unterwegs waren, hatte sich bereits nach kurzer Zeit eine immens schlechte Stimmung aufgebaut. Die einzigen Tage, an denen es wirklich besser war, an denen wir uns befreit und harmonisch fühlten und an denen wir wieder Hoffnung hatten, dass wir doch auf Dauer eine Herde sein konnten, waren die, an denen wir Kampf- und Schmerztraining gemacht hatten. Wir hatten also ganz gezielt den Kanal gewählt, uns in einem abgesteckten Rahmen gegenseitig Schmerz zuzufügen, so dass wir die Angst davor verlieren konnten. Und dies hat uns allen gut getan. Aber warum? Um der Sache noch etwas tiefer auf den Grund zu gehen, machten wir einige kinesiologische Muskeltests und kamen dabei auf ein erstaunliches Ergebnis. All meine Versuche, meine Wut über Schreien, über Aggressivität und ähnliches abzubauen, mich also an anderen abzureagieren waren komplett schief gelaufen. Es hatte mir nichts gebracht, sondern nur noch mehr Wut in mir angestaut. Das einzige, wodurch ich meinen Selbsthass abbauen konnte, war es wenn ich selbst Schmerz erfuhr. Jedes Mal, wenn wir Needleten, wenn Heiko bei der Fußreflexzonenmassage meine Nervenbahnen traktierte, wenn er mich in einem Wutausbruch auf den Arm schlug oder mir auf das Schienbein klopfte oder wenn ich mich selbst aus lauter Hass Schlug oder Verletzte, dann führte dies zu einer Heilung und einer Linderung meines Selbsthasses. Bei Heiko hingegen war es anders herum. Er konnte seine Wut tatsächlich dadurch abbauen, dass er sie an anderen ausließ. Das Thema Wut ist in unserer Gesellschaft und selbst im Heilungskontext fast immer ein Tabu-Thema. Wut sollte man am besten überhaupt nicht haben. Und wenn man sie hat, dann sollte man sie mit Liebe einhüllen, damit sie einfach verschwindet. Aber funktioniert das wirklich? Hat nicht jeder Mensch eine unsagbare Wut in sich, die er niemals nach außen bringen und auflösen kann? Sind es nicht gerade die Menschen, die nach außen hin am friedlichsten und ruhigsten wirken, in denen es am meisten brodelt? Für fast alles gibt es Rezepte und Hinweise, wie man etwas heilen, transformieren oder auflösen kann. Aber nicht für Wut. Solange Wut in dir ist, kannst du nicht in deinen Frieden kommen, kannst nicht erleuchtet werden und kannst auch kein Paradies in deinem Lebenstraum erschaffen. Aber wie zum Teufel werde ich diese verdammte Wut denn los? Das verrät einem kein Mensch. Denn wir gehen immer davon aus, dass wir durch den Ausdruck von Wut nur noch mehr Wut und Leid produzieren. Niemand aber sagt uns, dass wir damit auch heilen können. Dabei trägt jeder von uns die Tendenz seines Wutumgangs in sich und kennt sie auch genau. Im Kampfsport gibt es immer Kämpfer, die lieber einstecken und andere, die lieber austeilen. Warum? Weil die einen durch das geschlagen werden Heilung und Leuterung erfahren, die anderen hingegen durch das Schlagen. Heiko hat nicht umsonst bis zur internationalen Ebene im Bereich des Kampfsportes gekämpft. Plötzlich ergeben lauter Konzepte einen Sinn, die in unserer Gesellschaft normalerweise niemals verstanden werden. Alles in der Natur ist stets auf Heilung ausgerichtet und dies gilt auch für Situationen, in denen wir es nicht erkennen können. Warum ritzen, verbrennen oder verletzen sich Borderliner und empfinden den selbst zugefügten Schmerz als befreiend und wertvoll? Genau aus diesem Grund! Wir nennen es krankhaft und versuchen die Betroffenen davon abzuhalten, weil wir uns die Selbstverletzung nicht anschauen können. Doch ist es wirklich etwas anderes als die rituelle Selbstgeißelung, die Mönche aller Religionen betreiben, um in ihr Gottbewusstsein zu kommen? In unserer Kultur ist es vollkommen normal und akzeptiert, wenn man seine Seele zerstümmelt und zerfetzt. Werde ein Sklave deiner Eltern, deines Chefs oder anderer Mitmenschen. Handle so oft und so stark gegen dich, lebe niemals dein Leben, verläumde deine Wünsche, Sehnsüchte und Träume, vergrabe deine Talente und scheiß auf dein Darma und deine Lebensbestimmung so viel es nur geht. Lebe in unglücklichen Beziehungen, opfere dich für deine Kinder oder deine Eltern auf, verbiege dich und gib vollkommen auf, ein lebendiger Mensch zu sein. All dies ist kein Thema und vollkommen in Ordnung. Belohne deine gebeutelte