Tag 993: In der Geburtsstadt von Sigmund Freud

von Heiko Gärtner
20.09.2016 20:52 Uhr

07.09.2016

Eigentlich hatten wir uns um 9:00 Uhr mit dem Museumsleiter verabredet. Dieser gerieht auf dem Herweg jedoch in eine Drogenkontrolle und musste den Beamten erst einmal beweisen, dass man auch Dreads haben konnte, ohne bereits um acht Uhr in der Früh vollkommen stoned zu sein.

Nach etwa 10km erreichten wir die Stadt Pribor, in der unter anderem Sigmund Freud geboren wurde. Als wir ankamen, trafen wir gleich auf eine Gruppe Holländer, mit denen wir sofort ins Gespräch kamen. Geich von der ersten Sekunde an dachten wir, dass uns einer der Männer seltsam bekannt vorkommt. Es dauerte einen Moment bis wir erkannten woher. Wir kannten nicht wirklich ihn, sondern nur seine Art. Alles, angefangen von seiner Haltung, Gestig, Mimikt, der Stimmlage, der Art zu sprechen bis hin zu seinem Akzent im Deutschen entsprach exakt der Figur des Farmers Otto aus der Serie "Malcolm mittendrin". Wenn ihr die Serie nicht kennt hilft euch das natürlich wenig, aber wenn doch, werdet ihr nachvollziehen können, warum wir aus dem Freuen überhaupt nicht mehr herauskamen. Mitten in unserem Gespräch ertänte plötzlich ein lautes und abartiges Schrillen, das die ganze Stadt durchflutete. Es war ein Probealarm für einen Bombenangriff, er hier offensichtlich häufiger durchgeführt wurde. Nicht nur wir fanden ihn unerträglich, auch die Holländerin musste sich die Ohren zuhalten, um nicht durchzudrehen. Doch für den Rest der Anwesenden schien es normal zu sein. Niemand machte einen Aufstand oder wurde auch nur wütend. Niemand war entsetzt oder schockiert. Es war ein schrilles, unerträgliches Dauerpfeifen in einer Lautstärke, die einen Düsenjet alt aussehen ließ und es ging mindestens 6 Minuten lang konstant so weiter. Und doch akzeptierten die Leute es. Wie konnte das sein?

Vor Verlassen der Stadt machten wir noch einen Abstecher am Geburtshaus von Siegmund Freud vorbei. Zusammenfassend kann man sagen, dass es ein vollkommen normales Haus ist, so wie man es von einem Haus erwartet. Viel zu sehen gab es da nicht. Das einzig spannende an der Sache war, dass wir nie auf die Idee gekommen wären, dass Freud aus der Tschechai stammen könnte. Je länger wir nun in der Tschechischen Republik unterwegs waren, desto abstrakter wurde unser Gefühl dazu. Auf der einen Seite sah es hier aus wie in Deutschland und die Natur an sich wirkte immer wie Heimat. Auf der anderen Seite fühlte es sich aber auch unglaublich fremd an, gerade weil alles so vertraut wirklte. Die Menschen waren mit Abstand die unhilfreichsten, die wir je getroffen haben. Jedenfalls war dies unsere Erfahrung in diesem Moment. Schlafplätze aufzutreiben wurde immer schwieriger, wir wanderten immer weitere Strecken, vergeuteten Stunden damit, immer und immer wieder abgelehnt zu werden und selbst an Wasser und Nahrung zu gelangen wurde immer mehr zu einem Problem. Oftmals weigerten sich die Leute sogar, uns mit etwas Leitungswasser auszuhelfen. Natürlich war dies ihr gutes Recht, aber wir waren es einfach nicht gewohnt. Und dann, völlig unvermittelt, trafen wir wieder auf vereinzelte Menschen, die solche Zuckerstücke waren, dass man es sich kaum vorstellen konnte. Dann gab es mit einem Mal wieder alles. Nichts war hier planbar. Alles, was aussah, als könnte es klappen, klappte nicht und dort wo man es niemals vermutet hätte, tauchten plötzlich Engel auf. Es fühlte sich ein bisschen an wie eine Mischung aus Moldawien und Deutschland. Die Mentalität war noch immer die, die wir aus dem Osten Europas gewohnt waren, aber alles hatte einen Mitteleuropäischen Anstrich bekommen. Langsam freuten wir uns immer mehr darauf, auch wirklich wieder in entspannte Länder zu kommen.

Auch heute tauchte dann eine Hilfe von einer vollkommen unerwarteten Seite auf. Mitten auf weiter Flur standen wir plötzlich vor eine Art Jugendherberge, mit vielen kleinen Bungalows und zu unserer großen Überraschung und Rettung wurden wir eingeladen, in einem davon zu übernachten. Von hier aus konnten wir dann sogar noch einige wichtige Telefonate führen um unseren Materialtausch zu organisieren, der in Österreich anstand.

Spruch des Tages: Ein Geburtshaus ist eben doch nur ein Haus, in dem jemand geboren wurde!

Höhenmeter: 290 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 18.122,27 km Wetter: Bewölkt, windig, hin und wieder sonnig Etappenziel: Bühne des Laientheaters, 2126 Ladendorf, Österreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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