Tag 1311: Wie gewonnen so zerronnen!

von Heiko Gärtner
10.01.2018 19:43 Uhr

24.07.2017

Zunächst einmal stellte ich fest, dass irgendetwas mit den Menschen hier nicht stimmte. Es war ein herrlich warmer Tag, das ruhige Meer glitzerte im goldenen Sonnenlicht und die Stimmung war friedlich und angenehm. In meinen Augen war es absolut unmöglich, unter diesen Bedingungen mies drauf zu sein und doch entpuppten sich die Einheimischen als wahre Genies auf diesem Gebiet. Von den fünfzig Häusern, aus denen das Dorf bestand, waren etwa 15 bewohnt, von denen 8 gerade zu hause waren. Einmal wurde ich wild gestikulierender Weise vom Grundstück vertrieben, noch ehe ich das Gartentor ganz geöffnet hatte. Einmal wurde ich freundlich gegrüßt und dann bereits nach den Worten „Kann ich Ihnen eine Frage stellen?“ abgewürgt. Zwei Mal lautete die Antwort auf meine Frage schlicht „NEIN!“, gefolgt von einer energisch ins Schloss fallenden Tür und vier mal gab es gute Ausreden und Begründungen dafür, warum man mir zwar helfen wollte, es aber genau in diesem Moment nicht tun konnte. Blieben also nur noch zwei Häuser übrig. Das erste gehörte jenem Mann, der mich am Nachmittag bereits mit zwei Bananen abgespeist hatte. Es konnte sicher nicht schaden, ihn noch einmal um zwei Kartoffeln zu bitten. Meine Erwartungshaltung wurde sogar übertroffen: Ich bekam drei Kartoffeln!

Kentyre Island

Kentyre Island

Das letzte Haus gehörte zu einer freundlichen aber schüchternen Dame in den frühen sechzigern, die mich umstandslos herein bat und mir eine Tüte mit verschiedenen Speisen zusammen stellte. Darunter waren weitere Kartoffeln, ein Porree, eine Zwiebel und ein paar Tomaten. Schließlich fügte sie noch ein halbvolles Glas mit Chutney hinzu, da dies einer Sauce am nächsten kam. Gerade in diesem Moment kam ihr Ehemann herein, sah wie das Chutney vrschenkt wurde und gab ein leicht enttäuschtes „Oh!“ von sich. Ich begrüßte ihn freundlich, stellte mich vor und fasste mit kurzen Worten den Grund unserer Reise und meines Besuches zusammen. Dann verabschiedete ich mich von beiden und drehte noch eine kurze erfolglose Runde um den hinteren Teil des Ortes, bevor ich in unseren Saal zurückkehrte.

Schottisches Grasland

Schottisches Grasland

Als ich dort eintraf fand ich nicht nur Heiko, sondern auch den Ehemann der netten Frau vor. Ich hatte noch kein einziges Wort gehört und doch erkannte ich allein an seiner Körperhaltung, dass er nicht gekommen war, um uns etwas Gutes zu tun. Diese Mann war auf Krawall gebürstet! Soviel stand fest.

Heiko hatte die gleiche Beobachtung wenige Minuten zuvor ebenfalls gemacht, als der Mann ohne zu klopfen und ohne einen Gruß durch unsere Eingangstür gestürmt war, um sich direkt vor ihm aufzubauen. Einen Moment lang hatte er überlegt, ob er der Höflichkeit halber aufstehen und seinen Schlafsack verlassen sollte. Da Höflichkeiten in dieser Begegnung aber offenbar keinen Platz hatten, verwarf er den Gedanken wieder.

Diese Fähre verbindet Kentyre Island mit der Nachbarinsel

Diese Fähre verbindet Kentyre Island mit der Nachbarinsel

Wild zeternd pluderte sich der Mann auf und begann ohne Umschweife mit einer Tirade wilder Abwertungen und Beschimpfungen. „Sucht euch verdammt noch mal einen Job und hört auf fremde Menschen zu belästigen und ihr Essen zu stehlen! Betteln ist aus gutem Grund seit Jahrzehnten verboten, in diesem Land! So etwas könnt ihr in Indien machen, aber nicht hier in Schottland! Hier verbitte ich mir so etwas! Wer sagt mir, dass ihr keine Verbrecher seit? Welches Recht habt ihr, einfach an einer Tür zu klingeln und nach Essen zu fragen? Das ist eine Frechheit sondergleichen! Und eine Zumutung ist es auch!“

Schottland birg viele Gefahren ! Zum Beispiel Schafe ...

Schottland birg viele Gefahren ! Zum Beispiel Schafe ...

Ich kann gar nicht alles wiedergeben, was der Mann an Abfälligkeiten aus sich heraussprudeln ließ, aber es wurde nicht besser. Von dem Moment an, als ich durch die Tür trat, gab ich ihm etwa 30 Sekunden, in denen ich versuchte höflich zu bleiben und ihn zu beruhigen. Dann beschloss ich, dass es A) keinen Zweck und er es B) auch nicht verdient hatte. Stattdessen drückte ich ihm die Tüte mit den Lebensmitteln in die Hand, die ich von seiner Frau geschenkt bekommen hatte und forderte ihn auf, uns in Ruhe zu lassen. Da fängt er doch nicht allen ernstes noch zum Diskutieren an und will plötzlich wissen, mit welcher Begründung und welchem Recht wir uns hier überhaupt aufhielten? Langsam platzte mir die Hutschnur. Da dringt dieser Mann allen Ernstes ohne einen Funken Anstand in unsere Privatsphäre ein, stiehlt uns unsere Zeit, verurteilt, beleidigt und beschuldigt uns, ohne etwas über uns zu wissen, verlangt die Nahrung zurück, die uns seine Frau zuvor geschenkt hat und glaubt dann auch noch, dass wir ihm nun freundlich erklären, wer wir sind? Was glaubt er denn, wer er war?

achtung Reiter

oder Reiter...