Seele halt hin und wieder mit einem Highlight, oder gieß ein wenig Alkohol in die Seelenschlund, damit es nicht mehr so weh tut. Aber wehe jemand verletzt seinen Körper. Sobald sich jemand physischen Schmerz zufügt, ist er krank, hat ein ernsthaftes Problem und muss sofort in die Psychiatrie gesperrt werden. Es sei denn natürlich, er macht es auf eine gesellschaftlich anerkannte Weise, die so indirekt ist, dass man sie nicht mehr erkennt. Jeder Mensch weiß, dass Zigaretten ihn töten, dass Alkohol schadet, dass man sich beim Extremsport verletzt und so weiter. Warum aber tun wir es trotzdem? Ein Grund ist natürlich die Sucht und die Ablenkung, aber ein weiterer ist auch, dass wir uns durch die daraus entstehende Selbstverletzung befreit fühlen. Wenn wir anfangen zu akzeptieren, dass es keinen Unterschied zwischen unserer Seele und unserem Körper gibt, und dass ein Schmerz und eine Verletzung durchaus heilsam sein kann, dann erkennen wir auch, dass jede Form der freiwilligen Selbstverletzung einen Sinn und eine Heilung für den Betroffenen beinhaltet. Das Problem dabei ist nur, dass wir es auf einer sehr unbewussten Ebene tun und daher oft nicht erkennen, dass wir uns gerade selbst heilen. Borderliner wählen dafür das Cutten oder Verbrennen, Bulemiker das Kotzen, Magersüchtige den Verzicht auf die lebensnotwendige Nahrung, Fresssüchtige die Zerstörung ihres Körpers mit Hilfe von Nahrungsüberschuss und Extremsportler die Selbstzerstörung durch die Gefahr und die entstehenden Verletzungen. Solange diese Prozesse jedoch nicht bewusst sind, laufen sie nicht kanalisiert ab und verursachen trotz ihres eigentlichen Heilungscharakters gleich wieder neue Seelenverletzungen. Heilung und erneute Blockadenerschaffung, heben sich also auf. Wenn wir uns also cutten, uns überfressen, uns aushungern oder wenn wir kotzen, dann haben wir dabei das Gefühl, nicht richtig zu sein, weil wir es tun. Wir verurteilen uns für diesen Heilungsweg wieder selbst und bauen so schon wieder neues Leid in unserer Seele auf. Auch erkennen wir oft das richtige Maß nicht und so kommt es leicht zu Übertreibungen, die bis in den Tod führen können. So kommt das Opfer immer tiefer in die Opferspirale, dies kann bis zur Vergewaltigung, zum Verkauf des Körpers. Der Seelenaufgabe und der Selbstverstümmelung führen. Wird keinerlei Grenze mehr erkannt, kann dies bis zum indirekten oder direkten Selbstmord führen. Beim Choleriker, also beim Täter, führt die Unkontrolliertheit zu Wutausbrüchen, die nicht nur den Energiefresser stoppen, sondern ihn sogar nachhaltig verletzen. Das man den Opfertyp, also den Parasiten stoppen muss, versteht sich von alleine. Schließlich ist man ja kein Akku, hier gibt es jedoch moderate Methoden und eben Übertriebene. Wenn also der Täter so sehr von den andauernden Energiefressern und Schmerzbringern genervt ist, er zusätzlich auch noch lange Zeit nichts gesagt und sich gewährt hat, kommt es zu einer Explosion der Wut die bis zum Todschlag oder starker Körperverletzung führen kann. Wenn wir jedoch versuchen, Hilfe auf diesem Gebiet zu finden, dann bekommen wir meist sofort erklärt, dass wir die Selbstverletzung aufgeben sollen. Die Wut darf nun also überhaupt nicht mehr entweichen und muss stattdessen in unserem inneren bleiben, wo sie wieder die Seele belastet. Dem aber noch nicht genug, auch der Täter sollte sein STOPP nicht ausrufen. So teilt ihm der Psychologe mit, das er doch nicht wie ein Wolf zu beißen und sich wehren könne, wenn man ihm Energie abzapfe. Man solle dies doch verbal regeln. Was aber ist, wenn ein Dritter, wie ein Vampir einfach auf Worte nicht reagiert und einem weiterhin das Blut aussaugen will. Sollen wir ihn dann zu Tode streicheln oder mit Watte bewerfen? So ist in unserer Gesellschaft das erwehren nicht erlaubt. Du kannst dich doch nicht so rabiat wehren, wenn jemand von Außen dir dein Gottsein wegnehmen will und dich eben ins Gesellschaftssystem pressen will. Schließlich sind wir ja keine Naturmenschen mehr sondern Personen die in einer Technikwelt leben, also müssen wir uns auch so verhalten. Täter und Opfer sind kein Zufall. So zieht jeder Mensch mit einer geistigen Opferhaltung automatisch einen Täter an und anders herum. Warum?

