Tag 874: Gastfreundschaft in Griechenland

von Heiko Gärtner
25.05.2016 02:02 Uhr

05.05.2016

Die Straße führte erst einmal in seichten Serpentinen bis an das hintere Ende des Tals hinauf. Dann endete der asphaltierte Bereich und von nun an blieb nur noch eine verwaschene Schotterpiste. Der Regen der letzten tage hatte tiefe Furchen in den Boden gerissen und an mehreren Stellen erinnerte der Weg eher an ein Flussbett, denn an eine Straße. Die Aussicht aber war gigantisch. Allein auf den ersten drei Kilometern kamen wir an mehr magisch verwachsenen Bäumen vorbei als sonst in einem ganzen Monat. Immer wieder konnten wir auf das Tal hinabblicken. Links von uns öffneten sich die Berge und gaben den Blick frei auf die weite Flachebene, aus der wir gekommen waren. Und davor lag still und verborgen das einsame Dorf Panorama. Wenn man es von hier aus betrachtete, dann war es kein schlechter Platz, um sich einen Dauerwohnsitz einzurichten.

Die meisten Einwohner lebten in Thessaloniki oder in Athen und kamen nur für die Sommerferien hier her. Übrig blieben vielleicht gerade einmal 20 Menschen, die dauerhaft hier lebten und die hatten sich als durchaus angenehme Zeitgenossen herausgestellt. Es gab Strom und Wasser aber ansonsten war man von der Zivilisation weitgehend abgeschnitten. Autos gab es hinter dem Dorf nicht mehr und der Pass über die Berge war schon vor langer Zeit aufgegeben worden. Es war keines der Flecken, an denen man fürchten musste, dass die Idylle in naher zukunft durch große Bauprojekte zerstört wurde, sondern viel mehr einer der Orte, an denen sich die Natur ihren Platz zurück holte. Ein kleines Blockhaus oderhabl des Dorfes wäre also ideal.

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Es war noch immer warm und seicht genug, um alles anbauen zu können, was man zum Leben brauchte und wenn man wirklich einmal etwas aus der Zivilisation benötigte, dann war Drama nahe genug, um es sich kaufen zu können, aber auch wieder so weit weg, dass man die Stadt von hieraus nicht bemerkte. Die Wälder waren hier noch wild und ursprünglich. Später entdeckten wir sogar einige Wolfsspuren auf dem Weg und eine Touristenhinweistafel zeigte, dass es hier sogar Adler gab. Es war nicht schwer zu glauben, denn dieses Gebirge zog sich bis nach Bulgarien rüber und war ein gigantisches Territorium voller unzugägnlicher Wälder. Egal welches Tier hier ungestört leben wollte, es war ihm vollkommen möglich. Wenn wir uns also wirklich einmal wieder sesshaft machen wollten, dann war dies hier einer der Orte, die in die nähere Auswahl kamen.

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Oben am Pass trafen wir dann wirklich auf die alte Kaserne, die nun nur noch eine Ruine war. Hier machten wir eine Gipfelpause und zogen dann auf der anderen Seite wieder ins Tal hinunter. Es war windig und bitterkalt geworde. Für die ersten Maitage in Griechenland war es insgesamt erstaunlich kalt hier. Viele Einwohner, mit denen wir uns unterhielten, sahen das übrigens genauso, wie wir später noch feststellen sollten. Unten im Tal erreichten wir einen kleinen Ort, in dem wir sofort von einem Bauern eingeladen wurden. Er bot uns sogar ein Gästezimmer an, das wir jedoch dankend ablehnten. Sein Haus war winzig, roch stark vermodert und war so voller Gerümpel, dass man kaum ein Bein an den Boden brachte. Das besagte Gästezimmer war nur durch einen Vorhang vom Wohnzimmer getrennt, so dass wir faktisch direkt vor seinem Fernseher geschlafen hätten. Es war also nicht ganz das, was wir uns unter einem ungestörten Schlafplatz vorstellten. Costas, so hieß der Mann, verstand unsere Einwände und versuchte sogleich eine Alternative aufzutreiben, womit er jedoch erfolglos blieb.

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"Hier leben rund 80 bis 100 Familien in diesem Ort", sagte er frustriert und enttäuscht, "und keiner von ihnen ist in der Lage, einem Reisenden ein Gästezimmer anzubieten! Ich schäme mich wirklich für unser ganzes Dorf und es tut mir in der Seele weh, dass ich euch nicht weiterhelfen kann!" Am stärksten enttäuscht war er vom Pfarrer und vom Bürgermeister. Beide hätten uns ohne Probleme einen Raum zur Verfügung stellen können, doch beide lehten aus reiner Unlust ab. Der Bürgermeister sei einer von diesen Leuten, wie es sie früher in Deutschland viel gegeben hatte, meinte er erklärend, diese politische Richtung, die ganz rechts ist, ihm falle nur der Name gerade nicht ein. "Nazis!" rief er plötzlich, "Jetzt hab ichs! Unser Bürgermeister ist ein Nazi! er hasst jeden, der kein Grieche ist, ganz egal was er macht, wer er ist oder was er braucht." Das viele Menschen hier eine sehr rechte Einstellung hatten, hatten wir ja bereits zuvor vermutet. Ganz offensichtlich hatten wir damit nicht ganz falsch gelegen.

Da er sonst nichts für uns tun konnte, lud uns Costas noch zum Essen ein. Seine Frau zauberte ein Gericht aus diesen kleinen, reisförmigen, griechischen Nudeln, Fleisch, Kartoffeln, Salaft, Schafskäse und Oliven. Dazu gab es wie immer Weißbrot. In der obersten Brotscheibe hatte sich bereits ein Ohrenkneifer eingenistet, die Gläser waren das letze Mal gereinigt worden, als sie aus der Fabrik kamen und Heiko fand in seinem Essen ein etwa zwanzig Zentimeter langes Haar. Aber davon einmal abgesehen war es nicht schlecht. Man durfte hier wirklich nicht allzu zimperlich sein. Spannend war jedoch wieder, dass wir gerade von denen die größte Gastfreundschaft erfuhren, die selbst nichts hatten.

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Schließlich zogen wir wieder hinaus in die Felder und bauten unser Zelt auf dem Grünstreifen zwischen einem Wassergraben und dem Feldweg auf. Der Himmel hatte sich bereits wieder vollkommen schwarz zugezogen und der Wind blies uns kalt ins Gesicht. Noch immer rüttelt und zerrt er an unserem Zelt, als wollte er es einreißen. Für einen Sommer in Griechenland ist das wirklich nicht besonders typisch.

Spruch des Tages: Manchmal will man helfen und kann nicht, weil sich alle anderen quer stellen.

Höhenmeter: 160 m Tagesetappe: 28 km Gesamtstrecke: 15.370,27 km Wetter: durchgängig Regen bis auf wenige kurze Pausen Etappenziel: Zeltplatz auf einem Feld, kurz hinter 6147 Yasenovo, Bulgarien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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