Weltreise Tag 270: Jakobswege im Vergleich

von Heiko Gärtner
28.09.2014 16:05 Uhr

Seit wir am 01.01.2014 aufgebrochen sind, war der Jakobsweg ein stätiger Begleiter. Oftmals haben wir ihn verflucht und zum Teufel gewünscht, weil er uns durch Schlammfelder, Industriehöllen, Wüsten und über halsbrecherische Abhänge geführt hat. Aber deutlich öfter hat er uns auch unsere Wanderhintern gerettet und war uns ein wirklich guter Freund. Jetzt, nachdem wir ein paar Tage vollkommen ohne Wanderweg um Valencia herumlaufen, denken wir oft an die unterschiedlichen Jakobswege zurück.

Denn „Jakobsweg“ ist ja eigentlich der vollkommen falsche Ausdruck, bei der Menge an Wegen, die es in Europa gibt.

Bei seiner ersten Pilgerreise als Steinzeitpilger ist Heiko von Neumarkt aus nach Süden über Augsburg zum Bodensee gewandert. Von dort ging es dann über die Schweiz nach Frankreich. Der Weg durch die Schweiz war sicher eine der anstrengendsten Etappen und es braucht einiges an Kondition, ihn zu bewältigen. Dafür wird man jedoch auch mit unglaublicher Schönheit, frischem Quellwasser, saftigem Grün und freundlichen Menschen belohnt. In Frankreich ging es dann weiter bis zu dem berühmten Wallfahrtsort Le Puy en Velay und von dort aus bis an die spanische Grenze nach Saint Jean Piet de Port. Hier beginnt der berühmteste aller Jakobswege, der Camino Frances, den auch Hape Kerkeling seiner Zeit gewandert ist. Tausende und Abertausende von Menschen brechen jährlich von hier auf, um auf dem Weg bis nach Santiago Ruhe und innere Einkehr zu finden. Wer diese Ruhe wirklich finden will, für den ist der Camino Frances jedoch nichts. Die Pilgerwege in Deutschland und Frankreich sind hierfür bei weitem besser geeignet. Der Camino Frances ist jedoch der ideale Weg, wenn man Menschen kennenlernen und einen lustigen Pilgerfasching erleben möchte. Es ist kein Weg für jemanden, der Einsamkeit sucht, sondern für jemanden, der sie beenden will. Für Heiko stand damals bereits nach einigen Blicken in die Runde der Mitpilger fest: Dies ist die mit Abstand größte Single-Börse der Welt!

Auf unsere Weltreise haben wir uns diesmal zunächst nach Westen gewandt und sind dem Jakobsweg von Nürnberg über Heilsbronn nach Rothenburg ob der Tauber gefolgt. Im Winter gab es einige Passagen, die sehr schlammig waren, doch abgesehen davon war es ein wirklich schöner Weg, den wir jedem Wander- oder Pilgerfreund ans Herz legen können. Man wandert durch kleine, gemütliche Ortschaften, kommt durch schöne Täler und läuft fast die ganze Zeit abseits der Zivilisation. Hier kann man wirklich ausspannen und die Natur genießen. Mit einem Schlafsack und einer Isomatte findet man bei den Pfarrern immer einen schönen und guten Schlafplatz und nicht selten kam es vor, dass wir sogar eingeladen wurden und mit den Geistlichen zu Abend aßen. Damit ist es auch der ideale Einstieg, für jeden, der einmal Probeweise aus unserer Gesellschaft aussteigen möchte. Hätten wir diesen Weg zum Einstieg nicht gehabt und wären gleich hier in dieser Region Spaniens gelandet, hätten wir sicher bereits nach drei Tagen aufgegeben und wären verzweifelt und enttäuscht in unser altes Leben zurückgekehrt. Rothenburg selbst ist dabei ein wirklich schönes End- oder Etappenziel und hat uns bei weitem besser gefallen, als Santiago selbst. Warum es also keine Rothenburgwege gibt, ist uns bis heute ein Rätsel.

Der Weg von Rothenburg ob der Tauber nach Speier, stand unserer ersten Etappe um nichts nach. Lediglich um Speyer herum gab es einige Passagen, in denen man entlang großer Straßen und durch unschöne Industriegebiete wandern musste. Damals kam uns das nach dem ruhigen und idyllischen Überlandweg schrecklich vor, doch nachdem, was wir hier in Spanien erlebt haben, ist es wahrscheinlich eher ein Mückenschiss. Es ist schon beeindruckend, wie sich die Dinge nach einiger Zeit relativieren.

