Glück im Unglück

von Heiko Gärtner
14.10.2014 19:16 Uhr
 

Es fühlt sich ein bisschen nackt an, so ganz ohne eigenen Laptop zu sein. Solange er da war, hatte ich nicht gedacht, welch wichtiges Instrument er für mich geworden ist. Er war meine Arbeitsgrundlage, mein Entertainment-Center, mein Tagebuch, dem ich nahezu alles erzählen konnte und mein Sprachrohr nach außen. Fast komme ich mir richtig süchtig vor, wo ich das so schreibe und wie es aussieht ist die Abhängigkeit, zumindest die gefühlte, von der Technik doch größer als ich selbst geglaubt hätte. Doch der gute Helfer ist ja nicht tot. Er muss nur für eine Art digitale Augen-OP nach Deutschland und unsere Wege werden sich für rund drei Wochen. Auch wenn es zunächst nicht so aussah, hat mir das Universum mit dem Crash zu genau diesem Zeitpunkt übrigens einen unfassbar riesigen Gefallen getan, für den ich ihm echt dankbar bin. Denn nur drei Wochen später wäre die Garantie ausgelaufen und ich hätte ihn nicht mehr so einfach reparieren lassen können. Es war also Glück im Unglück.

Correos - Die Spanische Post

Correos - Die Spanische Post

Als wir das letzte Mal einige Ausrüstungsgegenstände zurückgeschickt haben, die wir nicht mehr brauchten, haben wir auch lange über dem iPad gestanden und hin und her überlegt, ob wir es nicht ebenfalls heimschicken sollten. Ein inneres Bauchgefühl hat uns damals gesagt, dass es vielleicht noch nützlich werden könnte. Und jetzt hat sich gezeigt, wie wichtig diese Entscheidung war. Denn wenn wir zu zweit wirklich nur einen Rechner zum Arbeiten hätten, dann kämen wir mit der Arbeit überhaupt nicht mehr voran. Noch immer verursacht mir der unvermittelte Computerschaden ein flaues Gefühl im Magen, doch ich habe auch den Eindruck, dass das ganze Wahrscheinlich noch für irgendetwas gut ist. Auf jeden Fall hat die Sache wieder ein paar Fragen aufgeworfen. Was war der Computer eigentlich für mich? Hätte ich wirklich in erster Linie ein positives Gefühl zu ihm oder habe ich mich in den vergangen 9,5 Monaten doch immer wieder und allzu oft dazu hinreißen lassen, mich vor allem auf das Negative zu konzentrieren. Habe ich ihn am Ende so sehr zu gejammert, dass er deshalb Selbstmord begangen hat, bzw. Krank wurde?

baumaschinen in den bergen

Baumaschinen in den Bergen

Der Computerblackout hat mich auf jeden Fall noch einmal wachgerüttelt und mich darauf aufmerksam gemacht, dass es viel zu viel Schwere in meinem Leben gibt, die da eigentlich nichts zu suchen hat. Böser Kopf! Hör auf damit! Ich habe leider noch keinen konkreten Plan, wie ich das ändere, aber es wird schon einen Weg geben.

tobias krueger leben ohne geld

Tobi vor einer kleinen Kapelle im Nirgendwo.

 

Die Aussicht unseres Lebens

Als Erstes möchte ich deshalb noch einmal die Geschichte von gestern Nachmittag erzählen, die durch den Crash verloren gegangen ist. Hier war nämlich wirklich ein Gefühl von Leichtigkeit und wahrer Lebensfreude zu spüren, als wir über den steilen Bergpass die Hochebene erreicht haben und die Aussicht über das unendliche verwunschene Panorama erblicken durften. Wir standen da, wie gebannt und waren überwältigt, von der Schönheit und der unglaublichen Kraft der Natur, die sich uns hier präsentierte. Um es in Heikos Worten zu beschreiben: "Das ist der Versöhnungssex unter den Aussichten hier in Spanien!"

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Einer unserer schönsten Aussichtsplätze in Spanien.

Nach all den unterschiedlichen Eindrücken, die das Land in uns hinterlassen hätte, wirkte, es als wollte es uns noch einmal mit einem ordentlichen Feuerwerk verabschieden.

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Die Berge bieten immer wieder ein neues, faszinierendes Panorama.

 

Spanische Bergvölker

Auch die Begegnungen mit den Menschen waren plötzlich viel angenehmer, leichter und positiver als zuvor. Kurz hinter Rocallaura, einem kleinen, urigen Bergdorf am Rande eines flachen Canyons, entdeckten wir ein Restaurant namens Balneári de Rocallaura. Es war ein alter Familienbetrieb und wurde bereits in der fünften Generation geführt. Die Besitzer luden uns auf ein Mittagessen ein und wir setzen uns auf die Terrasse in die Sonne. Man merkt wirklich, dass es langsam Herbst wird, denn noch vor ein paar Tagen wäre es undenkbar gewesen, sich in die Sonne zu setzen.