Ganz einfach: Die Welt ist stets ein Spiegel unserer intensivt geglaubten Gedanken. Wenn wir also als Opfer durch die Welt ziehen, dann tragen wir die Überzeugung in uns, dass uns andere stets etwas Böses wollen. Wir sind geprägt von unseren Ängsten, die uns permanent begleiten. Dadurch müssen wir nun ganz automatisch Menschen in unser Leben ziehen, uns unsere Überzeugungen bestätigen. Je mehr dies geschieht, desto größer wird unsere Angst und desto lauter wird die Verstandesstimme in uns die sagt: „Siehst du, ich hab doch gesagt, dass die Welt ein grausamer gefährlicher Ort ist! Ich hatte also Recht!“ Die Überzeugungen, die wir in uns tragen, werden also zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Gleichzeitig treten wir als Opfer aber auch noch ängstlich, unbewusst und schwächlich auf, so dass wir jedem Menschen im Umkreis signalisieren: „Hallo, nimm mich, ich bin eine leichte Beute!“ Unsere Körperhaltung, unsere Sprache, unsere Stimme, und selbst unsere Art uns zu kleiden, zu bewegen oder zu handeln verrät in jedem Detail, dass wir ein Opfer sind. Hinzu kommt, dass man als Opfer automatisch immer auch ein Energieparasit ist. Alle Opferstrategien dienen immer auch dazu, anderen die Lebensenergie zu rauben. Je mehr ich also in meinem Opferbewusstsein bin, desto stärker greife ich meine Mitmenschen auf der subtilen Ebene an, provoziere, reize und verletze sie. Dadurch dränge ich sie ganz automatisch dazu, dass sie mir irgendwann eine Grenze in Form einer Gewalthandlung aufzeigen müssen. Wenn ich einem Wolf permanent am Schwanz ziehe, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn er mich irgendwann einmal beißt. Dies hat nichts damit zu tun, dass der Wolf aggressiv ist, sondern nur damit, dass er sich vor mir und meinem Verhalten schützen muss. Somit zieht ein Opfer also auf drei Ebenen einen Täter an: Einmal durch seine gedankliche Ausrichtung, einmal durch sein physisches Auftreten und einmal durch sein parasitäres Verhalten, durch dass es andere gegen sich aufbringt. Auf der anderen Seite zieht ein Täter auf die gleiche Weise immer wieder Opfer in sein Leben. Auch er hat tiefe Überzeugungen in sich, die er von der Außenwelt gespiegelt bekommen muss. Hier ist es jedoch nicht die Angst davor, dass ihm jemand etwas Böses will, sondern viel mehr das Gefühl, dass ihm jeder auf den Sack geht. Er spürt, dass er energetisch ausgesaugt wird und auch wenn er vielleicht nicht erkennt, wie und warum dies geschieht, hat er stets das Gefühl, dem Einhalt gebieten zu müssen. So wie das Opfer eine innere Aggression gegen sich selbst hegt, weil es spürt, dass es seine eigene Seele immer wieder verletzt und misshandelt hat, gibt es im Täter eine starke Aggressionen gegenüber dem Außen, die er in diesem, vielleicht auch schon in früheren Leben aufgebaut hat. Um diese Wut abbauen zu können, benötigt er Opfer, die ihn zur Explosion bringen und über die er sich aufregen kann. Jeder Täter hat dabei bestimmte Triggerpunkte, auf die er anspringt, und die die Aggression in ihm wachrufen. So wie das Opfer das Schild mit „Leichte Beute“ auf der Stirn trägt, trägt der Täter eine Leuchtreklame mit einer Bedienungsanleitung mit sich herum, durch die für jeden sofort ersichtlich ist, wo und wie man ihn reizen muss, damit er explodiert. Auf diese Weise ergeben Täter und Opfer stets ein Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip. Der Täter zeigt dem Opfer unbewusst, was dieses tun muss, um ihn zum Platzen zu bringen. Das Opfer zeigt dem Täter, dass es geeignet ist, um die Wut an ihm auszulassen und drückt dann die passenden Punkte, um