Von Speyer ging es dann durch den Pfälzer Wald und das Saarland nach Frankreich. Ich weiß noch wie damals, was für eine Angst wir vor dem Grenzübergang hatten. War es wohl möglich, in einem Land dessen Sprache man nicht kannte, ohne Geld durchzukommen? Heute kommt uns diese Angst absolut lächerlich vor. Mit Metz und Nancy erreichten wir schließlich zwei weitere wunderschöne Pilgerziele, die unserer Meinung nach viel zu unbekannt sind, für das, was sie zu bieten haben. Wenn man an Frankreich denkt, kommen die beiden Städte in dem dabei entstehenden Bild eigentlich nicht vor. Doch wer eine Städtetour in Frankreich unternehmen will, sollte Paris die kalte Schulter zeigen und definitiv hierher reisen.

Unser nächstes Pilgerziel in Frankreich war Vézelay, ein kleines Bergdorf mit einer großen Basilika, in der die Gebeine von Maria-Theresa aufbewahrt werden. Auch dieser Ort ist ohne jeden Zweifel einen Besuch wert, vor allem jedoch, wenn man außerhalb der Saison unterwegs ist. Zu Hochzeiten mischt man sich sonst unter die 10.000de von Besuchern, die alle in den kleinen Wallfahrtsort strömen.

Mit Vézeley beginnt auch der Via Lemovicensis, einer der einsamsten Jakobswege überhaupt. Jedenfalls dachten wir das bis dahin, denn wir hatten noch nichts von der Vía de la Plata und vom Camino de Levante gehört, aber dazu später. Die Via Lemoviscensis führt einmal diagonal durch Frankreich bis nach Saint Jean Piet de Port und leitet einen dabei durch einige der am wenigsten besiedelten Gegenden des Landes. Mitunter kommen Gebiete, in denen es kaum einen Ort mit mehr als 80 bis 100 Einwohner gibt. Wer also wirklich Ruhe und innere Einkehr finden möchte und dabei noch Lust auf saftig grüne Felder und malerische Dörfchen hat, der ist auf diesem Weg genau richtig. Bis zur spanischen Grenze kommt man nur durch wenige größere Städte, unter anderem durch Never, Limoges und Perigoux, die alle ebenfalls ihren Reiz haben. Der einzige Nachteil an diesem Weg ist, dass es auf Deutsch so gut wie keine Wanderführer zu diesem Weg gibt. Lediglich der Stein-Verlag hat einen Führer in seiner Outdoor-Reihe mit dem Titel „Frankreich: Jakobsweg Via Lemoviscensis“ herausgebracht, der jedoch eher lieblos gestaltet ist. Die Karten haben einen so kleinen Maßstab, dass oft nicht einmals die Etappenziele darauf abgebildet sind und auch die Wegbeschreibungen sind eher mager. Um sich wirklich gut zurechtzufinden, braucht man also eine geeignete Straßenkarte von Frankreich. Anders als in Spanien ist es hier jedoch leicht, eine solche Karte zu bekommen.

Kurz vor Saint Jean Piet de Port sind wir dann jedoch vom Weg abgebogen und an die Küste gewandert, um hier bei Irun auf den Camino del Norte zu stoßen. Von hier an hatten wir bis nach Santiago zum ersten Mal einen Rother-Wanderführer als Wegbegleiter. Er wurde von Cordula Rabe verfasst und heißt „Küstenweg – Camino del Norte, Jakobsweg von Irun bis Nach Santiago, de Compostela und bis Finisterre und Muxía. Damit fiel uns die Orientierung schon deutlich leichter. Neben detailreicheren Karten und genaueren Wegbeschreibungen ist hier immer auch ein Höhenprofil angegeben. Zugegeben, manchmal hätten wir uns gewünscht, wir hätten es uns zuvor nicht angeschaut, denn die bergige Nordküste bereitet einem so manche steile und anstrengende Tagesetappe und das Höhenprofil konnte einen am Morgen auch schon mal demotivieren. Ebenfalls sehr hilfreich fanden wir die Angaben über die Städte und Ortschaften, durch die wir hindurchkamen. Neben Einwohnerzahl, Verkehrsanbindung, Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten wurden immer auch die Herbergen mit entsprechenden Preisen angegeben. Leider haben die Herbergsbetreiber die Preise in den letzten Jahren immer wieder angezogen, so dass sie im Buch nicht mehr ganz aktuell sind. Auch viele der als kostenfrei beschriebenen Unterkünfte verlangen inzwischen Geld und lassen oft nicht mit sich diskutieren. Dies ist vor allem deshalb ärgerlich, weil sie noch immer staatlich finanziert werden und ihren Standard mit der Preiserhöhung nicht ebenfalls angezogen haben.

