Kurzurlaub in Luxemburg

von Heiko Gärtner
08.05.2018 07:16 Uhr

24.11.2017

Ihr erinnert euch vielleicht noch daran, was ich gestern über Frankreich geschrien habe. (Es ist ja noch nicht allzu lange her) Den gleichen Prozess durchliefen wir nun auch in Luxemburg, allerdings reichte hier ein einziger Tag aus, um diese Erfahrung zu machen.

Ein erster Blick auf die Weinfelder in Luxemburg

Ein erster Blick auf die Weinfelder in Luxemburg

Als wir Luxemburg erreichten, kam es uns ein bisschen wie das geheiligte Land vor. Alles war so schön sauber und gepflegt, es gab überall Sitzbänke, Wegweiser, Mülleimer und andere Dinge, die man als Wanderer durchaus zu schätzen weiß und die Menschen grüßten Freundlich, wenn man ihnen begegnete.

Altar einer luxemburgischen Kirche

Altar einer luxemburgischen Kirche

Gleich im ersten Dorf wurden wir zudem direkt von der Straße aus auf einen Tee eingeladen. Dabei durften wir ein äußerst stilvolles Haus besuchen, das von einem lokalen aber international bekannten und beliebten Architekten gebaut wurde. Dieses Haus war dabei noch recht gewöhnlich. Es war gut gemacht keine Frage, aber es war noch eindeutig als Haus erkennbar. Beim Nachbarhaus hingegen hatte sich der gleiche Architekt schon etwas mehr austoben dürfen, und ein Kunstobjekt erschaffen, dass mehr wie eine intergalaktische Raumstation aussah, denn wie ein normales Wohnhaus.

Unsere erste Luxemburgische Kirche

Unsere erste Luxemburgische Kirche

...unterscheidet sich von den französischen nicht allzu sehr.

...unterscheidet sich von den französischen nicht allzu sehr.

Das Zusammensitzen mit unserem Gastgeber begann als freundliche und nette Unterhaltung, die wir zunächst gerne eingingen. Doch noch während wir bei ihm am Wohnzimmertisch saßen, spürten wir, wie die Stimmung der Situation langsam kippte. Wenn wir für gewöhnlich irgendwo eingeladen wurden, dann gab es in der Regel eine gewisse Entwicklung vom kurzen, fröhlichen Plausch hin zu einer gewissen Vertrautheit die dazu führte, dass die gegenseitige Unterstützung stieg und jeder einen möglichst großen Vorteil aus der Begegnung zog. Dieser konnte aus den unterschiedlichsten Dingen bestehen, Angefangen bei spannenden Informationen über Essen, Kontakte, Schlafmöglichkeiten bis hin zu Diagnosen und Heilungen oder auch einfach einer Menge Spaß und guter Laune. Doch heute passierte nichts davon. Wir bekamen nichts angeboten, das über die eine Tasse Tee hinaus ging, es gab keinen Informationsaustausch und obwohl er einen gute Draht zum Pfarrer hatte, wollte uns auch in dieser Hinsicht nicht weiter helfen. Jeden versuch unsererseits, auf dieses Thema zurück zu kommen, schmetterte er mit der Idee ab, dass wir ja später einfach beim Pfarrer vorbei gehen und diesen Fragen könnten. So kam es, dass der Aufenthalt bei dem Mann immer länger dauerte, aber nicht das Geringste für uns brachte. Als wir uns schließlich verabschiedeten spürten wir beide eine gewisse Unzufriedenheit in uns, verbunden mit dem Gedanken, dass wir gerade rund zwei Stunden Zeit einfach aus dem Fenster geworfen hatten, die wir auf unzählige andere Arten besser hätten nutzen können. Wir standen noch immer am Anfang der Reise, waren noch immer hungrig und hatten noch immer keine Idee, wo wir schlafen konnten. Wir hatten nichts gelernt, keine neuen Erkenntnisse bekommen und nicht einmal das Gefühl etwas beigetragen zu haben, abgesehen vielleicht davon, dass wir einem uns unbekannten Geschäftsmann die Nachmittagslangeweile vertrieben hatten.