die Aggression in ihm aufzuwecken. Als Heiko vor vielen Jahren eine Studie über die Verhaltenspsychologie der Menschen machte, arbeitete er auch eine Weile mit Serienmördern und Gewaltverbrechern, um die Mechanismen hinter ihren Taten verstehen zu lernen. Einer der damaligen Fälle veranschaulicht dieses Prinzip in einem Extremfall sehr deutlich. Es ging dabei um einen jungen Mann, der von seinem stark religiösen Vater aufgezogen wurde, weil seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war. Der Vater gab dem Jungen die Schuld am Tod seiner Frau und ließ all seinen Schmerz an ihm aus. Viele Stunden musste er in der Karzer verbringen und dabei stets zu einem hölzernen Jesus beten, der in seinem Zimmer hing. Dadurch baute er ein extrem ambivalentes Verhältnis zur Kirche auf. Auf der einen Seite verband er Jesus mit Schmerz, Leid und dem Gefühl ungerecht behandelt und nicht geliebt zu werden. Auf der anderen Seite war Jesus aber auch der einzige, zu dem er überhaupt einen Bezug hatte. Die Misshandlung durch seinen Vater baute also eine immense Wut und Aggression in ihm auf, die irgendwie nach außen treten musste. Sein Triggerpunkt, also das, was ihn zum Explodieren brachte, war dabei die Verbindung zu Jesus. Der größte Hass, den er in sich spürte, richtete sich gegen Ministranten, da er nicht verstehen konnte, warum Jesus sie ohne ein Leid liebte, ihn aber bewusst quälen wollte. Eines Tages kam es zu einer folgenschweren Begegnung mit einem jungen Ministranten. Dieser trug eine Opferhaltung in sich. Anders als der Junge hatte er nie physisches Leid erfahren, hatte sich jedoch so sehr verbogen, dass von seiner Seele kaum noch etwas übrig geblieben war. Er war nach außen hin der perfekte, fromme Christ, spürte jedoch anders als der Junge keinerlei echte Verbindung zu Gott oder Jesus und hasste sich selbst für den Raubbau an seiner Seele so sehr, dass er sich am liebsten selbst umgebracht hätte. So mussten sich die beiden gegenseitig anziehen und schließlich trafen sie wirklich aufeinander. Der Junge fuhr mit dem Auto und der Ministrant mit dem Fahrrad, als sie einander begegneten. Es war nur ein Sekundenbruchteil der gegenseitigen Resonanz, doch er reichte aus. Der Junge sah in dem Ministranten die Verkörperung für all sein Leid und sofort kochte die angestaute Aggression in ihm über. Die Wut übernahm die Kontrolle, er riss das Steuer herum, raste auf den Ministranten zu und zerschmetterte ihn an einem Baum. In der Gesellschaft bewerten wir dieses Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip zwischen Täter und Opfer sehr stark. Wir sympathisieren mit dem Opfer und verurteilen den Täter. Doch was ist, wenn wir diese Verurteilungen einmal bei Seite lassen und uns diese Beziehungen nur ganz offen und vorurteilsfrei anschauen. Das Opfer braucht die Schläge oder den Tod um die Wut auf sich selbst abzubauen und der Täter braucht das Schlagen oder das Töten um die Wut auf andere abzubauen. Wir bewerten und verurteilen das, weil der Prozess in diesen Extremfällen wieder neues Leid verursacht. Doch zu diesen Extremen wie Selbstmord, Mord und Vergewaltigung unter denen alle leiden, kommt es nur, wenn wir die Wut aufstauen und nicht zuvor gezielt durch geregelte Mechanismen abbauen. Ähnlich wie es durch angestaute Gefühle oder Verletzungen gegenüber den Herzwünschen es zu Krankheit und Verletzungen führen muss. In fast allen Beziehungen zwischen Mann und Frau gibt es einen Täter- und einen Opferpart. Einer hat die Hosen an, bestimmt also wo es lang geht und prügelt dabei den anderen auf die eine oder andere Weise. Solange