Polarbeit zur Lösung innerer Konfliktsysteme

von Heiko Gärtner
12.11.2016 00:59 Uhr

Fortsetzung von Tag 1039:

Die Polarbeit ist eine Methode der angewandten Pädagogikt, die sehr wirksam dabei hilft, einen inneren Konflikt zu erkennen und aufzulösen. Der erste Schritt besteht darin, sich die beiden Pole eines Konfliktes bewusst zu machen, den man bearbeiten will. Dies kann alles Mögliche sein, beispielsweise "Ich" und eine andere Person, mit der ich einen Konflikt habe, "Ich" und eine Krankheit, "Ich" und eine bestimmte Situation, die mir Kopfzerbrechen bereitet, aber auch zwei mögliche Gegensätze in einer Entscheidungsfrage wie "Festhalten" und "Loslassen", "Berlin" oder "Hamburg", "Platzhüter" oder "Nomade". Jeder Begriff wird dann jeweils auf ein einzelnes Blatt Papier geschrieben, die dann im Abstand von einem guten Meter nebeneinander auf den Boden gelegt werden. Nun stellt sich der Klient zunächst hinter eines der beiden Schilder und macht dann einen ganz bewussten Schritt nach vorne, um sich direkt auf das Blatt zu stellen. Dabei fühlt er sich vollkommen in die Situation, den Menschen oder die Entscheidung ein und teilt all seine Gefühle, Emotionen und Körperempfinden laut mit. Wenn er seine Gefühle zum ersten Stellvertreterbegriff wahrgenommen hat, macht er wieder einen bewussten Schritt nach hinten und tritt somit aus dieser Rolle heraus. Dann wechselt er zum nächsten Blatt auf dem Boden und macht auch hier wieder einen bewussten Schritt hinein um alles zu spüren, was es zu spüren gibt.

Als drittes stellt er sich genau in die Mitte zwischen die beiden Schilder und befindet sich damit genau an dem Punkt, an dem der Konflikt selbst alm stärksten ist. Auch hier nimmt er nun wieder einfach nur wahr, was in ihm aufsteigt und was gefühlt werden will. Anschließend macht er dann einen Schritt nach vorne aus dem Konflikt heraus. Was hat sich verändert? Was fühlt er nun? Wird er irgendwo festgehalten? Zieht es ihn irgendwo hin? Tut etwas weh? Wird estwas leichter oder schwerer? Entsteht irgendwo ein Druck? Gibt es etwas, das nun getan oder speziell angeschaut werden muss? Was verändert sich mit weiteren Schritten nach vorne? welche Bilder, Gedanken, Ideen steigen in ihm auf? Fällt es ihm leicht, aus dem Konflikt herauszutreten oder nicht? Ab wann fühlt es sich wirklich an, als hätte man den Konflikt hinter sich gelassen? Der Heiler betreut diesen Prozess und achtet darauf, ob das, was der Klient sagt authentisch wirkt oder nicht. Er stellt Fragen und leitet den Klienten so, dass er bei der Erkenntnissfindung vorankommt. Wenn es wirkt, als würde der Klient ins Stocken kommen, dann kann es oft hilfreich sein, ihn noch einmal einen oder einige Schritte weiter gehen zu lassen. Wenn er dabei das Ende des Raumes erreicht hat, kann er auf der Stelle weiter gehen und sich dabei vorstellen, er ginge noch immer nach vorne. Für den inneren Prozess macht das keinen Unterschied.