Blick auf den Altar

Blick auf den Altar

Kurz darauf standen wir beim Pfarrer vor der Tür und stellten fest, dass dieser nicht zu hause war. Es blieb also nichts anderes, als weiter zu ziehen und unser Glück im nächsten Ort zu versuchen. Davor erwartete uns jedoch zunächst eine Steilwand mit Weinfeldern die überwunden werden wollte. Obwohl auf den ersten Blick alles friedlich und idyllisch gewirkt hatte, mussten wir nun feststellen, dass auch der Verkehr wieder Stark zugenommen hatte und bereits eine Art Allpräsenz zu bekommen schien. Selbst mitten in den Weinfeldern konnte man immerzu die Straßen im Umkreis hören.

Ein Marienaltar

Ein Marienaltar

Der moderne Architekt hat sich hier voll ausgetobt.

Der moderne Architekt hat sich hier voll ausgetobt.

Im nächsten Dorf erging es uns nicht besser. Es gab zwar ein Jugendhaus, das nicht genutzt wurde und das für unseren Zweck perfekt gesessen wäre, doch egal wen im Ort wir auch fragten, man war sich einig, dass es unmöglich wäre, diesen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Lieber sollten wir es im Nachbardorf probieren, denn das sei so schön viel grösser und damit auch erfolgsversprechender. Langsam kristallisierte sich heraus, dass die Menschen hier zwar auf den ersten Blick sehr höflich, dabei aber auch kühl, distanziert und nicht besonders Hilfsbereit waren.

Luxemburgische Kirchenorgel

Luxemburgische Kirchenorgel

Der nächste Ort den wir erreichten war bereits eine kleine Stadt, in der es unter anderem auch eine Therme gab, die jedoch leider nicht allzu ansprechend wirkte. In den Hotel in ihrer Umgebung fragten wir vergeblich, doch das eigentliche Highlight des Tages erwartete uns erst, als wir das Pfarrhaus erreichten. Der Pfarrer war ein brummiger Mann in den Siebzigern und öffnete erst nach der dritten Klopfattacke an seiner Tür. Nachdem ich ihm unsere Situation erklärt hatte, schüttelte er nur den Kopf und meinte: „Da kann ich leider nichts machen, denn ich darf hier niemanden bei mir aufnehmen!“

Der Erzengel Michael

Der Erzengel Michael

Die Kirchenkanzel

Die Kirchenkanzel

Im ersten Moment war ich mir sicher, dass dies eine dreiste Ausrede war und er einfach keine Lust hatte uns zu helfen oder über eine Lösung nachzudenken. Also begann ich mit ihm darüber zu diskutieren und teilte ihm meinen Unmut über das Ausbleiben jeder Hilfe von Seiten der Kirche mit. Wir brauchten ja nicht viel. Im Grunde reichte uns der Vorraum der öffentlichen Toilette, die sich auf der Rückseite des Pfarrhauses befand. Doch es gab keine Chance und nach dem die Diskussion für einen Moment recht hitzig wurde, ergriff ich schließlich, dass der Mann die Wahrheit sagte. Er durfte mir nicht helfen, weil es in Luxemburg tatsächlich vom Gesetz her verboten war.

