Tag 857: Die Hornviper

von Heiko Gärtner
09.05.2016 16:40 Uhr

21.04.2016 Wir waren fast überrascht, dass wir trotz der Ortsnähe weitgehend ungestört blieben. Einmal am Abend wurde unser Zelt vom Flackern eines Blaulichts erhellt. Doch die Beamten schlichen nur um uns herum und verschwanden dann wieder, ohne uns anzusprechen. In der Früh wurden wir hingegen regelrecht belagert. Überall um uns herum standen schon die alten Leute am Fenster und in den Gärten und schauten so unauffällig wie möglich in unsere Richtung, was nicht gerade hilfreich war, wenn man seine Morgentoilette verrichten wollte. Zwei ältere Herrschafften trauten sich schließlich sogar zu uns heran, um zu fragen wer wir sind und was wir hier machen. Sie waren sehr freundlich und hatten um ihre Neugierde ein wenig zu tarnen sogar zwei kleine Wasserflaschen und ein bisschen Knabberzeug mitgebracht.

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Von dem kleinen Ort aus ging es nun wieder hinauf in die Berge. Trotz der Anstrengung freuten wir uns, die Flachebene wieder verlassen zu können und kaum hatten wir den ersten Pass erreicht, wussten wir auch wieder warum. Vor uns lag eine weite Hügellandschaft mit kleinen Wäldern, Felsklippen, Flüssen und saftigen Wiesen. Über und kreisten die Bussarde und gelegentlich huschte eine Smaragdeidechse über die Straße. Es war wirklich ein anderes Bild als die endlosen Weizenfelder, bei denen man stets das Gefühl hatte, auf der Stelle zu laufen. Auch die Spazen waren hier wieder ruhiger und schimpften nur noch vereinzelt.

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Plötzlich tauchte vor uns eine Schlange auf, die gerade dabei war, die Straße zu überqueren. Sie war nicht groß, sondern sogar weitaus kleiner als viele Ringelnattern, die wir in den letzten zwei Jahren gesehen hatten. Und doch ging von ihr eine Bredrohlichkeit aus, die ich so noch nicht kannte. Irgendetwas in ihrer Präsenz zeigte deutlich, dass mit diesem kleinen Wesen nicht zu spaßen war. Schnell holte Heiko die Kamera hervor und machte einige Fotos. Gut, dass wir noch immer das Teleobjektiv vorbereitet hatten, denn so konnte er fotografieren, ohne den respektvollen Mindestabstand unterschreiten zu müssen. Und das war auch wichtig, denn bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass die dunkle Vorahnung richtig gewesen war. Der Kopf der Schlange wurde von einem kleinen aber dennoch bemerkenswerten Horn geziehrt, das auf ihrer Nase thronte.

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Wie Heiko bereits vermutet hatte, war es wirklich eine Hornviper. Sie war eine Giftschlange, mit der man wirklich nicht spaßen sollte, denn ihr Gift konnte einen locker innerhalb von 30 Sekunden töten. Doch die Schlange war nicht auf Ärger und schon gar nicht auf Angriff aus. Als sie uns bemerkte hielt sie inne. Dann schlängelte sie sich ein bisschen weiter, schaute sich nach der nächstbesten Schutzmöglichkeit um und kroch zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Wenige Sekunden später hatte sie das Gras erreicht und war spurlos verschwunden. Vollkommen lautlos und ohne eine Bewegung in den Grashalmen schlängelte sie davon. Man hatte keine Chance, sie noch einmal zu sehen oder auch nur zu erahnen, in welche Richtung sie geflohen war.

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Als kurz darauf wieder eine Smaragdeidechse über die Straße huschte, waren wir nicht mehr so entspannt. Heiko erschrack so sehr, dass er einen Satz zurück machte, genau an die Stelle, an der ich mich befand. Auch ich erschrak und versuchte auszuweichen. Als wir merkten, dass es nur eine kleine, hübsche Eidechse war mussten wir lachen. So eine Begegnun mit einer Hornviper machte einen doch noch einmal wachsamer. Von nun an gingen wir nicht mehr so unbedarft durchs Hohe gras und auch lange Stöcker oder Seilreste, die auf der Straße lagen, weckten unsere Aufmerksamkeit sofort.

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Auch in den Bergdörfern hatten wir mit der Schlafplatzsuche nicht mehr Glück als an den Vortagen. Nach dem zweiten Dorf sahen wir ein, dass es keinen Zweck hatte und bauten unser Zelt auf. Heute war es sonnig und windstill, da war es ja auch kein Thema. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich größtenteils damit, meinen Hut und meinen Rucksack zu nähen. Beide hatten schon wieder einige Gebrauchsspuren abbekommen.

Spruch des Tages: Schlangen machen normalerweise "Zzzzzschhhh" ... Ich habe aber auch schon welche gesehen, die lächelnd auf mich zugekommen sind und gesagt haben: "Hi, wie gehts?"

Höhenmeter: 520 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 15.066,27 km Wetter: bewölkt, teilweise schwülwarm, teilweise kalt, ab und an Regen Etappenziel: Altes Gemeindehaus, 66200 Panorama, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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