Zunächst war wieder Heiko an der Reihe. Er beleuchtete dabei den Konflikt zwischen sich und seinen Ohrgeräuschen, wobei er "Ich" auf den einen und "Ohrgeräusche" auf den anderen Zettel schrieb. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich den gesamten Prozess nicht mehr im einzelnen wiedergeben kann, obwohl er sehr spannend und sehr tief war. Auffällig war jedoch, dass es Heiko zunächst sehr schwer fiel, aus dem Konflikt herauszutreten und dass er es nur mit sehr kleinen, zögerlichen Schritten tat. Warum? Auf der einen Seite wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass die Ohrgeräusche verstummten, doch auf der anderen Seite wusste er auch, dass sie ein wichtiger Emotionstrainer für ihn waren. Sie waren es, die ihn immer wieder dazu animiert hatten, weiter zu forschen und immer mehr zu sich selbst zu finden. Sie waren es, die ihm gezeigt hatten, was ihm alles Energie und Kraft entzog, welchen Situationen er sich nicht mehr aussetzen wollte und wann es an der Zeit war, offen und ehrlich seine Meinung zu vertreten, zu sich zu stehen und eine klare Grenze zu ziehen. Was war nun also, wenn dieser Emotionstrainer plötzlich verschwand? Würde er dann seinem Lebensweg noch immer genauso folgen, oder würde er wieder in alte, selbstzerstörerische Muster zurückfallen? Er glaubte es nicht, aber ganz sicher sagen konnte er es auch nicht. Selbst Benjamin, der lange Zeit unter einem Tinnitus gelitten hatte und der dadurch für weite Strecken einen ähnlichen Weg gegangen war wie Heiko, hatte sich wieder in Situationen begeben, von denen er wusste, dass sie ihm schadeten, nachdem es in seinen Ohren wieder ruhig geworden war. Um sicher zu gehen, dass dies nicht passierte, brauchte Heiko einen anderen Emotionstrainer, einen sanften, angenehmen, der ihn nicht mehr belastete, der ihm aber trotzdem stets sagte, was gut für ihn war und was nicht. Am liebsten waren ihm dabei Tiere, die ihm Signale gaben, denn zu ihnen hatte er den besten Bezug. Als wir später noch einmal austesteten, was sich durch diese Heilung verändert hat, kam heraus, dass der Permanent-Tinnitus tatsächlich gelöst wurde, dass aber weiterhin einige Konfliktschienen aktiv sind, durch die zeitweilig gewisse Ohrgeräusche ausgelöst werden. Im Laufe des Prozesses tauchte Heiko vor seinem inneren Auge zwei mal als kleiner Junge auf. Einmal in einer Latzhose und einmal als verspieltes Kind mit einem lustigen Hut auf dem Kopf. Der zweite war Heikos Humor, der sich verletzt fühlte, weil er in Heikos Heilarbeit nicht den Platz hatte, den er eigentlich haben sollte, da gerade dieser positive, heilsame Humor eine von Heikos ganz besonderen Stärken ist.

Während der Polarbeit kamen wir aber auch noch auf ein anderes Thema, das ebenfalls mit den Ohrgeräuschen verbunden war. Dieses Thema war Schuld. Ein Schuldgefühl, hauptsächlich seinen Eltern gegenüber, dafür dass er frei in der Welt umherzog und im Alter nicht bei ihnen sein würde. Es war ein subtiles Gefühl, das nicht auf einer Forderung oder einer Schuldzuweisung seiner Eltern beruhte, sondern auf Glaubenssätzen, die er in sich trug und die ihm sagten, dass man nun einmal für seine Eltern da sein müsse, auch wenn dies dem eigenen Lebensweg widersprach. Sie waren verbunden mit dem Gedanken, sich immer wieder für das rechtfertigen zu müssen, was er war und machte. Diesen Glaubenssatz ersetzte er im Laufe der Polarbeit durch den Entschluss frei und ohne Schuldgefühle seinen Weg zu gehen, was immer auch passieren mochte. Auch damit konnte noch einmal ein großer Teil in ihm gelöst werden. Das Ergebnis spürte er gleich am nächsten Tag in Form von heftigen Schulterschmerzen, da nun seine Schultermuskulatur, die bislang über der Last der Schuld gelitten hatte, in die Heilungsphase übergehen konnte. Und wie so oft sind es gerade die Heilungsphasen in denen wir die meisten Schmerzen spüren. Alles in allem konnten durch die Polarbeit und die vorhergehende Heilsitzung 99,9% der betrachteten Konflikte gelöst werden. Der verbleibende Rest sind die Konfliktschienen der Ohrgeräusche, die es noch aufzulösen gilt. Der Konflikt, den ich betrachten wollte war der zwischen mir und meiner Mutter, aber wie auch bei Heiko dehnte er sich auf so ziemlich alle Bereiche meines Lebens aus, mit denen ich gerade am Hadern war. Als ich mich auf das Schild mit "Ich" stellte, fühlte ich sofort eine schwere Last auf meinen Schultern. Ich war nach vorne gebeugt wie eine Schildkröte, versuchte mich zu schützen und zu verstecken. Maxi forderte mich auf, einen Blick in die Richtung zu werfen in der das Schild mit "Mein Mutter" lag. Sofort wurde ich von Aufregung und Nervosität übermannt. Ich konte fast nicht hinschauen und musste mich regelrecht dazu zwingen. Je länger ich hinschaute, desto stärker wurde das Gefühl der Unruhe und der Aufregung in mir, zu der sich nun auch noch Wut gesellte.