dies nicht bewertet wird und in einem gewissen Rahmen abläuft, ist dieses Verhältnis für beide eine funktionierende Beziehung. Der Täter heilt sich selbst dadurch, dass er austeilt und das Opfer heilt sich selbst dadurch, dass es einsteckt. Erst wenn wir die Gedankenschablone unserer Gesellschaft darüber legen und sagen: “So kann man doch keine Beziehung führen, es muss doch alles Gleichberechtigt sein!” fangen wir an, das System zu kritisieren und uns dagegen zu wehren. Wenn es dann zur Trennung kommt, suchen sich beide Partner in der Regel aber automatisch wieder einen neuen Gegenpart, so dass sie weiterhin in der gleichen Rolle verweilen können. Das Problem dabei ist jedoch, dass all dies in der Regel nicht bewusst und nicht kanalisiert abläuft. Wir wissen nicht, dass wir den Selbsthass in uns tragen, weil wir unser wahres Sein verleugnen und unsere Seele mit Füßen treten und wir wissen auch nicht, dass wir den Fremdhass besitzen, weil wir uns an den Dritten rächen wollen, die uns von unserem Weg abbringen wollten. Dadurch verlagern wir das Spiel in Bereiche in die es eigentlich nicht hingehört und in denen es einen Großteil der Heilwirkung wieder verliert. Wir achten nicht aufeinander, so dass wir uns nur in dem Maße verletzen und verletzen lassen, in dem wir uns gegenseitig Heilen und in dem es unsere Seele befreit. Im Gegenteil wir nutzen es häufig sogar dazu, dass wir uns noch mehr von unserem Weg und unserem wahren Sein abbringen lassen. Anders ist es hingegen, in Beziehungen, die das Herrscher-Sklave-Spiel ganz bewusst spielen und ihm klare, definierte Regeln geben.

In der SM-Szene sagen die gegeißelten immer: “Danke mein Herr und Gebieter” oder “Danke meine Gebieterin.” Warum machen sie das? Warum bedanken sie sich in solch einer Form? Heiko hat früher einige Paare kennengelernt, die diese Art der Sexualität sehr intensiv lebten. Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Gegeißelten A wirklich aus ganzem Herzen dankbar waren und es ihnen B auch eine sehr tiefe Befreiung gebracht hat. Es war nicht nur die Lust, sondern viel mehr die Befreiung durch die Geißelung von ihrem Gegner. Die Lust kam durch die Kleidung, die Machtpositionen und auch die liebevolle Art des Schmerzzufügens, durch die man geschützt und geehrt wird, sowohl in der Position des Dominanten, als auch des Devoten. Der Dominante baut auf diese Weise Stück für Stück seine Wut ab und erhält dabei noch einen Lustgewinn, in dem er sie an dem anderen auslässt. Der Devote erlebt das gleiche nur in Form der Geißelung. Beide haben auf diese Weise einen Zugewinn, der nicht nur Lust bereitet, sondern auch Heilsam ist, weil beide ihre Wut dadurch abbauen und so mehr in ihren Frieden kommen können. In der Gesellschaft verurteilen wir hingegen beides. Wenn es in der SM-Szene stattfindet, schauen wir es meist nur etwas pikiert an. Wir können nicht verstehen, warum sich jemand freiwillig den Hintern versohlen, auspeitschen oder mit Wachs bekleckern lässt und schieben es in die Ecke abstrakter Fetische. Doch warum verstehen wir es nicht? Weil wir jede Art des Wutabbaus und jede Form von Schmerz und Schmerz-Zufügen als etwas Negatives ansehen. Die einen haben Angst vor dem Schmerz und wollen sich genau wie ich davor wegducken, ihm ausweichen und so weiterhin in Ruhe ihrem Duckmäuserleben frönen. Die Anderen, die ihre Wut abbauen, in dem sie andere verletzen, verurteilen sich für diese Verletzungen, weil wir in unserer Gesellschaft glauben, dass wir dazu kein Recht haben. Obwohl wir also eigentlich etwas heilsames tun, erschaffen wir dadurch neues Leid, weil wir