Tag 1276: Innere Klarheit finden

von Heiko Gärtner
10.11.2017 08:02 Uhr

Fortsetzung von Tag 1275

Interventionsübung: Klarheit in ein verworrenes Thema bringen

Zunächst einmal ging es darum herauszufinden, was überhaupt das Problem war. Dies war bereits der erste Punkt, an dem wir scheiterten. Wir wussten, dass wir nicht voran kamen und dass es irgendwelche Blockaden und Widerstände in uns gab, doch alles blieb diffus, so dass wir stets das Gefühl hatten, hier nichts verändern zu können. Um Licht ins Dunkle zu bringen fertigte Heiko vier Schilder an, auf die wir jeweils die beiden Pole unserer aktuell präsentesten Themen schreiben sollten. Mit ihrer Hilfe wandten wir die Technik der Polarbeit an, die wir vor einem Dreivierteljahr von Julie und Maxi gelernt hatten. Bei Shania war dies „Arbeit“ auf der negativen und „Freiheit“ auf der positiven Seite. Ich selbst schrieb „Ineffektivität“ und „Vorankommen“ darauf. Auffällig war hierbei, dass mir mein Problem (Ineffektivität) sofort bewusst war, genau wie Shania das Wort „Arbeit“ in Sekundenbruchteilen auf dem Zettel stehen hatte. Bei den Lösungen, also den Zielen wo wir hin wollten, taten wir uns hingegen schwerer und kamen ohne Gedankenanstöße von Heiko auf gar keinen Punkt. Wie also wollten wir in der Lage sein, ein Ziel effektiv und sicher zu erreichen, wenn wir nicht einmal wussten, wohin wir überhaupt wollten? Im laufe des Prozesses wurde es sogar noch heftiger. Beiden fiel es uns leicht, uns auf den Zettel mit dem Problem zu stellen während wir einen Widerstand beim betreten des Lösungszettels spürten. Als ich darauf stand, war ich mir für einen Moment nicht einmal mehr sicher, welches Wort ich darauf geschrieben hatte.

Oft ist es wichtig, das Chaos in unserem Inneren zu ordnen, um weiter zu kommen.

Oft ist es wichtig, das Chaos in unserem Inneren zu ordnen, um weiter zu kommen.

Deutlicher hätte man uns also nicht vor Augen führen können, auf welche Weise wir uns selbst am Fuß des Berges gefangen hielten, der uns zum Erfolg führen sollte.

Lektion 9: Lebendige Ziele vor Augen haben
Jeder Mensch braucht ein Ziel, auf das er hinsteuern kann.

Jeder Mensch braucht ein Ziel, auf das er hinsteuern kann.

Wir hatten uns selbst einen Teufelskreis erschaffen, in dem wir nun immer wieder im Kreis liefen. Zunächst einmal fehlte uns die Klarheit darüber, wohin wir überhaupt wollten. Wir wussten nur, dass ein nebulöser und damit angsteinflößender Berg an scheinbar unüberwindbar vielen Aufgaben vor uns lag, der uns bereits beim bloßen Gedanken daran demotivierte. Ohne Motivation fühlten wir uns Kraftlos und da wir keinen Ausweg sehen konnten, konzentrierten wir uns nicht auf eine Lösung, sondern nur auf das Problem. Alles was wir damit erreichten war, dass wir das Problem immer mehr mit Kraft und Leben füllten, wodurch es immer mehr zum Jammern und Fluchen gab, was unseren Fokus noch weiter verstreute.

Je plastischer das Bild eines Wunsches ist, desto schneller geht er in Erfüllung.

Je plastischer das Bild eines Wunsches ist, desto schneller geht er in Erfüllung.

Auf der anderen Seite hatten wir aber kein lebendiges, positives und freudiges Bild von dem vor uns, was wir erreichen wollten. Heiko erklärte es an einem eigenen Beispiel. Ihm war bewusst, dass wir für die nächste Etappe in Nordamerika ein Begleitfahrzeug in Form eines Expeditionsmobils, bzw. eines offroadtauglichen Caravans haben würden, der uns allen dreien den Lebenskomfort bot, den wir uns wünschten. Für Shania und mich war das alles, was wir über dieses Mobil sagen konnten. Es würde ein relativ großer Wagen mit seitlichen Ausschüben und mehreren Zimmern werden, in dem jeder seinen Platz für sich hatte und in dem wir gemeinsam entspannen, kochen, trainieren und arbeiten konnten. Heiko hingegen lebte bereits in diesem Mobil. Es hatte ein vollständiges und detailliertes Bild vor Augen, hatte schon unzählige Male in seinem Bett geschlafen, in der Küche gekocht, die Infrarotkabine zur Rückenentspannung genutzt, es sich auf dem Sofa bequem gemacht und die komplette Einrichtung von A nach B verschoben um herauszufinden, was am praktikabelsten war. Er hatte eine Schall- und Hitzeisolierung eingebaut, verschiedene Zugmaschinen und Geländearten getestet und vieles mehr. Kurz: Für ihn existierte dieses Mobil bereits und somit stand es auch außer Frage, dass es zu uns kommen würde. Wie das Geschah war vollkommen offen und es war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wichtig, da das Leben immer seine Wege fand. Aber das Ziel selbst war klar definiert und es lebte.