Als ich kurz darauf auf dem Schild mit "Meine Mutter" stand um mich in sie einzufühlen, blockte mein Verstand hingegen fast alles ab. Ich spürte einen Schmerz im Knie und noch einige andere Empfindungen, konnte aber nichts richtig zu lassen. Maxi drängte mich, mich mit dem Spüren zu beeilen, da ich sonst nur immer weiter in meinen Kopf kam und mir dann Gedankengefühle erdachte, die niemandem halfen. Auf der Konflikt-Position in der Mitte der beiden Pole kam plötzlich eine Seltsame Ruhe in mir auf. Hier konnte ich sowohl zu mir als auch zu meiner Mutter blicken ohne in Panik zu geraten. Es war wie eine Leere, die hier herrschte. Ein Schritt aus dem Konflikt heraus war bei mir mit dem gleichen Widerstand verbunden wie zuvor bei Heiko in seinem Konflikt mit dem Tinnitus. Ein weiterer Schritt fühlte sich an, als würde ich hinten an den Schulterblättern zurückgehalten, wie durch zwei dicke Seile, die meine Schultern einmal mit dem "Ich" und einmal mit "Meiner Mutter" verbanden. Beim nächsten Schritt fühlte es sich sogar an, als würden mit die Beine nach hinten weggerissen, so als wäre ich auf eine Eisfläche getreten, auf der meine Füße einfach keinen Halt finden konnten. Bereits vor der Polarbeit hatte uns Julie das Konzept der Seelenverträge beschrieben. Es kam immer wieder vor, dass Seelen auf eine bestimmte Art miteinander verwoben waren, weils sie bereits vor Beginn dieses Lebens eine Art Pakt miteinander geschlossen haben, um auf diese Weise gemeinsam die Liebe auszudehnen. Dies konnte auf unterschiedlichste Weise geschehen und oft hatte es auch einen tieferen Sinn, um jeder Seele gewisse wichtige Erfahrungen zu ermöglichen. Es konnte sogar sein, dass eine Seele die Erfahrung machen wollte, vergewaltigt oder ermordet zu werden und daher einen Vertrag mit einer anderen Seele einging, die ihr diese Erfahrung ermöglichte. Natürlich ist dies eine bildliche Erklärung, die uns dabei hilft, die Seelenverstrickungen zu verstehen, die wir in unseren Traumgeschichten erleben. Wenn alles eins ist, gibt es natürlich auch nur ein Bewusstsein, folglich nur eine Seele und damit auch keine echten Verträge zwischen niemanden. Solange wir uns jedoch als getrennte Wesen in unserer eigenen Traumrealität wahrnehmen, können wir uns jedoch mit anderen Wesen, also anderen Aspekten von uns selbst verstricken. Wie gesagt, oft haben diese Verwebungen ihren Sinn, doch genauso oft kommt es vor, dass man sich darin verfängt und einem Vertrag nachjagt, der längst erfüllt wurde oder der beiden beteiligten das Leben schwerer macht, als es eigentlich ist. In diesen Fällen ist es hilfreich, die Verträge zu lösen, so dass man sich wieder frei und unbefangen begegnen kann, ohne in vorbestimmten Bahnen laufen zu müssen.