Der Camino del Norte ist der wahrscheinlich ambivalenteste Jakobsweg von allen. Nirgendwo auf unserer Reise haben wir gleichzeitig so viele wunderschöne und so viele unglaublich hässliche Orte gesehen. Der Weg führt einen an der rauen und wilden Küste Spaniens entlang und präsentiert einem ständig neue, unglaubliche Naturschauspiele. Dazwischen jagt er einen jedoch immer wieder durch Industriegebiete, laute und ungemütliche Großstädte und über viele Kilometer an der Autobahn entlang. Nirgendwo haben wir so sehr auf den Weg geflucht wie hier und nirgendwo hat er uns mit seiner Schönheit mehr beeindruckt. Er ist ein anspruchsvoller Weg mit vielen anstrengenden Bergpassagen und steilen, holprigen Pfaden. Er ist weniger ein Weg der inneren Einkehr, sondern eher ein Weg für Abenteurer und Entdecker, Lust auf Abwechslung und auf Herausforderungen haben.

Wenn man am Camino del Norte unterwegs ist, dann lohnt sich auf jeden Fall auch ein Abstecher nach Santo Toribio, dem Franziskanerkloster, in dem das größte noch erhaltene Stück vom Kreuze Jesu aufbewahrt wird. Auch hier ist der ursprüngliche Heiligenkult leider zu einer reinen Tourismusaktion verkommen, doch man kann noch immer einen Hauch von Ursprünglichkeit spüren. Doch selbst wenn einen das Kreuz nicht überzeugt, so überzeugen doch wenigstens die Picos de Europa. Die Größten Berge Spaniens halten das Kloster in ihren mächtigen Armen und beheimaten sogar noch Braunbären.

Auf den letzten 60km trifft dann der Camino del Norte auf den Camino Frances, den besagten Hauptpilgerweg. Wenn man von der Küste her kommt, wo man zwar schon immer wieder auf Pilger stößt, diesen jedoch auch gut aus dem Weg gehen kann, dann wird das Zusammentreffen mit dem Hauptweg ein absoluter Kulturschock. In Arzúa tauchen plötzlich mehr Pilger auf, als auf dem gesamten bisherigen Weg von Irun nach hier zusammen. Es ist wie bei einem Reißverschlussverfahren auf einer Autobahn, nur dass es keine Autos sondern ausschließlich Fußgänger gibt.

Santiago selbst war von allen Pilgerzielen, die wir erreichten, das was uns am meisten endtäuscht hat. Früher gab es hier einmal echte Willkommenszeremonien für die Pilger, die für ihre weite Reise geehrt wurden. Heute gibt es nur noch ein Fließbandverfahren in dem man seine Pilgerurkunde ausgestellt bekommt. Kostenlose Herbergen in denen man sich als Pilger erholen kann, gibt es keine und auch die Stadt selbst bietet nur wenig, das den ganzen Rummel, der um sie gemacht wird rechtfertigen könnte. Die Kathedrale ist nett, doch im Vergleich zu vielen anderen, die teilweise nicht einmal über ihre eigene Stadtgrenze heraus bekannt sind, nichts besonderes. Auf uns hatte die Stadt eher etwas Verstörendes und wir waren froh, als wir sie wieder verlassen konnten. Dennoch war es schön zu sehen, wie viele Pilger in Freudenschreie ausbrachen, als sie das Ziel ihrer Reise erblickten.

Mit Santiago hätte man eigentlich meinen können, dass wir die Jakobswege nun abgehakt haben. Doch es gab ja noch genügend weitere, die man auch Rückwärts laufen konnte. Der portugiesische Weg, für den wir uns entschieden war sogar mit blauen Pfeilen in Richtung Fátima ausgezeichnet. Wanderführer auf Deutsch gibt es für diese Richtung leider nicht. Wir behalfen uns daher mit einem Führer in die Gegenrichtung und lasen ihn Rückwärts, was sich teilweise als echte Herausforderung entpuppte. Vor allem deshalb, weil die Fátima-Pfeile von den Portugiesen eher stiefmütterlich behandelt wurden. Der Portugiesische Weg ist nicht unbedingt empfehlenswert und hat uns viele Nerven gekostet. Für lange Passagen geht es über laute Kopfsteinpflasterstraßen, zwischen engen, unschönen Mauern hindurch und an stark befahrenen Hauptstraßen entlang. Nur das letzte Stück, zwischen der spanischen Grenze und Santiago ist wirklich schön.