den Schmerz und das Verletzen nicht annehmen können und uns dafür verurteilen. Wir haben das ganze Thema so sehr aus unserem Leben verdrängt, dass einfach niemand mehr weiß, wie er damit umgehen kann. Unser Idealkonzept einer Beziehung ist es, dass immer Friede, Freude Eierkuchen herrscht und dass stets alles in Harmonie ist. Doch dies ist unmöglich. Das Spiel ist, nun mal wie es ist. Der Gegner verwirrt uns und bringt uns vom Paradies weg. Wenn wir zurück wollen, werden wir durch Schmerz und Leidensdruck dahin geführt. Ergo muss jeder Leid erfahren. Weil wir dies jedoch nicht akzeptieren können, stauen wir die Wut auf beiden Seiten ins Endlose an, so dass es irgendwann zu einem unkontrollierten Ausbruch kommen muss, der uns entweder in die Krankheit oder in eine extreme Gewalt führt. Beides, Krankheiten wie Gewalttaten sind dabei letztlich nur zwei Formen des gleichen Grundprinzips, das uns zum Erwachen und somit zur Liebesausdehnung führt. Was bedeutet dies?

Als Kinder wissen wir zunächst noch, dass wir ein Teil von Gott sind und im Schauspielstück des Lebens eine Aufgabe zu erfüllen haben, so dass die Liebe sich ausdehnen kann. Diese Aufgabe ist uns am Anfang noch sehr klar und wir wissen relativ genau wer wir sind und wo uns unser Herz hinzieht. Dann aber kommt der Gegner in Form von Ängsten und Verstandesglaubensmustern im inneren und in Form von unseren Eltern, Lehrern, Verwandten, anderen Bezugspersonen und der Gesellschaft an sich, die in der Regel alle vergessen haben, dass sie Gott sind und uns somit ebenfalls von unserem Gottbewusstsein abbringen wollen. Wir haben nun also die Wahl, ob wir dieses Spiel mitspielen und unser wahres Selbst freiwillig aufgeben, oder ob wir uns dagegen wehren und versuchen, unser Gottbewusstsein trotz des Drucks von Außen zu bewahren. In beiden Fällen bauen wir automatisch Leid auf, denn nur durch dieses Leid entsteht die Spannung, die später zur Liebesausdehnung führt. Doch wie sieht das im Speziellen aus? Wenn ich mich dafür entscheide, dem Gegner freiwillig zu folgen und mein Sein aufzugeben, dann gehe ich in gewisser Weise einen Packt mit ihm ein. Sein Angebot lautet: Wenn du zu einer Marionette wirst und stets das tust, was ich von dir verlange, während du deine Herzensstimme ignorierst, dann halte ich alles Leid von dir fern, so dass du nicht spüren musst, dass du gegen dich selbst handelst. Wenn wir auf diesen Weg eingehen, können wir zunächst sehr weit von unserem Lebensweg abkommen, ohne dafür einen Druck zu erhalten. Im inneren spüren wir zwar, dass wir unglücklich und unzufrieden werden, wenn wir unseren Weg nicht gehen, aber es folgt sonst keine Konsequenz und so lassen wir uns immer weiter verwirren. Es ist ein bisschen, als würden wir ein Narkosemittel bekommen, das unsere Sinne und unsere Nerven betäubt, so dass wir unsere Seelenverstöße nicht wahrnehmen müssen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Seelenverstöße trotzdem stattfinden. Sie sind ähnlich, wie wenn man eine Hand auf eine heiße Herdplatte legt. Durch das Betäubungsmittel spürt man die Verbrennungen zunächst nicht, und kann die Hand daher ewig auf der Platte liegen lassen. Doch dies ändert nichts daran, dass die Verletzungen da sind und stetig stärker werden. Wenn wir uns nun irgendwann bewusst oder unbewusst dazu entschließen, doch unser Sein anzunehmen, hört das Narkosemittel auf zu wirken und wir bekommen die Schmerzen auf einen Schlag in unser Bewusstsein gehämmert. Dies geschieht dann jedoch meist in Form von Unfällen oder Gewalttaten, die wir durch unser Opferbewusstsein anziehen. Durch den