Nun fragte mich Julie, ob ich vor meinem geistigen Auge solche Verträge zwischen mir und meiner Mutter erkennen konnte. Sofort tauchte ein ganzer Stapel vor mir auf, der bis über meinen Kopf hinaus ragte. Ich musste fast lachen als ich ihn sah, weil es einfach so offensichtlich war. "Wenn du möchtest, kannst du diese Verträge lösen, indem du sie mit einer violetten Flamme verbrennst." erklärte mir Maxi. In meiner linken Hand tauchte nun eine Fackel mit einer violetten Flamme auf. "Du kannst auch gerne einen Brandbeschleuniger verwenden, wenn es dir hilft", fuhr Maxi fort. Ich griff die Idee dankbar auf und stellte mir vor, wie ich nun einen Kanister Benzin über die Seelenverträge goss und sie dannn in Brand setzte. Sie loderten auf und brannten innerhalb von Sekunden lichterloh. Dann zerfielen sie zu schwarzer Asche, die aus einander stob. Einen ähnlichen Stapel mit Verträgen hatte ich auch mit mir selbst geschlossen. Er war nicht ganz so Hoch aber immerhin noch gute zwanzig bis dreißig Zentimeter dick. Ich entdeckte ihn einige Zeit später, als ich herausfinden wollte, ob ich mich nun von meiner Mutter gelöst hatte oder nicht. Nachdem das Feuer erloschen war, ging ich einige Schritte weiter und fühlte in mich hinein, was sich nun verändert hatte. Dabei kamen zwei widersprüchliche Gefühle in mir auf. Auf der einen Seite spürte ich schon ein Gefühl der Erleichterung. Der Druck auf meinen Schultern hatte nachgelassen und ich konnte freier atmen. Auf der anderen Seite gab es aber auch diese Verstandesstimme, die die gesamte Heilung anzweifelte und mir sagte, dass es nichts bringen würde, weil später eh wieder alles beim Alten war. Es war nicht so, dass ich nicht an diese Form der Heilung glaubte. Ich war sogar fest davon überzeugt, dass sie hervorragend funktionierte. Ich glaubte nur nicht daran, dass sie bei mir wirkte. Bei allen anderen war ich mir sicher, aber ich selbst hielt mich für einen hoffnungslosen Fall, der immer in dieser Spirale der Nichtentwicklung gefangen bleiben würde. Wenn ich nun das Gefühl hatte, etwas gelöst zu haben, dann würde sich dies sicher in naher Zukunft wieder nur als ein Trick meines Verstandes herausstellen, mit dem ich mich selbst verarschte. Diese Angst war da und sie war so groß, dass sie mich belastete und runter zog, so dass kein Gefühl der Befreiung eintreten konnte.

