Wanderwege in England: South Downs Way bis Trans Pennine Trail

von Franz Bujor
25.09.2017 06:54 Uhr

08.06.2017

Wie sind eigentlich die Wanderwege in England im Vergleich zu denen in anderen Ländern? In den letzten dreieinhalb Jahren sind wir bei unseren Wanderungen auf viele Hindernisse gestoßen, die uns teilweise an den Rand unserer Kräfte brachten. In Spanien gab es auf dem Jakobsweg immer wieder Passagen, die mit einem Pilgerwagen nahezu unüberwindbar schienen. In Bulgarien mussten wir durch hüfttiefe Schlammfurchen waten. In Portugal mussten wir auf einer dornenüberfluteten Strecke von 9 km rund 20 Mal unsere Reifen flicken. In Bosnien gerieten wir in Gegenden, in denen die Straßen plötzlich endeten und wir unsere Wagen stellenweise über ganze Tage hinweg nur durchs Unterholz schleifen und über Felsbrocken werfen mussten. Doch all dies stet in keinem Verhältnis zu dem, was einem die Wanderwege in England bieten.

Wandermönch Franz unterwegs auf den Wanderwegen in England

Wandermönch Franz unterwegs auf den Wanderwegen in England.

 

Bewusst gebaute Barrieren

Im Großen und Ganzen sind die Wege hier nicht anspruchsvoller als in anderen Ländern und doch gibt es einen gewaltigen Unterschied, der einem das Wandern durchaus hin und wieder vermiesen kann. Im Balkan, in Spanien, Portugal und Bulgarien, waren die Wege unwegsam, weil es sich um raue Gegenden handelte und weil es einfach keine Infrastruktur gab, die einem das Wandern erleichtert hätte. Man musste sich durchschlagen, da niemand etwas erschaffen hatte. Hier aber war es genau andersherum. Man hatte das Land wie bei einem Spinnennetz mit unzähligen Wegen durchzogen, doch man hatte diese stets bewusst so gebaut, dass man es jedem Wanderer, Radfahrer und Reiter so schwer wie möglich machte. Die Hauptprämisse beim Bau der Wanderwege in England war es nie, jemandem etwas zu erleichtern, sondern bewusst Steine in den Weg zu legen, die möglichst viele von der Nutzung abhielten. Teilweise war das sogar ganz wörtlich gemeint, denn es lagen hier oft Steine mitten im Weg. Bisweilen betrieb man aber auch einen deutlich höheren Aufwand, um den gleichen Zweck zu erfüllen.

Heiko Gärtner auf dem Trans Penine Wanderweg in England

Heiko Gärtner auf dem  Trans Pennine Wanderweg in England.

 

Der Trans Pennine Trail zum Beispiel ist in dieser Gegend hier ein gut ausgebauter Fahrradweg, der den alten Zuglinien folgt. Wann immer man jedoch eine Straße kreuzt, muss man entweder über zwei dicke Holzbohlen steigen, sich durch ein enges Labyrinth aus Stahlstangen manövrieren oder sich durch zwei schräge Bügel quetschen, die aus dem Boden ragen. Alles nur um zu verhindern, dass der Weg von Motorradfahrern und Autos verwendet wird. Dass man damit aber auch Kinderwägen, Rollstuhlfahrer, Liegeräder, Fahrräder mit Hänger und alte Leute mit Gehhilfen ausschließt, scheint hier niemanden zu stören. Abgesehen davon, dass man es den übrigen Nutzern natürlich ebenfalls so unangenehm wie möglich macht, da nun jeder Radfahrer alle paar hundert Meter absteigen, sich durch die Hindernisse quetschen und dann wieder aufsatteln muss. Rennradfahrer nutzen die Radwege daher grundsätzlich nicht, sondern fahren ausschließlich auf den Hauptstraßen. Ob das der Sinn der Sache war?

 

Unbegehbare Fußwege

Noch schlimmer ist es auf den sogenannten „Footpathes“, also den öffentlichen Fußwegen. Diese sind meist mit einem Doppeltor verschlossen, das ähnlich wie eine Luftschleuse funktioniert. Wenn man das Tor öffnet, verschließt man damit automatisch den weiteren Durchgang. Man kann sich also nur in eine kleine Ecke quetschen, das Tor wieder zurückklappen und dann weiter gehen. Bereits für Wanderer mit einem Reiserucksack ist das allerdings unmöglich. Wieder werden hier also 90 % alle potenziellen Nutzer ausgeschlossen. Und weil das noch nicht reicht, werden diese Fußgängerschleusen in der Regel mit Zaunübertritten kombiniert. Man geht also ein paar Meter in den Weg hinein und steht dann vor einem Zaun, vor dem zwei wackelige Trittbretter angebracht sind, die einem helfen sollen, über den Zaun zu klettern. Spätestens hier zwingt man nun also auch die meisten Rentner dazu, umzukehren und sich auf den eigenen Garten zu konzentrieren.

Aber auch das ist noch nicht Hindernis genug. In etwa 60 bis 80% der Fälle bedeuten die Wanderwege in England, dass es nicht mehr gibt, als ein solches Eingangshinderniss und ein Schild mit der Aufschrift „Öffentlicher Wanderweg“. Danach kommt dann einfach nichts weiter als eine Wiese, ein Brennnesselfeld, eine Jauchegrube oder ein undurchdringliches Gebüsch. Hin und wieder kann man irgendwo noch erahnen, wo einmal ein Weg gewesen sein soll, doch selbst dabei braucht man oft eher eine gute Phantasie als einen guten Orientierungssinn.