Fátima selbst hat uns zu tiefst beeindruckt und ist auf jeden Fall eine Reise wert, wenn man sich für spirituelle Kraftorte und Kirchenverschwörungen interessiert. Es ist ein wirklich abstrakter Platz, um den sich viele Mythen und Geheimnisse ranken und dessen wahre Geschichte wie so oft wieder von einem überdimensionierten Tourismusrummel überdeckt wird.

Mit dem Verlassen von Fátima waren wir zum ersten Mal auf uns allein gestellt und ließen die Jakobswege hinter uns. Zumindest so lange, bis wir auf die Vía de la Plata stießen. Diese verläuft von Sevilla über Salamanca nach Santiago und ist auf ihre Art sicher eine der anspruchsvollsten Jakobswege. Denn das spanische Inland ist nun einmal eine einzige, unendliche Steppe aus Sand, Steinen und dürrem Gestrüpp, in dem es zum Teil nur alle 30 bis 40km einmal eine kleine Ortschaft gibt. Der Weg selbst besteht oft aus Trampelpfaden oder ausgetrockneten Flussbetten und die unglaubliche Hitze macht ihn im Sommer für ungeübte Wanderer nahezu unpassierbar. Dieser Weg sollte definitiv nicht alleine bestritten werden, denn ein Hitzschlag oder ein Sonnenstich, der einen im Nirgendwo am weitergehen hindert, kann hier tödlich sein. Die Vía de la Plata, ist kein Weg für Anfänger und auch kein typischer Jakobsweg. Es ist vielmehr ein Weg für eine Visionssuche, bei der man durch das absolute Fehlen von äußeren Eindrücken und Ablenkungen in tiefsten Kontakt mit sich selbst kommen kann. Wir sind hier auf all unsere Schattenseiten gestoßen und wären ein paar Mal fast durchgedreht. Und das obwohl wir dachten, dass wir eigentlich schon sehr reflektierte Menschen sind.

Das gleiche war es auf der Vía Levante, die von Valencia durch die spanische Zentralebene über Toledo nach Santiago führt. In der Gegend um Toledo gibt es einige sehr eindrucksvolle Bergketten und auch die Stadt selbst ist malerisch und sehenswert. In Richtung Valencia folgt dann jedoch nichts als Steppe, die teilweise schier undurchdringlich erscheint. Anders als auf der Vía de la Plata, kommt man hier jedoch immer durch größere Städte, was aber nicht unbedingt schöner ist. Hier wird die Wirtschaftskrise in der sich Spanien seit 12 Jahren befindet besonders deutlich, da es kaum mehr funktionierende Firmen gibt. Auf dem Weg schreitet man daher immer wieder an den stummen Zeugen der toten Schwerindustrie vorbei, die hier wie Mahnmale in der kargen Landschaft stehen. Das Positive ist jedoch, dass es in den letzten zweihundert Kilometern vor Valencia, oder aus Laufrichtung eines Pilgers in den ersten zweihundert Kilometern nach Valencia, in nahezu jeder Stadt kostenlose Herbergen gibt. Einige davon sind wirkliche Notunterkünfte doch andere sind schön und komfortabel.

Mit dem Erreichen des Großraums von Valencia endete dann unsere Pilgerfahrt. Ab hier sind wir zumindest bis zur französischen Grenze keine Jakobspilger mehr und werden auch auf keinen weiteren Weg mehr stoßen. Erst jetzt fiel uns auf, wie viel Orientierung uns die Pilgerwege gegeben haben, denn ohne eine Leitlinie war es vor allem in den Orangenmeeren schwer sich zurecht zu finden. Man konnte entweder die Hauptstraßen entlangwandern und sich mit den Autos herumärgern, oder man konnte versuchen, seinen Weg mitten durch die Plantagen zu finden. Doch die sind der reinste Irrgarten. Seit wir die Küste erreicht haben ist es nun wieder etwas einfacher. Dennoch sind wir froh, wenn wir bald wieder einen Wanderführer zurate ziehen können, der uns den Weg weist. Der Rother-Wanderführer von der Costa de Azahar, der die Region um Valenzia herum beschreibt, ist für unsere Zwecke leider nicht ganz so geeignet. Er ist der perfekte Wanderführer für Urlauber, die immer wieder Tagestouren in schönen Gebieten unternehmen möchten. Doch Fernwanderwege gibt es in dieser Region leider nicht. Mit etwas Glück wird sich das ab der Costa Daurada dann aber wieder ändern.

Spruch des Tages: Pilgern ist beten mit den Füßen

 

Höhenmeter: 7 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 5285,87 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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