San Giovanni Rotondo

von Heiko Gärtner
30.03.2016 16:37 Uhr

18.01.2016

Besonders informativ waren unsere Gastgeber nicht. Beim Abendessen fragten wir, ob es einen Pilgerweg nach San Giovanni Rotondo gäbe. Die Antwort lautete ja, doch keiner von ihnen war ihn je gegangen und niemand wusste, ob er mit unseren Wagen passierbar war. Auch was die Übernachtungsmöglichkeiten und die Anlaufstellen für Pilger in Padre Pios Heimatstadt anbelangte, hüllten sie sich in einem Mantel aus Unwissenheit. Kloster gäbe es ihrer Ansicht nach keine, zuminest keine die uns helfen würden. Pfarrer gäbe es zwar, aber ob die hilfreich waren, konnten sie uns auch wieder nicht sagen. Stattdessen begannen sie eine Klosterinterne diskussion über die Pfarrer aus dem Nachbarort, an der wir nun nicht mehr beteiligt waren. Überhaupt stellten wir fest, dass sie uns erstaunlich wenig Beachtung schenkten. Normalerweise fragten die Menshen schon immer wieder, wer wir waren und was uns dorthin verschlagen hatte, wo wir uns gerade befanden. Hier jedoch wurden diese Informationen direkt von Bruder zu Bruder ausgetauscht, ohne dass wir dazu benötigt wurden. Es war ein bisschen, als wären wir überhaupt nicht im Raum, obwohl wir trotzdem etwas zu essen bekamen. Besser hätte es also gar nicht sein können.

Santuario in San Giovanni Rotonda

Santuario in San Giovanni Rotonda

Am nächsten Morgen fragten wir einen weiteren Mönch, der sich das Abendessen hatte entgehenlassen. Von ihm bekamen wir genau die entgegengesetzten Antworten, wie von seinen Brüdern. "Der Pilgerweg? Ja den müsstet ihr mit den Wagen locker schaffen! Nein, selbst bin ich ihn noch nie gegangen! Einen kostenlosen Schlafplatz in San Giovanni Rotondo? Na da würde ich mich an eines der Klöster wenden!"

Wir waren also so schlau wie zuvor und machten uns wie üblich auf eigene Faust in die heilige Pilgerstätte auf. Wer keinen Wagen mit sich führt, sollte auf jeden Fall auf den Waldweg ausweichen, denn die Straße ist nicht besonders schön. Zum Glück aber auch nicht besonders lang, weshalb die Sache durchaus im Rahmen blieb. In San Giovanni Rotondo wurden wir passend zur Heiligkeit des Ortes zunächst einmal mit einem Schlagbohrer begrüßt, den ein Mann verwendete um eine Betonmauer einzureißen. Wie sonst hätte man sich einen Empfang in einer italienischen Pilgerstätte auch vorgestellt. Das "Santuario de San Pio" lag etwas erhöht oberhalb der eigentlichen Stadt. Hier befand sich ein altes Kapuziner-Kloster, in dem auch Padre Pio lange zeit gelebt hatte. Vor rund zehn Jahren hatte man dann zu Ehren des Kultheiligen einen eigenen Kirchenkomplex daneben gebaut. Er war nicht besonders schön, aber durchaus beeindruckend und erinnerte an diese futuristischen Gebäude die man sonst für Computermessen oder Weltausstellungen baut. Es war eines jener Gebäude, bei denen sich der Architekt richtig hatte austoben dürfen, nachdem er Jahrelang auf so störende Dinge wie Praktikabilität und Bewohnbarkeit hatte Rücksicht nehmen müssen.