Die nächsten Schritte der Heilung drehten sich genau um diese Punkte, nur kann ich nun nicht mehr genau sagen, in welcher Reihenfolge sie stattgefunden haben. Ein wichtiger Bestandteil jedenfalls war das Lösen einer Kordel in meinem unteren Lendenwirbelbereich, die mich mit der Existenzangst verband. Sie war der Grund, warum ich permanent an allem zweifelte und sie verursachte auch die häufigen Rückenschmerzen in diesem Bereich. Zu gerne nur wollte ich sie lösen, doch ich glaubte mir selbst nicht, dass ich es konnte. Wie sollte ich herausfinden, ob ich sie wirklich gelöst hatte, wenn ich sie nun trennte und dass es sich dabei nicht nur wieder um eine Einbildung handelte? "Bitte doch einfach um ein Zeichen!" schlug Maxi vor. "Wenn du sie wirklich gelöst hast, dann lass es dir durch irgendetwas bestätigen. Es muss nicht hier und heute passieren. Meist kommt die Bestätigung innerhalb der nächsten zwei Tage. Wenn sie kommt, weißt du dass es passt, wenn nicht weißt du, dass es nicht geklappt hat." Bei seinen Worten kam mir sofort eine Begegnung mit einem Fuchs in den Kopf. Auf irgendeine Weise sollte mir ein Fuchs begegnen, wenn die Lösung der Kordel erfolgreich war. Nachdem das nun geklärt war, bat ich auch gleich den Fuchs, die Kordel durchzubeißen und damit von meinem Rücken zu lösen. Ein anderer Schritt war die Verbindung zur Allenergie, sowie zu Mutter Erde und zum Kosmos. Julie und Maxi baten mich, mir eine strahlende Lichtquelle über meinem Kopf vorzustellen, die nach unten ströhmte und mich wie eine Lichtsäule durchstrahlte, so dass ich von der göttlichen Allenergie erfüllt wurde. Ich konnte diese Energiequelle über mir ausmachen, doch sie drang nicht zu mir durch. Es war, als würde ich von einem grauen Schleier umgeben, der alles Licht und damit alle Lebensenergie von mir abschirmte. Was ich auch versuschte, das Licht wollte mich einfach nicht erreichen. Oder besser gesagt, mein eigener Glaube ließ nicht zu, dass es mich erreichte. Um mich dennoch verbinden zu können, kamen mir Julie und Maxi zu Hilfe. Maxi stellte sich mir gegenüber und nahm meine Hände, während Julie die ihren auf meinen Rücken legte. Dann führten sie mich gemeinsam durch den Prozess. Es ging darum, dass ich mir die Verträge anschauen wollte, die ich mit mir selbst geschlossen hatte, dass ich darauf aber weder einen Text noch ein Bild oder sonst einen Gedanken erkennen konnte. Mein Verstand blockte alles ab. Nun, da Maxi sich mit mir verbunden hatte, konnte er die Bilder auf dem Vertrag erkennen. Es war das Bild eines Zirkus, in dessen Manege eine schwarzgekleidete Frau mit einem kleinen Käfig in der Hand stand. In diesem Käfig waren viele kleine Tiere gefangen und diese Tiere waren meine Gefühle. Sofort tauchte nun die gesamte Szenerie vor meinem geistigen Auge auf. Wie so oft konnte ich kein Gesicht bei der Frau ausmachen, aber ich wusste trotzdem, dass es meine Mutter war. Ich selbst stand am Rande der Manege und schaute zu, wie sie den Käfig in der Hand hielt, in dem sich meine Gefühle als kleine, kränkliche und verkümmerte Tiere zusammenkauerten. Alles in diesem Zirkuszelt war entweder schwarz oder rot. Andere Farben gab es nicht und die ganze Szene wirkte so bedrohlich und düster, wie in einem Horrorfilm.

"Kannst du die Käfigtür öffnen?" fragte Maxi. "Ja!" sagte ich und vor meinem geistigen Auge öffnere sich die Tür des Käfigs. Wie ein Insektenschwarm strömten die Tiere heraus und liefen oder flogen nun immer im Kreid im Zirkuszelt herum. Sie waren noch immer schwarz und verkümmert und steckten voller Angst. "Wo stehst du?" fragte Maxi, "und welchen Bezug hast du zu den Gefühlstieren?" "Ich stehe am Rand der Manege und schaue ihnen zu, wie sie um mich herumkreisen", antwortete ich. "Ist das nicht etwas seltsam, dass sich deine Gefühle nun frei bewegen und du selbst unbeteiligt am Rand stehst? Kannst du sie Bitten, zu dir zu kommen?" Ich versuchte es und sah nun, wie der Schwarm der Gefühlstiere auf mich zugeschossen kam und direkt in meine Brust hinein flog. Es war nun ein ganz schönes Gefühlschaos in mir, ein ordentliches Durcheinander, aber es fühlte sich gut und lebendig an. "Gibt es einen Ausgang aus dem Zirkuszelt?" fragte Maxi weiter.