 

Stärkendes Essen und heilendes Wasser

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Selbst Gundel ist schwer beeindruckt!

Jetzt aber bekamen wir sogar eine Gänsehaut, wenn der Schatten kam. Wie ein übergroßer Tausendfüßler rutschten wir daher immer wieder mit unseren Stühlen und dem gedeckten Tisch in die Sonne. Die Köchin Verstand ihr Handwerk wie kaum eine zweite und wir bekamen zunächst eine leckere Zwiebelsuppe und dann ein Gulasch, das einem auf der Zunge zerging. Das Essen war aber auch deshalb so lecker, weil es mit dem frischen Quellwasser zubereitet wurde, das direkt hinter der Wirtschaft entspringt. Mit einem pH-Wert von 8,5 und einem idealen 2:1 Verhältnis von Calcium zu Magnesium, sowie einem hohen Anteil an so seltenen Mineralien wie Silizium, ist es ein wahres Heilungswasser. Unsere Nieren freuten sie darüber wie saftige Schnitzel und spülten unsere Körper so massiv durch, dass wir kaum aufhören könnten zu pinkeln. Auf den fünf Kilometern bis nach Vallbona les Monges musste jeder von uns allein sechsmal. Wir hätten schon fast Angst, überhaupt nicht mehr anzukommen.

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Aber auch die Städte bieten einiges an Sehenswürdigkeiten.

 

Kein Einlass für Hilfesuchende

Das Erlebnis mit den Nonnen war nicht so großartig. Die guten Damen hätten zwar eine Herberge, die eigens für Wanderer wie uns gedacht war, doch die wollten sie nicht öffnen. Jede Nonne hätte hier ihren Zuständigkeitsbereich und die Nonne für die Herberge wäre gerade außer Haus. Daher könne man uns leider nicht einlassen. Bevor wir gingen, gaben wir den Gottesschwestern diesmal jedoch noch zwei Fragen mit auf den Weg: "Was wäre, wenn nicht wir hier vor der Tür stehen würden, sondern eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen und vergewaltigt wurde und die nun hier Zuflucht sucht?  Oder was wäre, wenn Jesus eines Tages vor eurer Tür stehen würde. Er würde aussehen wie ein Hippie in der heutigen Zeit und wahrscheinlich würdet ihr ihn nicht erkennen. Würdet ihr ihn auch mit der Begründung abweisen, dass die zuständige Nonne nicht im Haus ist?" Die Antworten der Nonnen waren erstaunlich unkreativ und genauso wenig hilfreich. Aber vielleicht, arbeiten die Fragen ja noch eine Weile in ihnen nach.

solsona kathedrale

Nicht alle Klöster waren auch ein Zufluchtsort...

 

Computerblackout

Am Abend wurden wir dann drei Kilometer weiter von einer jungen Familie eingeladen. Der Vater war der Bürgermeister des Dorfes und so kamen wir in Kontakt. Die beiden Eltern waren liebe Leute, die ebenfalls vier Jahre durch die Welt reisten und davon träumen, wieder aufzubrechen. Ihre Kinder waren echte Wirbelwinde und brachten uns vier ganz schön auf Trab. Es war daher nicht so leicht, einen ruhigen Platz zum Arbeiten zu finden. Und genau hier gab dann der Laptop seinen Geist auf. Was meint ihr, wollte er damit wohl sagen? War seine Botschaft vielleicht wirklich, nimm's leichter, arbeite nicht so viel und sei mehr im jetzt? Ging es wieder ums Geldthema? Oder um die Angst durch etwas Unvorhergesehenes irgendwo hängenzubleiben, wo man eigentlich gar nicht sein will?

alte landwirtschaft

In einem der alten Steinhäuser fanden auch wir unser Nachtquartier.

 

Ein neuer Tag in den Bergen

Heute war dann der erste richtige Herbsttag mit Muffelwetter und Regen. Doch auch jetzt hätte die Landschaft ihren Charme und beeindruckte und noch immer. In Tárrega wurden wir dann von der lieben und unkomplizierten Besitzerin des Hotels Pintor Marsa eingeladen, die uns später sogar noch ein Abendessen spendiert. Von hier aus konnten wir alles für die Heimsendung des Computers regeln. Für das Mittagessen haben wir heute sogar ein chinesisches Restaurant gefunden, das uns eingeladen hat. Das Restaurant hieß Fortuna und befand sich direkt gegenüber vom Hotel. Es war das erste Mal in Spanien, dass wir richtiges chinesisches Essen bekommen haben. Und dann auch gleich noch so gutes!

 

Spruch des Tages: Wenn das Leben dir eine Zitrone reicht, mach eine Limonade draus. Oder freu dich einfach über die Vitamine in der Zitrone.

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 18 km

Gesamtstrecke: 5549,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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