Ähnlich wie in Frankreich war die Kirche hier mehrfach vom Staat enteignet worden, nur hatte die letzte Enteignung in Luxemburg gerade einmal vor ein paar Jahren stattgefunden. Seit her gehörte der Kirche überhaupt nichts mehr, nicht einmal die Pfarrhäuser. Die Pfarrer hatten lediglich das Recht bekommen, diese als eine Art Verwalter zu bewohnen, durften jedoch nicht selbst über die Räume verfügen. Selbst wenn sie sich die eigenen Eltern über ein Wochenende einladen wollten, mussten sie zuvor den Bürgermeister um Erlaubnis fragen. Dies klang noch immer so abstrakt für uns, dass es uns schwerfiel, es zu glauben, doch es wurde uns im Nachhinein noch einmal von mehreren Seiten bestätigt. Der Grund dafür ist, dass Luxemburg aufgrund seiner überdurchschnittlich guten Wirtschaft und der geringen Bevölkerungszahl eine unnatürlich hohe Ausländerdichte anzieht. Im Land verteilt gibt es fast so viele Ausländer wie Einheimische und in Luxemburg Stadt wird die Einheimischenzahl von der Zahl der Zuwanderer sogar weit übertroffen. Der Staat hat daher beschlossen, eine genaue Regulierung einzuführen, wer sich wann wie und warum hier im Land aufhalten darf. Er ging damit sogar so weit, dass ausländische Arbeiter, die „niederen Tätigkeiten“ wie Toiletten Putzen oder Müll Einsammeln, nur tagsüber in Luxemburg geduldet waren und täglich am Abend wieder ausreisen mussten. Die Kirche mit einem Kirchenasyl und der Möglichkeit, frei und unabhängig über das Aufnehmen von Ausländern zu entscheiden, passte da natürlich nichts ins Konzept.

Jesus wird zu Grabe getragen

Jesus wird zu Grabe getragen

Ein Kirchenaltar

Ein Kirchenaltar

Schließlich erklärte sich der Pfarrer bereit, uns mit einer Geldspende von rund 100€ zu unterstützen, mit denen wir uns irgendwo ein Hotel nehmen konnten, wenn wir es wollten. Als Notoption war dies eine gute Lösung, doch zuvor wollten wir es noch einmal bei einem anderen Pfarrer versuchen. Wieder wanderten wir rund 15 km weiter bis in einen Ort, der erneut direkt an der Grenze zu Deutschland lag. Wenn alle Stricke reisten, konnten wir nun also immerhin wieder in die vertraute Heimat überwechseln.

Ein gemütliches Eckhaus mit Abendbeleuchtung

Ein gemütliches Eckhaus mit Abendbeleuchtung

Doch das war zumindest heute noch nicht nötig, denn der nächste Pfarrer, den wir trafen, erklärte sich bereit, uns eine Übernachtung in einer Jugendherberge zu organisieren. Die einzigen zwei kleinen Haken an der Sache:

Ein Altar für den Erzengel

Ein Altar für den Erzengel

Jesu Kreusweg in Holz geschnitzt

Jesu Kreuzweg in Holz geschnitzt

1. Die Jugendherberge wurde gerade von einer Party-Gruppe belegt, die hier einen 40sten Geburtstag feierte, so dass nicht mit sonderlich viel Entspannung zu rechnen war. Und 2.: Die Jugendherberge befand sich nicht in dem Ort, den wir nun aufgesucht hatten, sondern rund 10Km weiter südwestlich, und zwar genau in dem Ort, in dem wir bereits am Mittag auf den Tee eingeladen wurden. Wir hatten damit nun insgesamt rund 45km zurückgelegt, um an einem Ort zu nächtigen der gerade einmal fünf oder sechs Kilometer Luftlinie von unserem letzten Ausgangsort entfernt lag. Das gab uns dann schließlich den Rest. Mit Luxemburg hatten wir nach diesem Tag erst einmal abgeschlossen. Von morgen an würden wir in Deutschland weiter wandern.

Spruch des Tages: Das wird kein langer Besuch hier!

Höhenmeter 53m / 35m / 73m / 41m

Tagesetappe: 16km / 19km / 16km / 20km

Gesamtstrecke: 28.147,27km

Wetter: Kalt und Windig

Etappenziel 1: Pfarrhaus, Herringe, Dänemark

Etappenziel 2: Privates Gästezimmer, Ryslinge, Dänemark

Etappenziel 3: Privates Gästezimmer, Vindinge, Dänemark

Etappenziel 4: Privates Gästezimmer, Halsskov, Dänemark

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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