Schlüsselmomente - Minuten, die das Leben verändern

von Franz Bujor
18.10.2014 08:50 Uhr

Ein einziger Blick auf die Karte reichte aus, um uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Es gab genau zwei Straßen, die von Solsona durch die Pyrenäen in Richtung Andorra führten. Die eine war groß, schlängelte sich durch ein Tal entlang eines Flusses und war wahrscheinlich stark befahren. Die andere war kleiner, führte jedoch in engen Serpentinen komplett oben über den Pass, so dass wir bis auf eine Höhe von mehr als 1500m emporsteigen mussten. Laut Google-Maps betrug die Entfernung bis nach St. Llorenç über die große Straße 24km und über die kleine 29km. Wir hatten also die Wahl: Entweder akzeptierten wir den Schwerlastverkehr, der uns um die Ohren rauschte, oder wir strengten unsere Muskeln ein bisschen mehr an und versuchten uns an der langen Strecke und der Überwindung von mehr als 800 Höhenmetern.

Der Gedankengang, der zu unserer Entscheidung führte, war der folgende: ‚Wenn wir schon draufgehen, dann wenigstens irgendwo, wo es schön ist!’

Hätten wir zu diesem Zeitpunkt gewusst, auf was wir uns da einlassen, wären wir wahrscheinlich weniger großkotzig gewesen.

Doch unsere Entscheidung hatte noch einen zweiten Grund: Hier hatten wir wenigstens den Hauch einer Chance, einen Zwischenstopp in einem Minidörfchen einlegen zu können. Auf dem Satellitenbild existierte es zwar so gut wie gar nicht, doch das konnte sich ja auch irren.

Wenn wir erwartet hatten, dass diese Strecke hart wird, so wurden wir jedenfalls nicht endtäuscht. Sie war mit das anstrengendste, das wir je erlebt hatten und wir schnauften wie zwei alte Dampflokomotiven auf Koks, die man aus dem Museum geklaut hatte um mit ihnen ein Wettrennen gegen einen D-Zug zu gewinnen. Kann es sein, dass man Anstrengungen genau wie Schmerzen immer wieder vergisst, so dass einem die aktuelle Anstrengung immer als die schwerste des Lebens vorkommt?

Nach den ersten drei Kilometer legten wir eine Frühstückspause ein und genossen die Belohnung die wir für unseren Aufstieg erhalten hatten. Der Blick über das Tal war gigantisch und das Geschenk, hier frühstücken zu können, war jeden Tropfen Schweiß wert, den es gekostet hatte.

Nach dem Essen streckten wir die müden Beine aus und dachten noch einmal über die natürlichen Schutzreflexe nach von denen wir gestern gelesen hatten. Welche dieser Schutzprogramme liefen wohl bei uns selbst? Und warum?

Mir fiel auf, das ich als Kind immer wieder einen Satz gehört hatte, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist: "Wenn du wirklich einmal als Abenteurer und Forscher leben willst, dann muss dir aber bewusst sein, dass du dann keine Familie haben kannst! Beides geht nämlich nicht." Dieser Glaubenssatz steckte noch immer tief in mir. Kann es also sein, dass diese Idee bei mir ein biologisches Dauerprogramm auslöste? Wenn ich mich damals gezwungen sah, mich zwischen meinem Lebensweg und meinem Wunsch nach Liebe, Partnerschaft, Familie und Sexualität zu entscheiden, dann könnte es gut sein, dass dies der Grund war, warum ich damals eine so große Bindungsangst aufgebaut und mit meine Sexualität und meine Männlichkeit aberkannt habe. Wen die Angst davor, meinen Lebensweg zu verlieren, wenn ich mich auf eine Partnerschaft einlasse noch immer akut ist, dann erklärt das auch, warum mein ganzer Organismus noch immer alles daran setzt, eine Liebesbeziehung zu verhindern um dieser Gefahr zu entgehen. Auf der körperlichen Ebene löste das dann die Vorhautverengung und die unvorteilhafte Haltung aus und auf der seelisch gedanklichen die Angst mich zu Öffnen, Schüchternheit und die Scham vor Sexualität und körperlicher Begierde. Ein ähnliches Prinzip könnte auch bei Paulina zur Aberkennung ihrer Weiblichkeit geführt haben. Auch wenn sich ihre Lebensthemen ganz anders zeigen, haben wir doch immer wieder festgestellt, dass die Kernschlüssel dahinter bei ihr und mir fast immer die gleichen sind. Gestern Abend erst ist sie bei einem Gespräch mit Heiko wieder auf ein zentrales Kernthema gestoßen, bei dem es sich um Existenzangst und Harmoniesucht drehte.

"Nenn mir ein Tier, das dir spontan einfällt, das gerade am besten zu deiner Lebenssituation passt!" forderte Heiko sie auf.

"Frosch!" sagte Paulina ohne zu überlegen und ohne sagen zu können, warum ihr genau dieses Tier in den Sinn kam.