Der Pilgerweg von San Giovanni Rotondo

Der Pilgerweg von San Giovanni Rotondo

Aus einem Grund den wir noch immer nicht verstanden, war Padre Pio vor einigen Wochen auf eine große Tournee geschickt worden. Er hatte den Papst in Rom besucht, der offenbar keine Lust hatte, sich selbst auf den Weg zu seinem verstorbenen Glaubensgenossen zu machen, und wurde danach noch in einigen anderen Städten zur Schau gestellt. Erst vor ein paar Tagen war er an seinen angestammten Platz zurückgekehrt und wurde für diesen Anlass mit einer großen Zeremonie begrüßt. Da der Architekt der San-Pio-Kirche wirklich keinen Wert auf Funktionalität gelegt hatte, musste man das ohnehin schon extravagante Gotteshaus noch mit einigen Flutscheinwerfern verziehen, die auf lange Metallstelzen montiert worden waren. Dadurch entstand dieser gewisse Baustellen-Flair, den man sich an Orten wie diesem ja immer sehnlichst wünscht. Aber wer hätte auch ahnen können, dass in einer Gedenkstätte für den berühmtesten Heiligen des Landes auch Licht benötigt wird. Durch die große Oberkirche gelangte man in einen mosaikverzierten Gang, der sich immer tiefer in die Erde wandt. Zur Linken waren hier Mosaike von den wichtigen Lebensstationen des heiligen Franziskus zu sehen. Rechts waren die vergleichbaren Stationen aus dem Leben von Pater Pio. Auch diese Wandgestaltung war Geschmacksache, doch sie war wirklich aufwändig und mit viel Liebe zum Detail gemacht worden.

Am Ende dieses Ganges befand sich die "Chiesa Inferiore" - die Unterkirche. An ihrem Eingang saß eine grimmige Bissgurke im Nonnengewand, die dem Schild mit "Information" das über ihrem Kopf hing nicht ganz gerecht wurde. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, den Besuchern eine Karte des Heiligtums zu überreichen, egal was dessen Frage auch gewesen sein mochte. Hatte man es jedoch an ihr vorbeigeschaft, dann erreichte man den halbrunden Innenraum der Kirche, der ebenfalls mit einem farbenfrohen Mosaik verziert worden war und ein wenig an den Hörsahl einer Universität erinnerte. Einer gold verzierten Universität wohlgemerkt. Dort wo der Professor normalerweise seine Tafel, mit den mathematischen Gleichungen aufstellte befand sich eine Plexiglasscheibe, durch die man in einen kleinen Innenraum sehen konnte. Dort lag er! Padre Pio. Der Andrang der Leute war zu diesem Zeitpunkt etwas zu groß, weshalb wir ihn zunächst nur aus der Ferne betrachteten. Er sah den vielen Statuen, die überall von ihm herumstanden erstaunlich ähnlich. Fast ein bisschen zu ähnlich! Dabei wirkte er übermäßig gut erhalten. Nicht auf eine Mumienart von gut erhalten, sondern eher auf eine Weise, die an eine Schaufensterpuppe erinnerte. "Man kann uns ja viel erzählen!" meinte Heiko, "aber das da ist nie im Leben die Leiche von Padre Pio! Das ist eine Puppe!"

Saint Padre Pio als Figur.

Saint Padre Pio als Figur.

Später fanden wir mit hilfe der bissigen Touristeninformationsnonne heraus, dass es beides war. Der Körper des Heiligen war echt und er lag auch in dem gläsernen Sarg. Doch er trug eine Maske aus Kunststoff, die sein Gesicht nachbildete. Fürs erste beendeten wir damit unseren Besuch im Santuario und machten uns auf die Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Anders als am Vortag war es heute überaus ungemütlich, kalt und nass, so dass wir wenig Lust hatten, viel Zeit im Freien zu verbringen. Stattdessen querten wir den großen und erwähnenswert rutschigen Kirchenvorplatz und huschten so schnell wie möglich in das Pilgerbüro. Mit Pilgern waren dabei natürlich wieder einmal keine Pilger im eigentlichen Sinne sondern sämtliche Besucher dieses Heiligtums gemeint. Den Titel Pilger bekam also jeder, der zufällig aus irgendeinem Grund in diese Stadt geraten war. Anders als Nonne mit den Haaren auf den Zähnen waren die Damen, die hier arbeiteten, jedoch freundlich und hilfsbereit. Eine von ihnen sprach sogar Deutsch und holte innerhalb weniger Minuten den Superior des Kapuziner-Klosters herbei, das für das ganze Spektakel hier verantwortlich war. Der Klostervater trug den treffenden Namen Francesco und war ein kugelliger Brummbär, der sich nicht allzu viel Mühe gab, seine Abneigung gegen den ganzen Touristenrummel zu verbergen. Mit gerunzelter Stirn hörte er uns an und bat dann um einen Beweis dafür, dass wir auch wirklich hier her gewandert und nicht wie alle anderen mit dem Bus gefahren waren. Unser Pilgerpass von Santiago, reichte ihm dafür aus. Dann bat er uns, ihn zu begleiten und führte uns in das Innere des Klosters, wo wir je ein Einzelzimmer bekamen. Zwanzig Mönche lebten hier und bis zu seinem Tod war Padre Pio ebenfalls einer davon gewesen.