Ja, den gab es wirklich! Ich trat aus der Manege und schlüpfte durch die Lücke in der Zeltplane hindurch. Dabei löste sich das Horrofilmfeeling langsam auf. Alles wurde bunter und farbenfroher. Draußen war eine Wiese auf der ich nun zunächst ein Stück zu Fuß ging. Dann begann ich zu fliegen und landete schließlich in meinem inneren Medizinort auf einem Felsen. In gewisser Weise fühlte es sich nun freier und lebendiger in mir an, aber es war noch immer eine Schwere da, die nicht verschwinden wollte. Ich weiß auch noch, dass Maxi einen zweiten Vertrag betrachtete, den ich mit mir selbst geschlossen hatte, nur weiß ich nicht mehr genau, was dieser beinhaltete. Es ging dabei um irgendetwas, das in meiner Schulter und in meinem Rücken steckte und das ebenfalls befreit und geheilt werden wollte, aber ich kann leider nicht mehr sagen, was es genau war. Was ich aber weiß ist, dass ich meine Angst betrachten wollte, die mich davon abhielt, wirklich loszulassen und einfach ich zu sein. Dazu veließ ich meinen Medizinort noch einmal und fand mich in einer Höhle wieder. Vor meinem geistigen Auge erschienen nun zwei Korbhocker. Auf dem ersten nahm ich Platz und auf dem zweiten ließ sich die Angst nieder, die ich betrachten wollte. Sie war ein diffuses, schwarzes Wesen, das wie ein lebendiger, dreidimensionaler, wabernder Schatten aussah. Julie fragte mich, was diese Angst brauchen würde, damit ich sie loslassen konnte, doch auch hierbei war zunächst alles diffus und unklar. Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich auch jetzt nicht genau, was im einzelnen geschehen ist. Ich weiß, dass ich versucht habe sie zu umarmen und und ihr Liebe zu schicken. Beim Umarmen war es, als wäre sie aus einer Art Gelee, in das ich einsank. Dann holte ich meine Mutter hinzu, die links seitlich hinterhalb des Angstschattens auftauchte. Ich erkannte, dass es ihre Angst war, die ich hier übernommen hatte und nun wollte ich sie ihr zurückgeben. Dazu flutete ich die Höhle mit Liebe in Form eines hellen Lichtes, das überall auftauchte, ohne eine direkte Quelle zu haben. Nur im Umkreis um meine Mutter war es, als würde das Licht abgestoßen wie bei gleichpoligen Magneten. Die Angst wurde nun zu einer kleinen Kugel, die ich in der Hand hielt und meiner Mutter geben wollte. Sie wollte sie jedoch nicht annehmen und so war ich erst etwas verzweifelt bei dem Versuch, sie ihr irgendwie aufzuzwingen. Erst als Maxi mir riet, wieder die Liebe als Boten hinzuzunehmen und die Angst nicht selbst zu übergeben sondern dorthin tragen zu lassen, wo sie hingehörte. Dies funktionierte und so kam die Angst nun bei meiner Mutter an, die sich noch immer wild dagegen sträubte. "Ist dies deine Verantwortung?" fragte Maxi.