   

Das alte Wegerecht

Der Grund für diesen sonderbaren Zustand, in dem sich die Wanderwege in England befinden, liegt, so weit wir es erkennen konnten, im alten Wegerecht. Früher, lange bevor es Autos und ein Straßennetz gab, gab es hier offizielle Wege, die tatsächlich von allen genutzt werden durften. Wo ein solches Wegerecht existiert, darf es nicht verweigert werden, auch dann nicht, wenn sich das Land heute in Privatbesitz befindet. Ungünstiger Weise befindet sich rund 90 % des Landes heute in Privatbesitz, was bedeutet, dass man bereits auf ein Privatgrundstück pinkelt, wenn man sich auf der öffentlichen Straße dazu nur ein bisschen zur Seite dreht. Die vielen Wanderwege, die es hier gibt, sind also kein Service, den die Menschen anbieten wollen, sondern eine Verpflichtung, die sie eingehen müssen. Es wird jedoch nicht vorgegeben, dass man es Wanderern angenehm machen muss, den Weg auch wirklich zu nutzen.

Panorama eines Wanderweges in England

Panorama eines Wanderweges in England.

 

Und wie die unzähligen Schilder mit „Keep Out!“ - „Bleib weg hier!“ oder „Betreten verboten!“ vermuten lassen, mögen die Menschen hier einfach niemanden, der auch nur in die Nähe ihres Privatgrundstücks kommen könnte. Je mehr man also dafür sorgt, dass der eigene Wanderweg abschreckend und unpassierbar erscheint, desto weniger braucht man sich zu sorgen, dass sich vielleicht doch einmal ein Fremder hier her verirren könnte. Ein Hof, den wir vor zwei Tagen passierten, brachte diese allgemeine Abneigung gegenüber allem und jedem sehr treffend auf den Punkt. Wir wanderten auf einer öffentlichen Straße, die mitten durch den Hof führte. Und um die Menschen auch wirklich auf der Straße zu halten waren hier beidseitig im Abstand von etwa 6 Metern Schilder aufgestellt, mit der Aufschrift: „Privatgrund! Dieser Bereich wird Videoüberwacht. Wer das Land ohne Erlaubnis betritt, wird strafrechtlich verfolgt!“

Zu diesem Zeitpunkt hätten wir noch nicht gedacht, dass dies die freundliche Art war, um mit den Wanderern umzugehen. Reichere Zeitgenossen, die etwas mehr Grundkapital zur Verfügung hatten und damit in der Lage waren, das alte Wegerecht außer Kraft zu setzten, bedienten sich ganz anderer Mittel. Hier wurde der Weg plötzlich versperrt und mit noch aggressiveren Drohschildern ausgestattet. Um weiterzukommen war dann ein schlammiger Trampelpfad um das Grundstück herum verlegt worden, den man fürsorglicher Weise auch noch mit fauligen Zuckerrüben bestreut hatte. So konnten die Wanderer ihren Besuch auch mit allen Sinnen genießen.

Der Trans Panine Way gehört zu den beliebtesten Wanderwegen in England

Der Trans Panine Way gehört zu den beliebtesten Wanderwegen in England.

 

Bleibt in eurem Käfig!

Aber nicht nur die Privatpersonen sorgen dafür, dass die Wanderwege in England so schwer nutzbar sind, auch die öffentlichen Wege werden verbarrikadiert, wo es nur geht. Heute wollten wir einer Hauptstraße ausweichen und sind dafür einem öffentlichen Weg gefolgt, der an einem See entlang führte. In Deutschland wäre dies ein Spazierweg gewesen, den die Anwohner mit ihren Hunden gehen oder an dem man im Sternenlicht mit seiner Freundin entlang schlendert. Hier aber war es eher ein Klettersteig, den man selbst ohne Pilgerwagen kaum begehen konnte. Er war schmal, rutschig und schlammig, führte mehrere Treppen hinauf und gleich darauf wieder hinunter und wurde zudem durch zwei normale Tore und zwei von den bereits erwähnten Luftschleusentoren blockiert. Um ihn am Ende wieder verlassen zu können, mussten wir unsere Pilgerwagen über einen Stacheldraht und durch ein Brennnesselfeld wuchten. Während wir noch unsere brennenden Beine rieben, fiel uns der Satz eines Engländers wieder ein, den wir vor kurzem gehört hatten: „In diesem Land ist es schwer, sich frei zu fühlen, wenn alles mit Zäunen umgeben ist!“ Wie Recht dieser Mann damit hatte. Und langsam kam uns der Verdacht, dass dies auch genau so gewünscht war. Alles hier, angefangen bei der Beschilderung, über die Zäune und Mauern, den Bau der Straßen und Städte bis hin zu der Art, mit der hier die Wege eingerichtet wurden, zielte darauf ab, Menschen festzuhalten. Man verbot ihnen nicht, rauszugehen und die Luft der Freiheit zu schnuppern. Man verdarb ihnen nur die Lust daran und sorgte durch die Scheinangebote dafür, dass sie lieber zu Hause blieben.

Spruch des Tages: Manche Wege sind dafür gebaut, begangen zu werden. Andere, um die Menschen vom Gehen abzuhalten.

Höhenmeter: 290 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 22.859,27 km

Wetter: überwiegend sonnig

Etappenziel: ausgemusterte Kirche, Cowthorpe, England

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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