Tag 775: Katholischer Pfarrer mit Frau und Kind

von Heiko Gärtner
13.02.2016 02:47 Uhr

15.01.

Nach einer Wanderung durch Nässe und Kälte erreichten wir unseren Zielort wie üblich auf dem Gipfel eines Berges. Es regnete noch immer und die Kälte kroch wie eine Armee kleiner Würmer unter unsere Kleidung, um uns ordentlich durchzuschütteln. Es dauerte eine Weile, bis ich die Nummer des Pfarrers auftreiben konnte. Er befand sich gerade in San Marco, also genau dem Ort, aus dem auch wir in der Früh aufgebrochen waren. Ohne zu zögern sicherte er uns einen Schlafplatz zu, gab aber zu bedenken, dass er noch nicht sagen konnte, wann er wieder im Ort sein würde. So lange müssten wir eben in der Kirche warten. Nach den Erfahrungen der letzten Tage war mir das ein bisschen zu unsicher und ich versuchte noch einen Plan B auszuarbeiten. Im Rathaus traf ich auf ein paar Männer, die mich zum Bürgermeister führten. Auch dieser sicherte uns einen Schlafplatz zu, meinte aber, dass es noch einen Moment dauern könne, bis alles soweit organisiert wäre. Ich solle mich an zwei Männer halten, die sich um den Schlüssel kümmern und mir dann den Platz zeigen würden. Dann wurde es sonderbar. Die beiden Männer stiegen in ein Auto und baten mich auf dem Hauptplatz in der Mitte des Ortes zu warten, bis sie mit dem Schlüssel zurückkamen. Dies war das letzte Mal, dass ich sie sehen sollte.

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, unter einem kleinen Vordach auf dem Platz zu warten und nach den Stadtangestellten oder dem Pfarrer ausschau zu halten. Alle fünf Minuten wurde ich dabei von jemandem angequatscht, der ebenfalls auf irgendetwas wartete und sich die Zeit mit einer kurzen Unterhaltung vertreiben wollte. Ich kam mir ein bisschen so vor wie bei Final Destination, nur mit etwas weniger Dramatik. Es war als hätte das Schicksal vorgesehen, dass wir erst eine Stunde nach unserer Ankunft einen Platz bekommen sollten und egal wie sehr ich auch versuchte, die Sache zu beschleunigen, am Ende kam es doch auf das gleiche hinaus. Plötzlich stand ein dicker Mann meines Alters vor mir, der mich durch eine unheimliche Brille hindurch anstarrte. Ja, auch Brillen können unheimlich sein, ich hätte das bis zu diesem Moment auch nicht geglaubt. Zunächst wollte ich den Mann abwimmeln, weil ich bereits mehr als genug identische Smalltalkgespräche mit aufdringlichen Leuten geführt hatte, doch er versuchte wirklich mir zu helfen. Gemeinsam gingen wir noch einmal zum Rathaus, das jedoch inzwischen geschlossen hatte. Dann rief er den Pfarrer erneut an und erfuhr, dass sich dieser bereits im Auto auf dem Weg hierher befand. Um kurz nach 13:00 Uhr als fast genau eine Stunde nach unserer Ankunft traf der Pfarrer ein. Wir durften in einem Gästezimmer bei ihm zuhause übernachten und bekamen sogar Mittag und Abendessen. Am Ende wurde also doch noch alles gut und vor allem warm. Trotzdem konnte ich nicht nachvollziehen, wie man jemandem eine feste Zusage machen, ihn dann auf einem lauten, ungemütlichen Platz im Regen stehen lassen und auf nimmer wiedersehen verschwinden konnte.

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16.01.

Es geht wieder in die Berge! Und zeitgleich bricht der Winter herein! Auf den Gipfeln vor uns lag bereits eine dicke Schneeschicht. Noch befinden wir uns auf etwa 400 Metern über dem Meeresspiegel und hier ist es nur kalt, nass, windig und regnerisch. Doch in zwei Tagen erreichen wir den Pass auf 1100 Metern und dann bekommen wir wahrscheinlich das erste Mal in diesem Jahr richtigen Schnee. Ob wir uns darüber freuen sollen wissen wir noch nicht so genau.