 

"Nein!" wurde mir in diesem Moment bewusst. Es war ihre. Es war ihre Verantwortung, die ich schon viel zu lange übernommen hatte und die ich noch immer nicht loslassen konnte, so dass wir beide nicht ins Lernen kommen konnten. Noch immer fühlte ich mich Schuldig, sie dort in der Höhle so mit der Angst kämpfen zu sehen, die sie von mir zurückerhalten hatte. "Eine einzige Sache darfst du für deine Mutter noch machen, bevor du sie wirklich loslässt und ganz ihrem eigenen Weg überlässt!" sagte Maxi, "Du darfst ihr und der Angst noch einmal Liebe schenken." Der Bereich um die beiden wurde nun vollkommen von einem gleißenden Licht erfüllt, dass so hell strahlte, dass sie gänzlich darin verschwanden. Und dennoch fiel es mir schwer, meinen Blick von der Stelle zu lösen, an der sie gestanden hatten. Noch immer war da dieses Schuldgefühl und das fehlende Vertrauen darin, dass ich überhaupt in der Lage war, loszulassen. Irgendwann löste ich mich doch, verließ die Höhle und trat hinaus ins Freie, um meinen Lebensweg zu gehen. Er führte mich durch einen Wald mit hohen, alten Fichten in dem es nach Moos, Erde und natürlich nach Fichte roch. Hier gesellte sich auch ein Fuchs zu mir, der mich eine ganze Weile begleitete. Ich selbst machte mir deswegen keine Gedanken, es war eben einfach der Fuchs, der mir zuvor bei der Trennung der Kordel zu meinem Rücken bereits geholfen hatte. Die anderen drei hingegen hielten es kaum aus, dass ich die Bedeutung des Fuchses nicht erkennen konnte. Ich hatte mir nur kurze Zeit zuvor genau eine solche Begegnun mit einem Fuchs gewünscht, als Zeichen, dass die Heilung erfolgreich war und nun, da er auftauchte nahm ich es nicht einmal als Zeichen wahr.

Der weitere Verlauf ist wieder einmal schwammig in meiner Erinnerung. Es ging darum, dass ich dieses Gefühl hatte, funktionieren zu müssen und dass ich glaubte, selbst von mir aus keine Daseinsberechtigung zu haben. In meinem eigenen Lebensfilm sollte ich eigentlich die Hauptrolle spielen und der wichtigste Mensch, bzw. das wichtigste Wesen sein. Doch ich nahm es genau anders herum wahr. Ich selbst empfand mich als unwichtigsten Menschen in meinem Leben und versuchte stets, es allen Recht zu machen. Nicht weil ich es wollte und weil es mich freute, einen Beitrag zu leisten, sondern weil ich mich dazu verpflichtet fühlte, um überhaupt existieren zu dürfen. Ich empfand mich nicht als gut oder richtig und ich konnte mich selbst einfach nicht lieben. Noch immer nicht. In der Vision trat ich nun mir selbst gegenüber, reichte mir die Hände und versuchte mir Liebe zu schenken und mich für das zu lieben was ich war. Doch es wollte nicht gelingen. Maxi bat mich, mich selbst aus der Perspektives des Fuchses zu sehen und dann noch einmal in mich hineinzufühlen, ob er mich lieben konnte. Als Fuchs war es kein Problem, nur als Ich konnte ich es nicht.

"Was wäre, wenn du plötzlich nicht mehr funktionieren würdest?" fragte Julie und forderte mich auf, mit diesem Gedanken weiterzugehen. Es fühlte sich befreiend aber auch verwirrend an. Zu funktionieren gab mir Halt und Orientierung, auch wenn es mir sonst alles nahm. Irgendwie galt es nun, den Unterschied für mich selbst herauszufinden, zwischen dem Funktionieren und dem Erledigen von Aufgaben, zu denen ich mich verpflichtet fühlte und dem Folgen meines Herzens. Ich musste nicht wirken, niemand verpflichtete mich dazu. Meine einzige Aufgabe war es zu leben. Ein Fuchs erfüllt seine Lebensaufgabe auch nicht, weil er es muss. Er lebt einfach, folgt seiner Intuition und erfüllt seine Lebensausgabe dabei ganz automatisch, fast ausversehen.

Fortsetzung folgt ...

Spruch des Tages: Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft. (Marie von Ebner-Eschenbach)

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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