Der Pilgerweg nach Sinj

von Heiko Gärtner
08.06.2015 00:49 Uhr

Heute verließen wir Bosnien und kehrten fürs erste nach Kroatien zurück. In den kommenden Tagen werden wir aber wohl noch öfter über die Grenze und wieder zurück hüpfen. Zunächst wandern wir nach Sinj, dann nach Split. Beides liegt in Kroatien. Dann aber geht es weiter nach Medjugorje, also zurück nach Bosnien. Anschließend wollen wir nach Dubrovnik, einem der bekanntesten kroatischen Küstenorte. Doch um dorthin zu gelangen werden wir wahrscheinlich auch noch einmal aus Bosnien aus- dann wieder ein und schließlich noch einmal ausreisen. Wenn es bei jedem Grenzübertritt einen Stempel gibt, dann ist unser Reisepass anschließend wahrscheinlich bereits voll und wir haben nur ein einziges außereuropäisches Land besucht.

Die Grenzposten waren auf ihre weise wieder einmal wahre Spaßbringer. Auf bosnischer Seite gab es einen einzigen Beamten, der Englisch sprach, auf kroatischer überhaupt keinen. Wie das möglich war, war uns ein Rätsel. Es reisten doch nicht nur Einheimische hin und her und nicht jeder Grenzübertritt verlief absolut problemlos. Doch sobald einer eine Frage hatte oder irgendetwas unklar war, waren die Beamten aufgeschmissen. Bei vielen Berufen spielt es ja wirklich kaum eine Rolle, ob jemand Fremdsprachenkenntnisse hat oder nicht, aber als Mitarbeiter von Touristeninformationsbüros und als Beamter an Grenzübergängen sollte man schon meinen, dass es eine Voraussetzung ist.

Die bosnischen Beamten schlugen uns daher einfach den Ausreisestempel in den Pass und winkten uns durch. Auf der kroatischen Seite wurden wir von einem jungen Mann kontrolliert, der so mit Steroiden aufgepumpt war, dass wir ein bisschen Angst hatten, er würde vor unseren Augen zerplatzen. Sein Deutschwortschatz war nicht viel größer als unsere Kroatischkenntnisse, doch er wollte zeigen, was er draufhatte und packte ihn aus, so gut es ging.

„Habt ihr etwas zu verzollen?“ fragte er schließlich, „Marihuana zum Beispiel oder irgendwelche anderen Drogen?“

„Nein!“ sagten wir und schüttelten amüsiert den Kopf, „Nur etwas Obst. Ein Paar Pfirsiche und Bananen, aus dem kleinen Laden dort drüben.“

„Aha!“ sagte er und war mit der Antwort vollkommen zufrieden.

Ob er die Leute wohl immer so kontrollierte? Was erhoffte er sich davon? Glaubte er ernsthaft, dass jemand der wirklich Drogen schmuggeln wollte, seine Frage mit Ja beantwortete?

„Oh, stimmt jetzt wo du es sagst! Ich habe ein Kilo Koks dabei! Aber das ist kein Problem oder? Es ist auch ganz frisch und sicher nicht mit irgendwelchen Krankheitserregern belastet.“

Wenn er nach Alkohol und Zigaretten gefragt hätte, dann hätte das ja vielleicht noch klappen können. Aber so war das Szenario doch eher unwahrscheinlich.

Spannend war auch, dass der Pilgerweg, dem wir nach Sinj folgten mitten durch den Wald an dem Grenzposten vorbei führte. Wie uns der Mönch gestern gesagt hatte, war er erst ganz neu ausgeschrieben worden und noch keine zwei Jahre alt. Wieso also hatte man ihn um die Grenze herumgebaut? Für Einheimische, die eh eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für beide Länder haben, spielt das natürlich keine Rolle. Aber um Touristen ins Land zu holen, ist der Weg so nicht besonders schlau gelegt. Vor allem deshalb, weil er eigentlich in die andere Richtung ausgeschrieben ist, also von Sinj nach Bosnien. Jeder Europäer, der ihm also folgt und nicht weiß, dass er über eine offizielle Grenze muss, reist so automatisch ausversehen illegal nach Bosnien ein und bekommt einen Haufen Probleme. Alle Pilger, die vorhaben diesen Weg einmal zu wandern, was wir noch immer wärmstens empfehlen können, sollten also unbedingt darauf achten, dass sie kurz vor der Grenze nicht dem Pilgerweg, sondern der Hauptstraße folgen. Kurz danach kreuzen sich beide dann eh wieder und man kann zurück auf den schönen Weg. Zumindest heute war aber auch die Hauptstraße nur wenig befahren, weshalb das ganze auch kein Problem war.

Ungefähr einen Kilometer nachdem wir die Grenze überquert hatten, bogen wir dann wieder auf den Sinj-Weg ab und folgten ihm in die Berge. Es war heute so heiß, dass wir buchstäblich schmolzen. Nach neun Kilometern erreichten wir dann einen kleinen Ort mit nur drei Einwohnern und einem großen Wildgehege. Hier gab es außerdem einen Picknickplatz mit Bänken und einem Dach, das uns Schatten spendete. Da der nächste Ort noch einmal weitere 11km entfernt war, beschlossen wir hier zu bleiben und am Abend unser Zelt aufzustellen. Heiko hatte zwei Hühneraugen am Fuß, die auf dem felsigen Untergrund bei jedem Schritt schmerzten. Vor allem auch deshalb, weil die Füße durch die Hitze eh schon angeschwollen und aufgeweicht waren.

Kaum hatten wir uns hingesetzt, kam auch schon ein Mann aus dem Wald und steuerte direkt auf uns zu. Trotz des Gewehrs in seiner Hand wirkte er freundlich und er schien sich wirklich zu freuen, uns zu sehen. Englisch oder Deutsch sprach er nicht, aber es gelang uns dennoch, uns irgendwie zu verständigen. Nach einem kurzen Gespräch bot er uns Bier an, das wir jedoch in einen Saft ummünzen konnten. Außerdem bekamen wir etwas Brot mit Schweinespeck. Es ist wirklich der Wahnsinn! Egal wo man hier jemanden um Essen bittet oder zu welcher Tageszeit, man kann fast zu 90% davon ausgehen, dass man Brot mit Schweinespeck und anderen Schweinefleischprodukten bekommt. Das erschreckende dabei ist aber nicht, dass wir es bekommen, sondern dass die Menschen wirklich nichts anderes im Haus haben. Sie scheinen sich also fast ausschließlich davon zu ernähren und das bereits seit wir Kroatien zum ersten Mal betreten haben.

Ebenso verstörend ist, dass man trotz der Einsamkeit hier fast nie einen ruhigen Platz findet. Wir befinden uns nun bereits seit Wochen in einer Region, in der im Schnitt nicht mehr als 5 Menschen auf einem Quadratkilometer wohnen und doch schaffen sie es, überall Lärmquellen zu installieren. Gerade sind wir wieder umgeben von einem verstörten, in einen Zwinger eingesperrten Hund, der ununterbrochen kläfft und von einem Mann, der irgendwo weiter unten im Tal seinen Rasen mit einem Seitenschneider trimmt. Wie schafft man es, an so idyllischen Plätzen trotzdem so viel Unruhe zu erzeugen?

Spruch des Tages: Die Erde hat genug für die Bedürfnisse der Menschen, aber nicht für Ihre Gier. (Mahatma Gandhi)

 

Höhenmeter: 270m

Tagesetappe: 17km

Gesamtstrecke: 9381,77 km

Wetter: sonnig und heiß, später plötzliche Regengüsse

Etappenziel: Wanderunterstand, 21245 Ljut, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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