Kaum etwas bremst einen im Leben mehr aus, als innere Unklarheit.

Kaum etwas bremst einen im Leben mehr aus, als innere Unklarheit.

Wir hingegen versuchten es stets mit dem umgekehrten Prinzip. Wir hatten keine Vorstellung davon, was das Ziel wirklich war, wollten aber permanent den kompletten Weg vor Augen haben, um sagen zu können, ob er sicher war oder nicht. Ohne diese Sicherheit, die wir ja niemals bekommen konnten, wollten wir gar nicht erst los gehen, wodurch wir ohne es zu merken immer mehr ins Trödeln gerieten.

Lektion 10: Den Weg gehen wie er ist

Hinzu kam, dass wir den aktuellen Zustand nicht annehmen konnten. Wir empfanden und selbst nicht als in Ordnung so wie wir waren und hatten daher auch keine Zufriedenheit mit dem Jetzt, wodurch wir alles nur noch schlimmer machten. Das Fehlen einer klaren Ausrichtung führte dazu, dass wir die zehnfache Strecke zurücklegen mussten, die eigentlich nötig gewesen wäre. Da wir dies merkten, fluchten und meckerten wir über diese Zeitverschwendung und diese unnötige Anstrengung, wodurch wir uns auf das Konzentrierten, was uns aufhielt, anstatt auf das, was uns weiter brachte. Allein dadurch verlängerten wir die Strecke noch einmal um das Hundert- bis Tausendfache.

Der Weg ist stets wie er ist. Man kann ihn annehmen und gehen oder ablehnen und stagnieren.

Der Weg ist stets wie er ist. Man kann ihn annehmen und gehen oder ablehnen und stagnieren.

Um aus dieser Spirale herauszukommen waren also zwei Punkte wichtig. Zum einen ging es darum, Klarheit zu erlangen und die eigenen Ziele plastisch und lebendig vor Augen zu haben. Zum anderen ging es darum, in liebe anzunehmen, dass wir gerade Umwege liefen und eben nicht auf der kürzesten Verbindung unterwegs waren. Dies war für uns in diesem Moment einfach noch nicht dran, weil es gerade auf den Umwegschleifen, viel für uns zu entdecken gab. Es war wie beim Tattoo. Wären wir bereits in unserer Kraft, hätten wir es an einem einzigen Nachmittag fertig stechen können, ohne dass es hier eine Anstrengung, eine Unvorhersehbarkeit oder andere Schwierigkeiten gab. Doch dann wären wir auf keine Erkenntnisse gekommen, hätten nichts von dem über uns erfahren, was wir in den letzten Tagen erfahren durften und hätten die Lernschritte nicht machen können, durch die das Tattoo für uns beide so heilsam wurde. Wenn all diese Schritte gemacht wurden, sprach nichts mehr dagegen, den direkten Weg zu gehen, doch bis dahin waren es genau die Umwege, die für uns wichtig waren. Doch um aus ihnen lernen zu können, müssen wir sie natürlich annehmen und sie mit offenen Augen und einer lernbereiten Präsenz gehen. Der Satz „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ trifft nur dann zu, wenn man nicht vor lauter Fluchen über das verlaufen so sehr in sich gekehrt ist, dass man von seiner Umgebung nichts wahrnehmen kann. Wer sich während eines Weges nur darauf konzentriert, sich zu ärgern, dass er eigentlich gar nicht hier sein sollte, wird kaum offen genug sein, um die Geschenke wahrzunehmen, die ihm unterwegs begegnen, und die für ihn weit wichtiger sind, als das schnelle vorankommen auf dem direkten Weg.

Den eigenen Lebensweg finden.

Den eigenen Lebensweg finden.

   

Spruch des Tages: Alles ist ein Prozess! Es muss nicht an einem Tag fertig werden, sondern darf Stück für Stück entstehen.

 

Höhenmeter: 490 m

Tagesetappe: 37 km

Gesamtstrecke: 23.420,27 km

Wetter: überwiegend trocken und windig

Etappenziel: Katholische Kirche, Callender, Schottland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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