Nach einer lauten Wanderung an einem Stausee entlang erreichten wir Altomonte. Oben auf dem Gipfel des Berges in der Mitte der Kleinstadt gibt es eine alte Burg die bereits 1000 Jahre alt ist. Heute ist sie ein Luxushotel. Übernachten konnten wir dort zwar nicht, aber weil der Pfarrer uns wieder erst am Abend empfangen konnte, durften wir den Nachmittag in der Lobby verbringen und dort die ruhige, warme, ritterliche Atmosphäre genießen. Zuvor speisten wir weniger ritterlich in einer Art Bedürftigen-Mensa, die vom Pfarrer organisiert wurde. Hier konnten alle aus dem Ort zu Mittag essen, die aufgrund irgendwelcher Problem knapp bei Kasse waren. Viele von ihnen waren Alkohol- oder Drogenabhängig. Andere lebten einfach unterhalb der Armutsgrenze. Auch die Mensa war, wie fast jeder Speisesaal in diesem Land, egal ob er nun einem Hotel, einem Restaurant, einem Kloster oder einer Schule gehörte, eine große Halle, mit tytisch heimeliger Bahnhofsatmosphäre. Trotzdem war es beim Essen erstaunlich angenehm und ruhig. Es war schon auf eine gewisse Art verblüffend, dass es hier mit großen Gruppen fast immer unerträglich wurde, egal ob es sich nun um Priesterschüler, Pfadfinder, Mönche oder was auch immer handelte. Nur die Obdachlosen und Alkoholiker schafften es, eine friedliche und angenehme Atmosphäre aufrecht zu erhalten, wenn sie beisammen waren.

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17.01.

Schnee! Ich hatte ganz vergessen wie gerne ich Schnee mag! Seit langem scheinte heute mal wieder die Sonne und trotz der Eiseskälte und dem schneidenden Wind machte es wieder richtig Spaß, sich im Freien aufzuhalten. In der Nacht hatte es ordentlich gefroren und sogar in unserem Dorf hatte es Schnee gegeben. Das meiste davon war bereits wiede geschmolzen, doch hin und wieder konnte man einige Schnee- und Eisreste auf Autos oder in schattigen Ecken entdecken. Doch viel beeindruckender war das, was vor uns lag. Wir befanden uns auf einem Hügel mit etwa 400 Höhenmetern. Dahinter folgte ein kleines Tal und dann erhoben sich die wirklichen Berge weit mehr als 1000 Meter in die Höhe. Ihre Gipfel waren nun komplett mit Schnee bedeckt! Allein diese Aussichte sorgte schon für diese besondere, kalte, friedliche Ruhe, die man oft an verschneiten Tagen in der Luft spürt. Fast kein Mensch war im Freien und somit konnte auch niemand die eisige Stille stören. Der Wind war schneidig und die Hände waren schon nach kurzer Zeit wie zwei Eisklumpen. Doch auch wenn die Sonne kaum Kraft hatte, spürte man ihre sanfte Wärme auf der Haut. Es war eine perfekte Harmonie der Natur. So hätten wir ewig weiterwandern können.

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Firmo, unser Zielort, war eine Kleinstadt, die vor rund sechzig Jahren von albanischen Auswanderern gegründet wurde. Beim Mittagessen mit dem Pfarrer und seiner Frau erfuhren wir noch einiges mehr darüber. Ja genau, dem Pfarrer und seiner Frau, denn der gute Mann war verheiratet. Wieso das als katholischer Pfarrer möglich war, ist ebenfalls Teil der Geschichte dieses Ortes, die wir beim Essen erzählt bekamen. Albanien war, was wir bislang noch nicht wussten, bis vor nicht allzu langer Zeit keineswegs ein musliemisches Land. Es war zu kleinen Teilen katholisch und zu weitaus größeren griechisch orthodox. In den fünfziger Jahren kam es dann zu einer Inversion der Türken, die das Land besetzen und auch den Islam hier herbrachten. Viele Menschen flohen aus dem Land und nicht wenige setzten mit dem Schiff in das nahegelegene Italien über. Sie verteilten sich im Land und ließen sich in Regionen nieder, die bislang dünn oder nicht besiedelt waren. Dabei gründeten sie auch verschiedene Dörfer, unter anderem Firmo. Die meisten dieser Siedler waren griechisch orthodoxe Christen, die hier nun irgendwie mit den katholiken zusammenfinden mussten. Zu beginn war das nicht einfach, doch mit der Zeit wurde eine Art Zwischenreligion geschaffen, die so etwas wie eine römisch-orthodox-katholische Kirche war und dem ähnelt, was in Deutschland als ökomenische Gemeinde zwischen Protestanten und Katholiken entsteht. Unser Gastgeber war einer der Männer, der dieses Zusammenfinden erschaffen hat. Er war damit also eine Art katholisch-orthodoxer Pfarrer und als solcher war ihm auch das Heiraten gestattet. Er hatte sogar eine Tochter, die gerade in Rom Linguistik studierte.

Nach dem Essen richteten wir uns in einem Versammlungsraum unter dem Pfarrhaus ein. Die Kälte spürte man ordentlich und unser kleiner Heizstrahler konnte dagegen nur wenig ausrichten. Die Nacht wird wahrscheinlich eine der kältesten, die wir je hatten.

Spruch des Tages: Wann kommt endlich die Wärme zurück?

Höhenmeter: 230 m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 13.773,27 km

Wetter: kalt, windig, hin und wieder sonnig

Etappenziel: Pilgerherberge, 71029 Troja, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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