Tag 420: Die Familiensystematik des heiligen Franziskus

von Heiko Gärtner
27.02.2015 21:10 Uhr

Fortsetzung von Tag 419:

Je mehr sich Franz jedoch in Richtung seines Glaubensweges bewegte, desto schlechter wurde das Verhältnis zu seinem Vater. Die Tatsache, dass er für die Renovierung und den Bau der Kapellen auch Materialien und finanzielle Mittel aus dessen Firma verwendete, trug auch nicht gerade zu Familiensegen bei. Für seinen Vater war dies der ausschlaggebende Punkt für einen frontalen Gegenschlag. Er wollte Franz dazu zwingen, eine Kaufmannslehre zu machen und drohte ihm damit, ihn zu enterben. Als auch dies nichts half klagte der Vater seinen Sohn öffentlich an. Der Streit endete schließlich in einem Gerichtsprozess, der im Frühjahr 1207 öffentlich auf dem Makrtplatz von Assisi abgehalten wurde. Franz ließ sich jedoch nicht einschüchtern sondern nutzte die Gelegenheit, um seinen Stadtpunkt ein für alle Mal klarzustellen. Während der Verhandlung zog er sich inmitten der versammelten Mannschaft splitterfasernackt aus und war seinem Vater seine Kleider hin. Dabei verkündete er, dass er ab sofort nichts mehr von den Gütern oder dem Reichtum seines Vaters brauche und dazu gehörten eben auch die Kleider. Er lehnte das Erbe ab und sage: „Bis heute habe ich dich meinen Vater genannt auf dieser Erde; von nun an will ich sagen: ‚Vater, der du bist im Himmel!’“ Mit anderen Worten: „Vater, wenn du nicht akzeptieren kannst, wer ich bin, dann kannst du mir gestohlen bleiben!“ Dies war das letzte Mal, dass die beiden Kontakt miteinander hatten.

Schon damals waren also die gleichen Familiensystematiken aktiv wie heute und auch vor 800 Jahren viel es Eltern schon nicht leicht, das wahre Sein ihrer Kinder anzunehmen, wenn diese es wirklich leben wollten. Gerade wo ich hier sitze und diese Passage aus dem Leben von Franz lese, kann ich es kaum glauben. Ich stehe 800 Jahre nach ihm an genau dem gleichen Punkt, aus genau den gleichen Gründen. Es gab kein Streitthema zwischen Franz und seinem Vater, ebenso wenig wie zwischen mir und meinen Eltern. Es ging lediglich darum, sich für einen eigenen Lebensweg zu entscheiden. „Nein, meine Eltern, ich werde den Pfad, den ihr für mich vorgesehen habt nicht einschlagen, ich will kein gewöhnlicher Teil dieser Gesellschaft werden, sondern nach meinen eigenen Überzeugungen und Vorstellungen leben. Ich will den Weg gehen, den Gott, bzw. mein eigenes höheres Selbst für mich vorgesehen hat. Ich werde meinem Darma folgen!“ Diese eine Entscheidung führt dazu, dass man den Kontakt zu den Menschen abbricht, die einem mit am Wichtigsten von allen sind? Ist das nicht vollkommen absurd?

Wir haben bis vor kurzem regelmäßig am Abend eine amerikanische Serie über einen Serienmörder gesehen, der in seinem bürgerlichen Leben eine Familie hat und nachts heimlich Schwerverbrecher tötet. Eines Tages spricht er mit seinem kleinen Sohn und ist sich unsicher, wie viel dieser von seiner dunklen Seite mitbekommen hat. Dabei sagt er in etwa folgenden Satz: „Egal, ob du ein Lamm oder ein Löwe bist, ob du ein Hüter des Lichts oder ein Krieger der Dunkelheit bist, ich werde dich immer lieben!“ Kann es wirklich sein, dass ein Serienkiller der einzige ist, der dies aus freiem Herzen zu seinem Kind sagen kann, während alle anderen ihre Liebe an unumstößliche Bedingungen knüpfen? Natürlich war die Situation fiktiv und beide Menschen, Vater und Sohn waren frei erfunden, aber ist es wirklich so weit von der Realität entfernt?

Franz jedenfalls zog sich von nun an vollkommen aus Assisi zurück und betrat die Stadt zu Lebzeiten auch nicht wieder. Er lebte außerhalb als Einsiedler und als Bettler. Natürlich lebte er nicht sein ganzes Leben lang nackt, dazu sind die Winter hier zu kalt. Statt der teuren Kleider seines Vaters hüllte er sich in ein einfaches Gewand, das er mit einem Strick zusammenband. Diese Art der Bekleidung ist eines der wenigen Dinge, die von den Franziskanermönchen noch immer praktiziert werden. Sonst ist von seiner ursprünglichen Philosophie leider nicht viel übrig geblieben, aber dazu kommen wir später. Seine frühere Begeisterung für das Rittertum ging jedoch nicht ganz verloren und so bezeichnete er seine freiwillig gewählte Armut liebevoll als seine Herrin, so wie es in den ritterlichen Minnegesängen seiner Zeit oft gemacht wurde. Die meiste Zeit lebte er in den kleinen Kapellen rings um Assisi, vor allem aber unten in Santa Maria degli Angeli und kümmerte sich dabei um die Aussätzigen, die ohne eigenen Wunsch draußen vor der Stadt leben mussten. Wer unheilbar oder auf unerklärliche Weise krank war, wer kriminell geworden war oder wer kein Geld hatte um in der Stadt zu leben, der wurde vor die Mauern verbannt.