Heiko schlug das Buch über die Botschaften der Krafttiere auf und schaute unter Frosch nach:

Die Botschaft des Frosches hat direkt mit seinem eigenen Charakter zu tun. Ein Frosch wird nicht einfach als fertiger Frosch geboren, sondern muss verschiedene Wandlungsphasen durchleben, in denen er seine gesamte Gestalt wechselt. Daher ist die zentrale Botschaft des Frosches die Wandlung, Veränderung und Erneuerung, sowohl auf körperlicher, als auch auf geistiger Ebene. Da Frösche Amphibien sind, sind sie zugleich auch Grenzgänger zwischen den Elementen Wasser und Erde, die beides ihre Lebensräume sind. Dies ist einer der Gründe, warum Frösche in vielen Kulturen als Botschafter und Vermittler zwischen der matteriellen und der geistigen, spirituellen Welt gelten. Oft wird er auch als Heiler, Seher und Kraftspender gesehen. Wenn einem der Frosch auf ungewöhnliche Weise begegnet, kündigt er zumeist eine große körperliche, seelische und/oder geistige Wandlung an. Zudem will er den Fokus auf die Kraft und die Schönheit der Natur lenken und dich einladen, dich mehr für die Wunder zu öffnen, die die Natur für dich bereithält. Er will dir helfen, Klarheit in dein Leben zu bekommen, mit alten Prozessen und Lebensthemen abzuschließen und dich von unnötigem Ballast jeglicher Form zu reinigen und zu befreien. Als jemand, der sich vom Ei zur Kaulquappe und schließlich zum Frosch wandelt, sagt er dir, dass Wandlungen möglich sind, auch wenn sie unmöglich ercheinen, und dass es sich lohnt, nicht aufzugeben. Es gibt immer einen Weg!

In vielen Kulturen ist der Frosch zudem das Symbol der Hebammen, also der Bote dafür, das etwas Neues auf die Welt kommt. Das muss sich jedoch nicht unbedingt auf ein neugeborenes Kind beziehen, sondern kann auch eine Idee, bzw. eine geistige oder spirituelle Schöpfung sein. Der Frosch als Tierbote kündigt dir also eine bevorstehende geistig spirituelle Wandlung an. Dir stehen nun völlig unerwartete neue Wahrnehmungen und Erfahrungen bevor. Dein geistiges Spektrum eröffnet sich auf eine Weise, die du nie für möglich gehalten hättest. Du wirst feinstofflicher und dir erschließen sich völlig neue Zusammenhänge.

Wie war das möglich? Bei Tausenden von Tieren die sie hätte wählen können, hätte keines ihre Situation besser beschrieben. Und noch etwas kam hinzu, das uns erst heute auf der Wanderung wirklich bewusst geworden ist. Keine Stunde vor dem Gespräch mit Paulina hatte Heiko einen Kuschelfrosch auf der Straße gefunden. Er lag am Boden in der Fußgängerzone und blickte uns mitleidig an.

„Können wir sie mitnehmen?“ fragte Rudi mit kleinen Herzchen in den Augen, „Biiiitte!“

Wir schauten uns an und mussten nicht lange überlegen.

„Keine Angst, Rudi!“ sagte ich, „sie darf mit.“

Heiko hob die Froschdame auf und fragte sie: „Wie heißt du denn?“

„Gundel!“ antwortete sie etwas schüchtern.

War es nicht verrückt, dass sie ausgerechnet ein Frosch war? Paulina wusste nichts von diesem Fund und auch wir dachten nicht mehr darüber nach, als wir mit ihr sprachen. Die Froschdame verbrachte zu diesem Zeitpunkt einige romantische Stunden mit Rudi in der Garage des Hotels.

"Tobi, was meinst du, hat es dann mit meinen Ohren auf sich?" fragte Heiko, nachdem wir eine Weile über die Thematik mit dem Abenteurer-Familienmensch-Konflikt gesprochen hatten.

Wir überlegten ein paar Sekunden.

Dann sagte ich: „Deine Lieblings-Highlights hatten damals, fast alle mit Musik und mit Lautstärke zu tun, oder?“

„Das stimmt,“ bestätigte Heiko, „durch die Überempfindlichkeit der Ohren und durch den Tinnitus konnte ich mich nicht mehr mit Partybesuchen, mit dem Raven und Tanzen und mit den Kinoabenden ablenken. Selbst die Autofahrten für Kurzurlaube und Frauenkontakte wurden unmöglich. Doch warum wurde es auch schlimmer, wenn ich mich in die Badewanne legte? Denn gegen heiße Entsäuerungsbäder spricht ja eigentlich nichts!"

„Gute Frage!“ stimmte ich zu, „aber vielleicht liegt es daran, dass die Bäder in der damaligen Situation lediglich dazu führten, dass du es länger durchgehalten hast, deinen Lebensweg zu ignorieren. Es waren kleine Erholungsoasen, die aber nicht wirklich zur Heilung sondern nur zu einer Verlängerung des Leides führten.“

„Das kann sein!“ sagte Heiko nachdenklich.