Deal mit dem Gegner, haben wir unseren inneren Hinweisgeber ausgeschaltet, der uns zeigt, wohin uns unser Lebensweg führt. Darum benötigen wir den Druck von außen. Entscheiden wir uns hingegen dafür, dass Angebot des Gegners abzulehnen und beharren darauf, unser Sein zu leben, egal was dies auch für Schmerz bedeutet, bekommen wir das Leid direkt vom ersten Moment geschenkt. Noch immer verwirrt uns der Gegner in Form unserer Eltern und Bezugspersonen, sowie unserer eigenen Verstandesgedanken und bringt uns immer wieder von unserem Weg ab. Dieses Mal erhalten wir jedoch kein Narkosemittel und spüren den Schmerz also sofort. Jedes Mal, wenn wir unsere Hand nun auf die heiße Herdplatte legen, spüren wir den brennenden Schmerz, der uns zeigen will, dass dies kein geeigneter Aufbewahrungsort für eine Hand ist. Da wir diesen Leidensdruck bewusst gewählt haben, ist er in uns selbst verankert und äußerst sich meist in Form von Krankheiten. Jedes Mal, wenn wir also gegen unser Herz handeln bekommen wir nun Druck in Form einer Krankheit, die uns auf das Vergehen hinweist und uns klar macht, dass wir so nicht handeln oder leben können. In jedem Fall bringt uns der Gegner also von unserem Weg ab und baut dadurch eine Spannung auf. Und in jedem Fall benötigen wir das Leid, um wieder zu unserem Lebensweg zurückzufinden. Jede Form von Leid, egal ob Krankheit, Unfall, Vergewaltigung, Misshandlung oder sonstiges ist also immer ein Druckgeber, der uns zu unserem wahren Sein zurückführt. Das Leid ist damit stets ein Teil unserer Heilung und muss durchlebt werden, entweder auf die eine, oder auf die andere Weise. Je länger wir uns dem jedoch verwehren, desto geballter kommt es letztlich auf uns zu. Die Frage ist also, ob es wirklich unser Ziel ist, dass wir erst zu Mördern, Schlägern, Vergewaltigern, Entführern und Gewalttätern, bzw. zu Mordopfern, Vergewaltigungsopfern oder Mishandelten werden müssen, bevor wir in unsere Heilung kommen? Als Heiko sich mit der SM-Szene beschäftigte, fiel ihm auf, dass er dort Paare antraf, die enger, inniger und tiefer miteinander verbunden waren, als er es je zuvor erlebt hatte. Als “Täter” konnte er zunächst nicht verstehen, warum jemand Sklave sein will. Warum will jemand gegeißelt oder geschlagen werden? Die Befreiung und Befriedigung, die der dominante Part empfand, leuchtete ihm ein, das devote jedoch nicht. Erst jetzt im Nachhinein ist auch klar, warum dies so war. Er selbst konnte sich als Täter in den SM-Täter hineinfühlen und spürte, dass diese Beziehungsrolle auch seine Wut abbauen und ihn zur Befreiung führen würde. Die Rolle des Opfers konnte ihm hingegen nichts bringen, da sie nicht zu seinem Wutzyklus passte. Aufgrund seiner Entscheidung, zu sich zu stehen wurde er zuerst verprügelt, war also freiwillig und bewusst das Opfer und will dies nun als Gegenpart spiegeln, um einen Ausgleich zu erschaffen. So wie er sich als Kind bewusst für die Schläge entschieden hatte und somit Wut nach außen hin aufgebaut hatte, konnte er diese Wut nun abbauen, indem er sich ganz bewusst dazu entschied, nun Täter zu sein und anderen heilenden Schmerz zuzufügen. Heidi und ich haben uns hingegen als Kinder ganz bewusst dafür entschieden, unsere Seele selbst zu zerstören, bis von ihr nichts mehr übrig war. Wir haben uns also bewusst entschieden, selbst der Täter zu sein, um keinen Schmerz zu erhalten. Dadurch haben wir die Wut nach innen hin aufgebaut. Um sie nun wieder abbauen zu können, müssen wir auch dieses Prinzip ins Umgekehrte spiegeln und uns nun ganz bewusst für das Opferprinzip entscheiden um Schmerz zu empfangen.