Erst jetzt, wo wir Zeit hatten, in den Broschüren zu blättern die wir im Pilgerbüro erhalten hatten, wurde uns klar, wie "jung" Padre Pio war. Dass er lange Zeit nach San Franziskus gelebt hatte und selbst auch ein Franziskanerbruder war, das war uns bewusst gewesen. Doch wir waren immer davon ausgegangen, dass er ebenfalls schon seit mindestens zwei-, dreihundert Jahren tot sein müsste. Wahrscheinlich einfach deshalb, weil Heilige bei uns generell immer Leute aus längst vergangenen Zeiten sind. Doch Padre Pio war erst 1969 verstorben. Nach seinem Tod war er dann zunächst ganz normal bestattet worden und wurde dann vierzig Jahre später wieder ausgebuddelt und hier in der Kirche in den Glassarg gelegt, damit seine Fans ihn sich anschauen konnten. Wenn man es unter diesem Aspekt betrachtete, war es auch wieder nicht so erstrebenswert, ein Heiliger zu werden, wenn man dann nicht einmal im Tod seine Ruhe hatte, sondern aus seinem Grab gerissen und täglich von unzähligen Menschen angegafft wurde.

Bis zum Mittagessen hatten wir noch etwas Zeit und so drehten wir eine weitere Runde durch die Pilgerstätte. Es gab noch eine weitere Kirche, einen Kreuzgang und ein paar andere Punkte auf unserer Karte, die aber nicht so besonders spektakulär waren. Es war noch immer kalt und ungemütlich und so beschlossen wir, schnell wieder im Santuario zu verschwinden. Hier war es immerhin schön warm. Als wir Padre Pio zum zweiten Mal besuchten, war gerade Messe. Die kleine Kirchenaula war vollgestopft mit Menschen und das obwohl wir einen stinknormalen Wochentag außerhalb der Saison hatten. Touristen gab es fast keine, weder hier noch sonst auf dem Gelände. Es waren nur Einheimische da. Im Sommer sah das anders aus. Jedes Jahr kommen rund 7 Millionen Besucher aus aller Welt nach San Giovanni Rotondo, um sich Padre Pio anzusehen. Das sind gut doppelt so viele Besucher, wie Lourdes verzeichnen kann. Damit ist San Giovanni Rotondo eine der meistbesuchten Pilgerstätten der Welt. Langsam begannen wir uns ein bisschen zu fragen, woran das lag. Rein von dem, was es hier zu sehen gab, war es nicht begründbar. Dieser ganze Kirchenkomplex, die Mosaike und auch das Aufmarschgelände draußen im Freien waren nett und durchaus sehenswert, aber bei weitem nicht so imposant wie Fátima. Es musste also etwas anderes dahinter stecken! Unsere Neugier war geweckt und wir beschlossen, uns noch einmal eingängiger mit dem Leben von Pater Pio zu beschäftigen, wenn wir wieder zurück im Kloster waren. Auffällig war, dass man hier vor Ort wieder einmal nichts in Erfahrung bringen konnte. Das gleiche war uns auch schon in Fátima, Assisi und Medjugorje passiert. Jedes Mal kamen wir an einen solchen Ort mit der Idee, dass wir hier ein paar Antworten finden würden. Doch jedes Mal verließen wir ihn mit noch mehr offenen Fragen, als zuvor. Antworten vor Ort zu bekommen schien fast unmöglich, da es hier stets nur noch hübsch aufbereitete Informationen für Touristen gab, deren Wahrheitsgehalt eher fragwürdig war.

Spruch des Tages: Padre Pio – Der Rockstar unter den Heiligen

Höhenmeter: 150 m Tagesetappe: 39 km Gesamtstrecke: 14.240,27 km Wetter: bewölkt und windig Etappenziel: Sakristei der Kirche, 74015 Martina Franca, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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