Später kamen wir noch auf einen weiteren Punkt. Biologisch betrachtet stehen die Ohren für die Wachsamkeit. Heiko hatte gespürt, dass die momentane Lebenssituationen in der er sich befand, auf Dauer nicht gut für ihn war. Sie stellte eine unbekannte Bedrohung für ihn dar, die er jedoch nicht genau lokalisieren konnte. Also stellten die Ohren auf Daueralarmbereitschaft, die es ihm ermöglichen sollte, den unbekannten Feind ausfindig zu machen. Doch dieser Feind war kein real existierender und somit konnte er auch nicht gefunden werden. Der schrille Pfeifton des Tinnitus hatte dabei etwa die gleiche Funktion wie der Warnton in einem abtauenden Kühlschrank. Er schrie um Hilfe, bis die Gefahrensituation beendet werden würde.

Plötzlich zuckte Heiko zusammen. Eine Raupe war auf sein Bein gekrabbelt und er hatte sich so erschreckt, dass er vom Stuhl gefallen wäre, hätte er auf einem gesessen. Wo kam die den plötzlich her?

Später schauten wir ihre Bedeutung im Buch nach und sofort wurde uns klar, dass auch sie nicht ohne Grund hier aufgetaucht war.

Die Botschaft der Raupe ist die Spirituelle Wandlung

Wenn dir eine Raupe auf ungewöhnliche Weise begegnet, weist sie dich auf eine große spirituelle Wandlung hin, die dir bevorsteht. (Der Frosch von Paulina prophezeite ihr gestern eine Wandlung auf der geistigen Ebene.) Vielleicht hast du in der letzten Zeit viel an dir gearbeitet und nun stehst du kurz davor, dass dein Bemühen Wirkung zeigt und die Wandlung eintrifft. Es kann aber auch sein, dass du nur deiner Intuition gefolgt bist und die  Wandlung dadurch unbewusst vorbereitet hast, ohne es selbst zu merken. Vielleicht weißt du schon genau, was kommen wird, vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall, wird es sich aber in Kürze offenbaren. Es mag sich um eine neue Partnerschaft oder der Liebesbeziehung drehen, um eine berufliche Veränderung, oder auch um einen neuen Schritt auf einem Heilungsweg oder in ein tieferes, spirituelles Bewusstsein. Um diese Wandlung wirklich vollführen zu können, wirst du etwas Altes loslassen müssen: alte Muster der Eifersucht, der leichten Reizbarkeit und der Ungeduld, sowie das Festhalten an Geld, Status oder materiellen Gütern. Die Wandlung wird dich in ein tieferes Bewusstsein mit mehr Gelassenheit und Leichtigkeit führen.

Das waren doch positive Aussichten!

Was unsere Wanderung anbelangte, hatten wir heute Glück. Das kleine Dorf bestand zwar nur aus einer Kirche und drei Häusern und die einzigen Menschen, die hier lebten waren der Pfarrer und seine Haushälterin, doch diese waren uns wohlgesonnen. Als ich den Pfarrer nach dem Dorf fragte, lachte er nur und meinte: „Ein Dorf? Hier gibt es kein Dorf! Die Häuser gehören zur Kirche!“

Das Wikipedia behauptet hatte, in Ladurs würden fast 200 Menschen leben, war dennoch auf eine Art nicht ganz falsch. Der Ort erstreckte sich nur auf einen Umkreis, der fast das ganze Gebirge mit einbezog. Die einzelnen Häuser waren also zum Teil kilometerweit verstreut und so war das Leben unseres Pfarrers ein recht entspanntes. Besuch bekam er nur selten und so freute er sich überdie beiden Fremdlinge, die da so unvermittelt vor seiner Tür standen. Er nahm uns auf und lud uns sogar zum Mittagessen ein. Auch die alte Dame, die mit in dem Haus lebte und für den Haushalt zuständig war, freute sich über die Abwechslung. Beiden konnte man ansehen, dass sie bei Tisch schon lange keine Gesprächsthemen mehr gefunden hatten, über die sie sich unterhalten konnten. Da kamen so ein paar verrückte Weltreisende mit komischen Geschichten gerade recht. Und für uns bedeutete der Zwischenstopp, dass wir morgen wieder erholt, ans Werk gehen können, um die nächsten 20km bis nach St. Llorenç zurückzulegen. Und wo könnte man besser Kraft tanken, als auf einer ruhigen und schönen Alm inmitten der Pyrenäen?

Spruch des Tages:

88jährige Frau: willst du einen Hund oder einen Mann!

Mädchen: natürlich einen Mann!

Alte Frau: Warum? Willst du dir den Teppich versauen lassen, oder dein ganzes Leben?

Höhenmeter: 250 m

Tagesetappe: 8 km

Gesamtstrecke: 5618,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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