Spannender Weise gibt es beide Prinzipien schon seit Jahrtausenden in allen Kulturen und Glaubensrichtungen. Mönche betreiben seit jeher immer wieder Selbstgeißelung, um in ihr Gottbewusstsein zu gelangen. So ist der Sonnentanz, der den Lakota-Indianern durch die weiße Büffelkalbsfrau gebracht wurde ein Ritual, bei dem sich die Tänzer scharfe Haken durch ihre Rückenhaut treiben und sich daran aufhängen, wobei sie sich permanent im Kreis bewegen und tanzen. Der Schmerz führt dabei irgendwann in eine Ekstase, die extrem läuternd und heilsam ist. Für uns wirken all diese Praktiken abstrakt und unmenschlich, doch nur deshalb, weil wir Angst vor dem Schmerz haben und aus genau diesem Grund kommen wir auch nicht in unsere Freiheit und in den inneren Frieden. Wir gestehen uns die Wut gegenüber anderen nicht ein und lassen sie deshalb nicht nach außen. Wir fürchten uns vor dem Schmerz und weichen ihm deshalb aus, so dass wir nie richtig ins Leben kommen können. Und genau dieses Verdrängen, Verschweigen und Verteufeln macht die Wut in unserer Gesellschaft so gefährlich. Die Menschen, die sich für einen Fremdhass aufgrund von Verletzungen von außen entschieden haben, stauen ihre Wut so sehr an, bis sie plötzlich explodieren und sie vollkommen unkontrolliert nach außen geben. Sie werden zu Cholerikern, Schlägern, Mördern oder Vergewaltigern, vielleicht aber auch nur zu Raudis, Miesepetern und ewigen Stenkerern. Diejenigen, die sich für den Selbsthass aufgrund ihrer eigens herbeigeführten Seelenzerstörung entschieden haben, bauen so viel innerlichen Druck auf, bis sie schließlich einen extremen Gewaltgegner in ihr Leben ziehen. Sie werden zu Opfern von Gewalttaten, Vergewaltigungen, Morden oder auch von gewalttätigen Beziehungspartnern, tyrannischen Chefs, mobbenden Kollegen und ähnlichem. All diese Verletzungen sind für beide Seiten heilsam, doch sie verursachen auf diese Weise immer auch neue Traumata. So gibt es einen Unterschied ob man Schmerz kontrolliert mit dem Bewusstsein der Heilung geschehen lässt oder ob dies durch den Magnetismus im Gedankenautopilotenmodus geschieht und man willkürlich durch die ausgestrahlte Wutangst etwas anzieht. Denn genau an dieser Stelle kommt wieder das Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip zwischen Tätern und Opfern ins Spiel. Je stärker der Selbsthass aufgrund der in mir angestauten Wut über mein Seelenverbiegen ist, desto stärker wird auch das Gefühl nicht liebenswert zu sein und ein glückseliges Leben nicht verdient zu haben. Ich fühle mich also immer mehr wie ein Wurm und strahle dies immer stärker nach außen. Je weniger ich mich selbst für wertvoll halte, desto stärker werde ich aber auch zum Parasiten, da ich nun nur noch durch Energieraub überleben kann, weil ich mir selbst nichts mehr zutraue. Ich signalisiere also immer stärker, dass ich eine leichte Beute bin und reize jeden durch meinen Energieraub dazu, mir endlich eine aufs Maul zu hauen. Das gleiche Prinzip gilt auch für den Täter. Je mehr ich die Wut auf das außen in mir anstaue, desto größer wird die Explosion, wenn ich einen Energieraub bemerke oder wenn jemand meine Triggerpunkte drückt. Es kommt also zu einem immer intensiveren Wechselspiel zwischen Täter und Opfer, das letztlich für beide Seiten nicht mehr kontrollierbar ist. Dies kann dann alles sein und einen bis in den Tod führen. Ist es also wirklich sinnvoll, den Wutabbau nicht zu kanalisieren? Ist es nicht vielleicht sogar gefährlich?

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Fürchte dich nicht, etwas neues zu sein. Laien haben die Arche gebaut, Experten die Titanic (Arno Backhaus) Höhenmeter: 190 m Tagesetappe: 18 km Gesamtstrecke: 16.520,27 km Wetter: sonnig und heiß, später heftiges Gewitter mit Weltuntergangsstimmung Etappenziel: Zeltplatz neben einem Kloster, nahe Siret, Rumänien

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Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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