Ein knappes Jahr nach dem Gerichtstreit mit seinem Vater kam es zu einer weiteren folgenschweren Begegnung mit einer biblischen Begebenheit. Am 24. Februar 1208 nahm Franz an einem Gottesdienst in seiner Lieblingskapelle unterhalb von Assisi teil. Dabei blieb ihm besonders eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium im Kopf hängen, die ihn nicht mehr loslassen wollte. Es war ein Gespräch zwischen Jesus uns seinen Jüngern, bei denen Jesus folgendes mitteilte: Geht aber und predigt […] Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.“ (Mt 10,8–10)

Zum ersten Mal wurde Franziskus bewusst, dass die Armut, die ihm so zusagte, nicht nur eine Idee war, sondern dass Jesus seine Jünger zu genau diesem Leben angehalten hatte. Er war nicht verrückt, er hatte intuitiv das getan, was Jesus als Grundstock der Christlichkeit vorgesehen hatte. Für ihn waren die Worte Jesu keine bloßen Floskeln. Er nahm sie ernst und wörtlich. Jetzt verstand er auch, was mit dem Wiederaufbau der Kirche gemeint war. Es ging nicht darum, irgendwelche Gebäude wieder aufzubauen, sondern das Kirchengebäude an sich wieder zu dem zu machen, was es einst gewesen ist. Franziskus wollte wieder zu einem Jünger werden. Das Wort Gottes war ein Geschenkt gewesen und genauso sollte es auch weitergegeben werden. Geben ist Bekommen. Es ging nicht darum, Reichtümer anzuhäufen, so wie es die Kirchenspitze in Rom tat, es ging darum, zum Ursprung zurückzukehren.

Von nun an trug Franz die einfache Kutte mit dem Saustrick nicht mehr nur aus Mangel an Alternativen, sondern als Zeichen für seine Überzeugung. So oft es ihm möglich war, ging es barfuß. Wenn es zu kalt oder zu steinig war, dann zog er sich einfache Sandalen an. Besitz und Geld lehnte er von nun an strickt ab. Sogar mit dem Umgang mit Geld wollte er nichts mehr zu tun haben. Je extremer seine Lebensweise wurde, desto mehr teilte er die Massen damit. Viele verspotteten ihn nun stärker als je zuvor und lehnten ihn ab wie einen Außerirdischen. Doch andere fühlten sich von ihm so sehr inspiriert, dass sie sich ihm sogar anschlossen. Seine tiefe Überzeugung und seine Liebe zu Gott und zur Schöpfung selbst strahlte nach außen und war nicht zu übersehen. Er war zweifelsfrei ein Sonderling, doch das war er machte, tat er mit solch einer Ernsthaftigkeit und inneren Überzeugung, dass selbst seine Spötter nicht umhinkamen, einen gewissen Respekt für ihn zu empfinden. Nicht wenige waren von ihm geradezu verzaubert. Er hatte etwas mystisches und gleichzeitig etwas so anmutiges an sich, das die Menschen auf eine unerklärliche Art von ihm fasziniert waren, selbst dann wenn sie ihn eigentlich hassen wollten. Den Überlieferungen zufolge ließ man teilweise sogar die Glocken läuten, wenn er in eine Stadt kam. Die Geistlichen, die wirklich an einer Verbindung zu Gott interessiert waren, freuten sich über sein Kommen und suchten nicht selten auch seinen Rat. Die Männer, Frauen und vor allem die Kinder feierten ihn und eilten herbei um ihn zu sehen. Einige Quellen berichten sogar davon, dass er genau wie einst Jesus in Jerusalem von Paraden empfangen wurde, die ihm mit Blätterwedeln zuwinkten. Er war ein Mensch aus einer anderen Welt und als solcher wurde er ebenso verachtet, wie verehrt. Es dauerte nicht lange und die ersten Jünger schlossen sich ihm an. Seine beiden ersten Begleiter waren der Rechtsgelehrte Pietro Catanii der reiche Adelige Bernardo di Quintavalle aus Assisi. Später kamen weitere hinzu und spannenderweise handelte es sich auch bei ihnen meist um Adelige, Reiche oder Gelehrte. Es waren nicht diejenigen, die sich dachten, dass sie eh nichts mehr zu verlieren hatten und auf diese Weise in der Gemeinschaft vielleicht ein besseres Leben leben konnten. Es waren die, die es bereits bis an die Spitze geschafft hatten, nur um festzustellen, dass sie die Glückseligkeit, die sie suchten dort nicht finden konnten.

Die Brüder lebten zunächst in einer kleinen Hütte, einige Kilometer von Assisi entfernt in der weiten Ebene, die wir von unserem Fenster aus dem Kloster der Mönche überblicken konnten. Nun bekamen sie vom Abt des Benediktinerklosters die kleine Kapelle in Santa Maria degli Angeli überschrieben, gemeinsam mit etwas Land im Umkreis auf dem sie sich eigene Hütten aus Reisig errichten konnten. Den Überlieferingen nach, war Franz jedoch so sehr davon überzeugt, dass er nichts besitzen wollte, auch dann nicht, wenn es sich um ein Geschenk handelte, dass er den Benediktinern freiwillig eine Art Miete zahlte. Zumeist bestand sie aus Fischen, die die Jungs selbst fingen, oder aus Anteilen von dem was sie erbetteln konnten. Mit der wachsenden Zahl der Gefährten wuchs auch die Zahl der Hütten und bald schon wurde es eine richtige kleine Kommune. Später wurde dies das erste Stammkloster der Franziskaner.

Fortsetzung folgt...

 

Spruch des Tages: Wenn jeder einzelne darauf verzichtet, Besitz anzuhäufen,

dann werden alle genug haben. (Franz von Assisi)

 

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe: 24 km

Gesamtstrecke: 7706,77 km

Wetter: durchgängig Regen und kalter Wind

Etappenziel: Gemeindehaus, 06023 Gualdo Tadino, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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