„Hier haben Sie Ihr Essen zurück und nun verschwinden Sie und lassen Sie sich nie wieder blicken!“ zischte ich ihn an, „Sie hätten all diese Fragen an uns stellen können, bevor sie sich entschieden haben sich derart daneben zu benehmen!“

Wieder fing er zum Diskutieren an und begann sich zu rechtfertigen. Ich war nun so sauer, dass ich mich bändigen musste um ihn nicht an den schütteren Haaren zu packen und aus dem Saal zu schleifen. Und wenn der Mann nun nicht doch von alleine gegangen wäre, hätte ich es sicher auch getan. Für die nächste halbe Stunde regte ich mich noch in Gedanken und Teilweise auch laut über ihn auf. Nicht nur, dass mich Essensrunde mit dem Kontakt zu den vielen unfreundlichen Leuten eh schon gelangweilt hatte, jetzt standen wir auch noch wieder ohne Essen da! Da hätte ich mir die ganze Geschichte also auch sparen können!

oder Füchse, die um die Ecke schleichen

oder Füchse, die um die Ecke schleichen.

Erst etwas später fiel mir auf,dass es vielleicht doch nicht so sinnlos gewesen war, wie ich zunächst dachte. Denn wir waren ja nicht die einzigen, denen gegenüber er sich unmöglich verhalten hatte. Auch seine Frau sah nun sein wahres Gesicht und erkannte, mit was für einem Menschen sie da verheiratet war. Sie teilte sich ihr Bett mit jemanden, der so geizig war, dass er hungrigen Wanderern das bereits geschenkte Essen weg nahm obwohl er davon ausgehen musste, dass sie dadurch den Tag lang hungern mussten. Jemand, der auf ihre Meinung so wenig gab, dass er eine solche Szene aufführte, ohne sie zuvor zu fragen, warum sie sich für die Hilfe entschieden hatte. Denn der Frau hatte ich ja bereits alles im Detail erklärt. Jemand, der so rassistisch und menschenverachtend war, dass er es als angemessen betrachtete, wenn Menschen in Indien um Essen bettelten, während er selbst, der durch seinen Lebensstil maßgeblich zum Leid dort beitrug, verlangte, dass in Schottland niemand um Hilfe bitten dürfte. Kurz: Er hatte sich durch diese Aktion als ein unsoziales Arschloch geoutet, das sogar noch weniger Anstand und Ehrerbieten hatte, als der besoffene Vergewaltiger, der Paulina in ihrem Serbischen Hotelzimmer aufgesucht hatte. Wenn sie also einen Grund gebraucht hatte, um sich von ihm trennen zu können, dann war es wohl dieser.

Ein langer Fußmarsch liegt hinter und

Ein langer Fußmarsch liegt hinter und

Der Gedanke daran beruhigte mich und stimmte mich sofort wieder friedlich. Vielleicht war es ja wirklich genau das gewesen, das noch gefehlt hatte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Denn Glücklich hatte die Frau ganz und gar nicht gewirkt. Und vielleicht war es ja auch genau das, was der Mann brauchte. Es mag komisch klingen, aber das beste, was ihm passieren könnte wäre, dass er tatsächlich von seiner Frau rausgeworfen wurde, dadurch so sehr aus dem Konzept geriet, dass er zu trinken begann, seine Besitztümer verlor und schließlich auf der Straße landete, so dass er auch die andere Seite einmal kennenlernte. Denn dies war wahrscheinlich seine einzige Chance aufzuwachen und zu erkennen, was Leben wirklich bedeutete.

Malerische Ruine über der Küsreq

Malerische Ruine über der Küsre

Der heutige Tag verlief hingegen recht harmonisch. Die Sonne zeigte sich wieder aus ihrem besten Licht und wir konnten sogar ein Picknick am Strand machen. Landschaftlich war es wieder einmal besonders schön und es schien, als wollte sich Schottland zum Ende noch einmal so präsentieren, wie wir es uns vorgestellt hatten. Nur dass die Straße wieder einmal jedes Tal und jeden Gipfel mitnahm, obwohl neben uns die seichte, ebene Küste verlief, blieb uns ein Rätsel. In Carradale, unserer Zielortschaft erlebten wir dann das genaue Gegenteil von gestern. Im Restaurant bekamen wir eine hervorragende Pastinak-Suppe geschenkt, die uns nicht nur Kraft gab, sondern die gleich noch eine positive Kettenreaktion auslöste. Dadurch, dass die Hotelmanagerin entschieden hatte, dass wir unterstützenswert waren, wollten nun auch alle anderen Helfen und wir bekamen problemlos die Kirche, ein Abendessen aus einem weiteren Restaurant und ein Essen von einer Privatfamilie.

Spruch des Tages: Ist das jetzt eigentlich Mundraub?

Höhenmeter: 46 0 m

Tagesetappe: 29 km

Gesamtstrecke: 24.757,27 km

Wetter: Regen ohne Ende

Etappenziel: Carmeliten-Kloster, Knocktopher, Irland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare