Der Pilgerweg nach Sinj

von Heiko Gärtner
08.06.2015 00:49 Uhr

Heute verließen wir Bosnien und kehrten fürs erste nach Kroatien zurück. In den kommenden Tagen werden wir aber wohl noch öfter über die Grenze und wieder zurück hüpfen. Zunächst wandern wir nach Sinj, dann nach Split. Beides liegt in Kroatien. Dann aber geht es weiter nach Medjugorje, also zurück nach Bosnien. Anschließend wollen wir nach Dubrovnik, einem der bekanntesten kroatischen Küstenorte. Doch um dorthin zu gelangen werden wir wahrscheinlich auch noch einmal aus Bosnien aus- dann wieder ein und schließlich noch einmal ausreisen. Wenn es bei jedem Grenzübertritt einen Stempel gibt, dann ist unser Reisepass anschließend wahrscheinlich bereits voll und wir haben nur ein einziges außereuropäisches Land besucht.

Die Grenzposten waren auf ihre weise wieder einmal wahre Spaßbringer. Auf bosnischer Seite gab es einen einzigen Beamten, der Englisch sprach, auf kroatischer überhaupt keinen. Wie das möglich war, war uns ein Rätsel. Es reisten doch nicht nur Einheimische hin und her und nicht jeder Grenzübertritt verlief absolut problemlos. Doch sobald einer eine Frage hatte oder irgendetwas unklar war, waren die Beamten aufgeschmissen. Bei vielen Berufen spielt es ja wirklich kaum eine Rolle, ob jemand Fremdsprachenkenntnisse hat oder nicht, aber als Mitarbeiter von Touristeninformationsbüros und als Beamter an Grenzübergängen sollte man schon meinen, dass es eine Voraussetzung ist.

Die bosnischen Beamten schlugen uns daher einfach den Ausreisestempel in den Pass und winkten uns durch. Auf der kroatischen Seite wurden wir von einem jungen Mann kontrolliert, der so mit Steroiden aufgepumpt war, dass wir ein bisschen Angst hatten, er würde vor unseren Augen zerplatzen. Sein Deutschwortschatz war nicht viel größer als unsere Kroatischkenntnisse, doch er wollte zeigen, was er draufhatte und packte ihn aus, so gut es ging.

„Habt ihr etwas zu verzollen?“ fragte er schließlich, „Marihuana zum Beispiel oder irgendwelche anderen Drogen?“

„Nein!“ sagten wir und schüttelten amüsiert den Kopf, „Nur etwas Obst. Ein Paar Pfirsiche und Bananen, aus dem kleinen Laden dort drüben.“

„Aha!“ sagte er und war mit der Antwort vollkommen zufrieden.

Ob er die Leute wohl immer so kontrollierte? Was erhoffte er sich davon? Glaubte er ernsthaft, dass jemand der wirklich Drogen schmuggeln wollte, seine Frage mit Ja beantwortete?

„Oh, stimmt jetzt wo du es sagst! Ich habe ein Kilo Koks dabei! Aber das ist kein Problem oder? Es ist auch ganz frisch und sicher nicht mit irgendwelchen Krankheitserregern belastet.“

Wenn er nach Alkohol und Zigaretten gefragt hätte, dann hätte das ja vielleicht noch klappen können. Aber so war das Szenario doch eher unwahrscheinlich.

Spannend war auch, dass der Pilgerweg, dem wir nach Sinj folgten mitten durch den Wald an dem Grenzposten vorbei führte. Wie uns der Mönch gestern gesagt hatte, war er erst ganz neu ausgeschrieben worden und noch keine zwei Jahre alt. Wieso also hatte man ihn um die Grenze herumgebaut? Für Einheimische, die eh eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für beide Länder haben, spielt das natürlich keine Rolle. Aber um Touristen ins Land zu holen, ist der Weg so nicht besonders schlau gelegt. Vor allem deshalb, weil er eigentlich in die andere Richtung ausgeschrieben ist, also von Sinj nach Bosnien. Jeder Europäer, der ihm also folgt und nicht weiß, dass er über eine offizielle Grenze muss, reist so automatisch ausversehen illegal nach Bosnien ein und bekommt einen Haufen Probleme. Alle Pilger, die vorhaben diesen Weg einmal zu wandern, was wir noch immer wärmstens empfehlen können, sollten also unbedingt darauf achten, dass sie kurz vor der Grenze nicht dem Pilgerweg, sondern der Hauptstraße folgen. Kurz danach kreuzen sich beide dann eh wieder und man kann zurück auf den schönen Weg. Zumindest heute war aber auch die Hauptstraße nur wenig befahren, weshalb das ganze auch kein Problem war.

Ungefähr einen Kilometer nachdem wir die Grenze überquert hatten, bogen wir dann wieder auf den Sinj-Weg ab und folgten ihm in die Berge. Es war heute so heiß, dass wir buchstäblich schmolzen. Nach neun Kilometern erreichten wir dann einen kleinen Ort mit nur drei Einwohnern und einem großen Wildgehege. Hier gab es außerdem einen Picknickplatz mit Bänken und einem Dach, das uns Schatten spendete. Da der nächste Ort noch einmal weitere 11km entfernt war, beschlossen wir hier zu bleiben und am Abend unser Zelt aufzustellen. Heiko hatte zwei Hühneraugen am Fuß, die auf dem felsigen Untergrund bei jedem Schritt schmerzten. Vor allem auch deshalb, weil die Füße durch die Hitze eh schon angeschwollen und aufgeweicht waren.

Kaum hatten wir uns hingesetzt, kam auch schon ein Mann aus dem Wald und steuerte direkt auf uns zu. Trotz des Gewehrs in seiner Hand wirkte er freundlich und er schien sich wirklich zu freuen, uns zu sehen. Englisch oder Deutsch sprach er nicht, aber es gelang uns dennoch, uns irgendwie zu verständigen. Nach einem kurzen Gespräch bot er uns Bier an, das wir jedoch in einen Saft ummünzen konnten. Außerdem bekamen wir etwas Brot mit Schweinespeck. Es ist wirklich der Wahnsinn! Egal wo man hier jemanden um Essen bittet oder zu welcher Tageszeit, man kann fast zu 90% davon ausgehen, dass man Brot mit Schweinespeck und anderen Schweinefleischprodukten bekommt. Das erschreckende dabei ist aber nicht, dass wir es bekommen, sondern dass die Menschen wirklich nichts anderes im Haus haben. Sie scheinen sich also fast ausschließlich davon zu ernähren und das bereits seit wir Kroatien zum ersten Mal betreten haben.

Ebenso verstörend ist, dass man trotz der Einsamkeit hier fast nie einen ruhigen Platz findet. Wir befinden uns nun bereits seit Wochen in einer Region, in der im Schnitt nicht mehr als 5 Menschen auf einem Quadratkilometer wohnen und doch schaffen sie es, überall Lärmquellen zu installieren. Gerade sind wir wieder umgeben von einem verstörten, in einen Zwinger eingesperrten Hund, der ununterbrochen kläfft und von einem Mann, der irgendwo weiter unten im Tal seinen Rasen mit einem Seitenschneider trimmt. Wie schafft man es, an so idyllischen Plätzen trotzdem so viel Unruhe zu erzeugen?

Spruch des Tages: Die Erde hat genug für die Bedürfnisse der Menschen, aber nicht für Ihre Gier. (Mahatma Gandhi)

 

Höhenmeter: 270m

Tagesetappe: 17km

Gesamtstrecke: 9381,77 km

Wetter: sonnig und heiß, später plötzliche Regengüsse

Etappenziel: Wanderunterstand, 21245 Ljut, Kroatien

Eine kleine Anekdote habe ich gestern im Bericht noch vergessen. Unser Fremdenführer erzählte sie uns, als wir uns den Streichelzoo anschauten. Wir kamen dabei irgendwie auf das Thema Kinder und Jugendliche und auf den Umstand, dass der Bezug zur Natur immer weiter verloren ging. Genau zu diesem Thema fiel dem Mann eine Geschichte ein, die sich vor kurzem hier auf dem Hof ereignet hatte und die uns fast aus den Socken haute.

Zum Streichelzoo gehörte auch ein kleines Pony. Es war ein sehr ruhiges Tier, das gerne einfach still dastand und die Welt betrachtete. Als eine Schulklasse mit Grundschülern auf den Hof kam um sich die Tiere anzuschauen, kam auch ein kleiner Junge, der sich besonders für dieses Pony interessierte. Er fragte sich, warum es sich nicht bewegte und kam schnell auf eine für ihn vollkommen schlüssige Antwort. Ohne lange zu überlegen nahm er sein Portmonee aus der Tasche und holte eine Mark heraus. Dann hob er den Schwanz des Ponys nach oben und siehe da, er wurde fündig. Direkt unter dem Schwanz befand sich die Öffnung zum Geld einwerfen, wie er sie auch von den Plastikpferden kannte, die vor den Supermärkten stehen und auf denen man für eine Mark „reiten“ konnte. Der Mitarbeiter, der die Kinder beaufsichtigte bemerkte gerade noch rechtzeitig, was hier los war und konnte den Jungen in der letzten Sekunde davon abhalten, dem armen Pony das Geld in den Arsch zu stecken. Sicher hätte es sich daraufhin bewegt, aber aus einem vollkommen anderen Grund, als die Supermarktpferde.

Und noch etwas anderes erzählte uns der Mann. Es hatte nichts mit dem Öko-Dorf an sich zu tun, war aber trotzdem eine spannende Information. In Bosnien muss man keine Steuern auf Häuser zahlen. Man braucht, wenn man ein Grundstück außerhalb einer Stadt besitzt, nicht einmal eine Baugenehmigung, sondern darf alles dort hinstellen, was einem in den Sinn kommt. Lediglich bei Stadtgrundstücken gibt es die Regel, dass man der Stadt vor Baubeginn einen Plan vorlegen muss, aus dem ersichtlich ist, was für ein Gebäude hier entstehen soll.

Nach dem Abendessen machte ich mich dann noch einmal daran, meinen Wagen genauer unter die Lupe zu nehmen. Irgendetwas hatte tagsüber immer wieder geklappert und ich musste herausfinden, was es war. Es gab viele Dinge, mit denen ich gerechnet hatte, aber nicht mit dem, was ich dann entdecken sollte. Meine rechte Steckachse war verbogen, so dass das Rad nicht mehr senkrecht stand, sondern leicht schief. Noch immer ist es mir ein Rätsel, wie das passiert sein konnte, denn die Achse besteht aus massivem, gehärteten Stahl. Wahrscheinlich musste sie einen Schlag abbekommen haben, als wir durch die Wildnis wanderten und den extrem steilen Berghang mitten durch die Büsche und über die dicken Felsen abstiegen. Dabei ist er mir einmal gekippt, so dass die ganze Belastung auf einer Seite dieses einen Reifens lag. Doch dass dabei gerade die Steckachse nachgibt und nicht das Rad selbst, hätte ich nicht erwartet. Zum Glück hatten wir noch einige Ersatzachsen, so dass ich sie tauschen konnte. Nur die Zeit wurde dadurch wieder einmal ein Problem. Schade, dass im Moment gerade die Tage so voll werden, an denen wir so schöne, entspannte Plätze haben, wie diesen hier.

Dafür machten wir heute einen wirklich entspannten Tag. Wir wanderten nur einmal halb um den See herum, bis zu einem Karmelitenkloster. Dort traf ich einen jungen Mönch mit einem riesigen, ausgefranzten Strohhut, der gerade barfuß durch den Garten lief, um die Hühner mit Mais zu füttern. Er führte mich zu den anderen Mönchen, die im hinteren Teil des Gartens die Beete pflegten. Der Superior sprach gut Deutsch und lud uns ohne Umschweife ein, hier zu übernachten. Anders als im Franziskanerkloster von Tomislavgrad bekamen wir diesmal keine Gerümpelkammer sondern ein richtiges Zimmer. Das Kloster ist in erster Linie ein Seminarbetrieb und wirkt fast eher wie ein Hotel als manche Hotels in denen wir in der letzten Zeit wahren. Kurz nachdem wir eingezogen waren, bekamen wir ein ordentliches Mittagessen. Nun haben wir endlich mal wieder einen ganzen Nachmittag Zeit, um alles zu erledigen was wir in den letzten Wochen auf die lange Bank schieben mussten.

Am Anfang unserer Reise hatten wir eine Phase, in der wir kurz davor waren, unser Zelt wieder nach hause zu schicken, weil wir glaubten, es wohl nie brauchen zu würden. Doch zum Glück haben wir diesen Gedanken niemals ausgeführt, denn seit wir Italien verlassen haben übersteigen die Zeltnächte die Indoornächte langsam immer mehr. Dabei mussten wir auch oft an unsere Zeiten auf den Survivaltouren zurückdenken, in denen wir ganz im Freien übernachtet haben. Im Moment ist es hier etwas zu unsicher dafür, weil sich das Wetter so schnell wandelt und wir nur einen Schlafsack pro Person haben. Aber eine schöne Erfahrung war es schon immer. Oder besser gesagt meistens, denn es waren auch einige wirklich fiese, kalte und ungemütliche Nächte darunter. Auf der anderen Seite gibt man der Natur dadurch natürlich auch die Möglichkeit, sich uns noch einmal auf völlig neue Weise zu nähern.

Als Heiko vor einigen Jahren in steinzeitlicher Manier nach Spanien gewandert ist und 100 Tage lang im Freien übernachtet hat, kam eines nachts sogar ein kleiner Feldhase, kuschelte sich an ihn und schlief die ganze Nacht neben ihm. Erst als er am Morgen wieder aufwachte, sprang auch er auf und hoppelte davon.

Solche Erfahrungen passieren natürlich nur selten, doch man kann sie nur dann erleben, wenn man ihnen die Chance dafür gibt. Auch beim Zelten ist man der Natur bereits viel näher, als in einem geschlossenen Raum, doch noch immer ist man von der Welt durch eine Plastikhaut getrennt. Wirklich eintauchen in die Natur kann man nur dann, wenn man ihr ganz ohne Wand begegnet.

Auf der anderen Seite hat es natürlich auch einen Grund, dass wir Menschen irgendwann damit begonnen haben, uns in Zelte, Höhlen und Häuser zurückzuziehen, wenn wir schlafen wollten. Denn die Einflüsse von Kälte, Nässe aber auch von Mücken und anderen Insekten, können doch recht unangenehm sein. Trotzdem möchten wir euch das Übernachten im Freien ans Herz legen, für den Fall, dass ihr es noch nicht gemacht habt. Damit eure erste Nacht unter freiem Himmel aber nicht gleich auch eure letzte wird, weil ihr so frustriert seit, dass ihr es nicht noch einmal wiederholen wollt, solltet ihr einige Dinge wissen und beachten.

1. Der richtige Zeitpunkt

Wer wenig Erfahrung mit dem Leben in der Natur hat, der sollte nicht gleich im Herbst oder im Winter damit beginnen. Sucht euch am Besten eine Nacht in einer Zeit aus, in der es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kälter als 10°C wird. Vor allem aber sollte der Wetterbericht eine trockene Nacht prophezeien. So schön das Einschlafen unter dem Sternenzelt auch ist, so unangenehm kann das erwachen durch Regentropfen sein, die einem ins Gesicht fallen.

2. Der richtige Ort

Ebenso entscheidend wie der Zeitpunkt, ist der Platz, den ihr euch zum Schlafen aussucht. Achtet zunächst einmal darauf, dass ihr wirklich in der Natur landet und nicht an versteckten Partyplätzen, an denen nachts gefeiert und getrunken wird. Wir haben es durch Zufall einmal geschafft, bei einer solchen Aktion auf einem Swinger-Parkplatz Mitten im Wald zu landen. Ihr könnt euch sicher unsere Gesichter vorstellen, als uns bewusst wurde, dass die vielen nächtlichen Wanderer nicht zum Mondscheinangeln hier hergekommen waren. Vor allem an Wochenenden solltet ihr darauf achten, dass ihr euch von Plätzen fern haltet, an denen Alkohol getrunken wird, denn sonst kann es wirklich gefährlich werden. Auch solltet ihr euch nicht direkt neben einen Fluss, einen Bach oder mitten auf eine Wiese legen. Denn hier wird es nachts sehr schnell feucht und damit auch kalt. Achte auch darauf, dass du einen Platz wählst, den man auch im Dunkeln zu Fuß leicht und sicher erreichen kann. Wenn es aus irgendeinem Grund nötig sein sollte, ihn nachts wieder zu verlassen, dann sollte dies gefahrlos möglich sein. Laufe also nicht zu weit durch unwegsames Gelände in den Wald hinein, sondern bleibe in der Nähe eines festen Weges und achte darauf, dass du immer weißt, wo er sich befindet und wie du auf ihm wieder zurück nach Hause oder zu deinem Auto findest.

3. Die richtige Ausrüstung

Die Ausrüstung, die ihr bei eurer Übernachtung im Freien dabei habt, entscheidet sehr stark, was für eine Art Erlebnis ihr erhaltet. Bei der ersten Nacht im Freien ist des durchaus sinnvoll, sich einen Schlafsack und eine Isomatte mitzunehmen. Wenn ihr eine Luftmatratze verwenden wollt, solltet ihr zusätzlich eine Gewebeplane mitnehmen, die ihr im Wald unterlegen könnt. Sonst kann es passieren, dass euch sehr bald die Luft ausgeht. Bedenkt auch, dass ein Schlafsack, der mit Daunen gefüllt ist nur dann wärmt, wenn er trocken ist. Wenn ihr also an einem Platz seit, an dem eine hohe Kondensfeuchtigkeit entsteht oder wenn es in der Nacht doch regnen sollte, dann verliert ihr sämtlichen Wärmeschutz. Daher ist es ratsam, einen Daunenschlafsack zusammen mit einer Wasserdichten Biwak-Hülle zu verwenden, oder eine solche Hülle zumindest für den Notfall dabei zuhaben. Synthetikschlafsäcke hingegen wärmen auch dann noch, wenn sie nass werden. Bedenkt jedoch auch, dass Schlafsäcke, Isomatten und Luftmatratzen fast immer aus Kunstfasergewebe bestehen und daher sehr feuerempfindlich sind. Wenn ihr neben eurem Schlafplatz also wirklich ein Feuer machen wollt, dann achtet darauf, dass ihr genügend Sicherheitsabstand zum Feuer habt. Außerdem solltet ihr nur Laubhölzer für das Feuer verwenden, da Nadelhölzer durch den Harzeinschluss oft springen und ihre Glut weit verteilen, so dass es schnell zu Brandlöchern kommen kann. Alternativ könnt ihr natürlich die Nacht auch vollkommen im Freien verbringen, also Ohne einen Schlafsack. Eine Unterlage ist aber in jedem Fall ratsam, da der Boden in der Nacht feucht und kalt wird. Hierfür kannst du aber auch eine beschichtete Picknickdecke oder ein Fell nehmen, je nachdem wie rustikal du es haben möchtest. Wichtig ist es aber in jedem Fall, dass du deine Hände und Füße vor Kälte schützt. Nimm dir am besten warme Socken mit und halte deine Hände nah am Körper. Falls ihr unsicher seid, ob es doch vielleicht regnet, könnt ihr euch auch eine Plane spannen, die euch wie ein kleines Dach vor dem Regen schützt, ohne euch aber wirklich von der Außenwelt abzuschirmen. Für den Fall, dass du nachts doch noch einmal aufstehen musst, solltest du außerdem eine Taschenlampe dabei haben.

4. Der richtige Umgang mit Tieren

Wenn du in Deutschland oder in Mitteleuropa bleibst, brauchst du dir um Tiere zunächst keine großen Gedanken zu machen. Wildschweine, Füchse und Dachse werden dich nicht angreifen und auch nicht fressen. Im Gegenteil, wenn du bei deiner Nacht im Wald ein größeres Tier zu Gesicht bekommst, kannst du dich glücklich schätzen, denn normalerweise halten sie einen recht großen Abstand. Im Sommer sind es eher die kleinen Tiere, genauer gesagt die Mücken, die dir die Nacht vermiesen können. Sie lieben Feuchtigkeit und tauchen daher vor allem in feuchten Laubwäldern oder in der Nähe von Gewässern, Sümpfen oder Pfützen auf. In trockenen Nadelwäldern hingegen fühlen sie sich nicht so wohl und auch leichter Wind führt dazu, dass sie einen nicht, oder nicht so sehr belästigen. Wenn ihr aber wirklich in der Mückenhochsaison raus wollt, dann hilft es, sich ein kleines Feuer zu machen, dass ihr in der Nacht immer wieder am Laufen haltet. Dies hält die kleinen Plagegeister ebenfalls fern. Spinnen, Schlangen und Käfer sind in unseren Breiten hingegen harmlos und mit Ameisen bekommt man nur dann ein Problem, wenn man sich direkt in oder neben ihren Staat legt.

5. Die richtige Einstellung

Das wichtigste an einer Nacht im Freien ist es jedoch, dass ihr für die Erfahrung offen seit und euch darauf einlasst. Es mag vielleicht nicht die gemütlichste Nacht eures Lebens werden, aber dafür bekommt ihr ein Geschenk, das ihr in einem Haus oder Zelt nie so bekommen könnt. Ihr spürt die Freiheit und wenn ihr die Erfahrung öfter macht, dann werdet ihr feststellen, dass der Wald langsam zu eurem Wohnzimmer wird. Ihr werdet spüren, dass ihr hier zuhause seit, dass ihr es schon immer wart, genau wie unsere Vorfahren seit Anbeginn der Menschheit. Wir haben es nur vergessen.

Spruch des Tages: Es gibt zwei Arten von Menschen: die einen scheißen auf die Natur, die anderen scheißen in die Natur (Weisheit, die uns vor vielen Jahren bei einer Nacht im Freien im Elbsandsteingebirge eingefallen ist)

Höhenmeter: 50m

Tagesetappe: 5km

Gesamtstrecke: 9364,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Kloster Karmel Svetog Ilije, 80245 Zidine, Bosnien und Herzegowina

 

 Vor zwei Tagen stießen wir bei unserer Wanderung durch das Niemandsland zufällig auf einen Wegweiser, der einen Pilgerweg markierte. Zur Abwechslung hatte dieser einmal nichts mit dem Jakobsweg zu tun, sondern führte nach Sinj, einem Pilgerort in der Nähe der kroatischen Küste, den wir schon einmal als mögliches Ziel angedacht, dann aber wieder verworfen hatten. Zufällig oder auch nicht, führte dieser Pilgerweg nun genau durch die Orte, die wir zuvor auf der Karte bis an die kroatische Grenze geplant hatten. Wir beschlossen also ihm zu folgen und entschieden uns auch dafür, noch einen kurzen Abstecher nach Sinj zu machen, bevor wir dann entlang der Küste nach Split und später wieder landeinwärts nach Medjugorje wandern würden. In Tomislavgrad hatte uns der Weg mit dem schönen Namen „Unsere-Jungfrau-von-Sinj-Pilgerweg“ dann zum Franziskanerkloster geführt. Vielleicht brachte er uns ja Glück und auch in Zukunft sichere Schlafplätze.

Zunächst führte er uns ziemlich steil den Berg hinauf und dann mitten durch einen Wald, bis wir auf der anderen Seite wieder über noch steilere, steinige Pfade ins Tal abstiegen. Er war nicht unbedingt ein Kinderspiel mit unseren Wägen, aber auch nicht die größte Herausforderung, die wir je hatten. Dafür führte er aber durch wirklich schöne Natur und vor allem war er sehr gut ausgeschildert. Besser noch als mancher Jakobsweg, dem wir gefolgt waren. Für alle Pilgerbegeisterten, die Santiago schon in- und auswendig kennen ist dieser Weg also eine wirklich schöne Alternative, die wir bestens empfehlen können.

Nach dem Tal, kam natürlich wieder ein Berg, diesmal einer, der so steil anstieg, dass wir von den Wagen fast nach hinten gezogen wurden. Links von uns weidete ein Kuh-Hirte seine Rinder, die mit der Steigung irgendwie deutlich entspannter zurechtkamen als wir. Fasziniert stellten wir fest, dass wir vor Bosnien noch nie Kuh-Hirten gesehen hatten. Hier war das aber noch ein ganz natürliches und alltägliches Bild. Fleisch von glücklichen Kühen gab es also wirklich, auch wenn man es in Deutschland sicher vergebens suchte.

Hinter der nächsten Bergkuppe erwartete uns dann eine Aussicht, die uns den Atem raubte. Vor uns lag ein riesiger See, dessen strahlend blaues Wasser in der Sonne glänzte. Er war umrandet von rauen, felsigen Berghängen und präsentierte Bosnien schon wieder in einem vollkommen neuen, unerwarteten Licht. Erst später erfuhren wir, dass es sich bei diesem See um den größten, künstlichen See Europas handelte.

Wir schlängelten uns ins Tal hinab und überquerten den See an seiner schmalsten Stelle mit Hilfe einer Brücke. Auf der gegenüberliegenden Seite wurden wir von den Besitzern eines Trucker-Motels auf ein Mittagessen eingeladen. Theoretisch gab es hier auch Zimmer, doch der Verantwortliche für den Hotelbereich war gerade außer Haus. Dafür erzählte uns der Ober von einem Öko-Dorf, dass ganz hier in der Nähe direkt am Jungfrauen-von-Sinj-Weg lag. Dort würden wir sicher einen Platz zum Übernachten finden.

Der Ober hatte nicht übertrieben. Obwohl wir ihn nie persönlich kennenlernten, spendierte uns Jozo Curkovic, der Besitzer des Dorfes nicht nur eine Nacht in einem wunderschönen Apartment, sondern gleich auch noch ein Abendessen und ein Frühstück. Im Restaurant lernten wir dann einen freundlichen Mann kennen, der uns eine Führung durch das Dorf gab und uns dabei gleich noch einige interessante Details über seine Entstehung erzählte.

Vor etwas mehr als 50 Jahren hatte es an dieser Stelle keinen See, sondern nur ein grünes Tal gegeben. Die Jugoslawische Regierung hatte dann aber beschlossen, dass hier eines der größten Wasserkraftwerke der Welt entstehen sollte. Da nach der kommunistischen Idee eh alles allen gehörte, wurde das Tal daher kurzerhand zu Staatseigentum erklärt und alle Einwohner der darin und darum liegenden Dörfer mussten sich eine neue Bleibe suchen. Darunter war auch Jozo Curkovic. Er zog nach Kroatien und wurde dort als Geschäftsmann sehr reich. Jahre später entschied er sich jedoch dafür, seine Karriere aufzugeben und in seine alte Heimat zurückzukehren. Bislang war das komplette Gebiet um den See Sperrgebiet gewesen, in dem niemand leben und in dem auch niemand Tourismus betreiben durfte. Nach der Aufspaltung Jugoslawiens in die Einzelstaaten hatte Bosnien daher keinen allzu großen Nutzen mehr von dem See. Er durfte nun zwar wieder bewohnt werden, doch es gab nur wenige Menschen die zurückkamen. Der Gewinn in Form von Strom, den der See einbrachte, kam nur Kroatien zugute, denn das Wasserkraftwerk lag am Ende eines langen Tunnels, der einmal quer durch den Berg bis auf die kroatische Seite der Grenze führte.

Jozo beschloss daher, das verlassene Land wieder nutzbar zu machen und hier ein Tourismusdorf zu gründen, das Bosnien einen positiven und verträglichen Tourismus einbrachte. Jeder, dem er davon erzählte, hielt ihn für verrückt, denn niemand glaubte daran, dass Bosnien wirklich Urlauber anziehen konnte. Vor allem nicht so nahe an der Küste, wo es bereits einen florierenden Tourismus gab. Wenn er sein Geld schon in etwas investieren wollte, dann doch lieber in ein Hotel am Meer.

Doch Jozo hörte nicht auf das Gerede. Er wollte nicht irgendwo ein Hotel eröffnen, er wollte sein Heimatdorf wieder zum Erblühen bringen.

Das ganze ist nun 15 Jahre her und seitdem ist hier viel passiert. Es entstand ein großes, schönes Restaurant, ein Ponnyhof, ein Streichelzoo und vieles mehr. Vor zwei Jahren fand dann die Eröffnung statt, doch die Arbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen. Zwei Hotels, ein Massagebereich, die Parkanlagen, ein Swimming-Pool und eine pompöse Jesusstatue befinden sich noch immer im Bau. Es ist ein Lebensprojekt, in dem viel Liebe zum Detail steckt und das wahrscheinlich niemals wirklich abgeschlossen sein wird.

Unser Führer begleitete uns zunächst zum höchsten Punkt des Dorfes. Hier hatte man einen Friedhof gefunden, der bereits über tausend Jahre alt war. Hier auf dem Gipfel wurde nun das Kreuz mit der Jesusstatue errichtet. Noch hatte sie weder einen Kopf noch Arme und doch wirkte sie schon mächtig und beeindruckend. Unterhalb des Friedhofes kamen wir an zwei Eichen vorbei, die wie Zwillinge direkt nebeneinander standen. Der freundliche Hofmitarbeiter erzählte uns, dass es über diese beiden uralten Bäume eine alte Legende gab, die zum Wahrzeichen des Dorfes wurde. Vor siebenhundert Jahren lebten hier zwei junge Menschen, ein Mann und eine Frau, die unsterblich in einander verliebt waren. Doch der Mann gehörte einem reichen Adelsgeschlecht an, während die Frau nur eine arme Bäuerin war. Ihre Liebe war also verboten. Um dennoch zusammen sein zu können, pflanzten sie die beiden Eicheln in den Boden, jeder eine als Symbol für sich selbst, so dass sie niemals getrennt werden konnten. Wie durch ein Wunder gelang es ihnen dann aber schließlich doch noch, ihre Familien davon zu überzeugen, dass sie für einander bestimmt waren. Sie durften heiraten und lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Die beiden Eichen aber wuchsen und gediehen bis zum heutigen Tage. Jedem, der die Legende kennt und der an ihnen vorbeigeht verraten sie, dass die Liebe letztlich immer stärker ist, als alle Widrigkeiten, die ihm im Weg stehen.

„Schaut!“ sagte der Mann, als er die Geschichte beendet hatte, „obwohl beide genau gleich alt sind, ist die eine ein wenig schlanker und die andere ein bisschen kräftiger. Man kann noch immer erkennen, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelt.“

Auf unserem Weg durch das Dorf kamen wir dann noch an einem großen Festzelt vorbei, in dem regelmäßig Hochzeiten gefeiert wurden, sowie an einem Obstgarten in dem wir frische Erdbeeren ernten durften. Es gab sogar ein Gehege mit Damwild, das uns neugierig anschaute.

„Für und Kroaten hören sich viele Worte im Deutschen sehr ähnlich oder gleich an,“ erzählte unser Reiseführer, „Erdbeben und Erdbeeren zum Beispiel. Manchmal kann das zu ganz lustigen Verwechslungen führen. Eine Freundin von mir, die viel in Deutschland lebte, wurde nach der Katastrophe in Fukushima von einer deutschen Frau gefragt: ‚Gibt es bei euch in Bosnien eigentlich auch Erdbeben?’ Daraufhin meinte die Freundin: ‚Ja! Viele sogar! Die wachsen an jeder Ecke!’ ‚Oh mein Gott!’ rief die Frau entsetzt, dass ist aber gefährlich!’ Meine Freundin verstand ihr Entsetzen nicht und meinte nur: ‚Warum? Die sind doch lecker!’“

Auf unserem weiteren Rundgang durch das Dorf erzählte er uns noch einiges über die Jugoslawische Geschichte. Zunächst sprachen wir dabei über die Kirche. Er bestätigte unsere Beobachtung, dass sie hier im Land sehr viel Macht, Einfluss und vor allem Geld hatte. Woher das Geld kam wusste er nicht so genau, denn es gab hier keine Kirchensteuer. Dafür waren die Menschen hier sehr gottesfürchtig und auch wenn sie selbst nicht viel hatten, spendeten sie der Kirche bereitwillig, wann immer diese danach verlangte. Er vermutete, dass dies auch mit dem Kommunismus zu tun hatte. Denn da das kommunistische Regime atheistisch war, war die Kirche ein enger Verbündeter all jener Menschen, die darunter litten. Sie setzte sich für die Freiheit ein und gewann auf diese Weise viele Verbündete. In dieser Schuld, stehen die Menschen größtenteils noch heute. Wenn also ein Superior, wie der aus dem Franziskanerkloster von gestern in seiner Messe erzählt, dass er aufgrund der schwierigen Straßenverhältnissen nicht mehr mit seinem alten Auto fahren kann, sondern einen größeren Motor braucht, dann spenden die Menschen sogar für einen 7ner BMW.

Als wir ihn auf den Jugoslawienkrieg ansprachen, bekamen wir auch noch einige sehr spannende Informationen.

Alles begann eigentlich bereits vor rund 500 Jahren, als der Balkan wie viele andere Teile Europas auch unter türkischer Herrschaft standen. Damals wendete der Sultan einen genialen Trick an, um die Menschen zum Konvertieren in den Islam zu überreden. Die katholische Kirche verlangte zu jeder Zeit hohe Steuern, die den Menschen wirklich zu schaffen machten. Der Sultan versprach hingegen, dass es im Islam keine Steuern geben würde und dieses Argument war absolut überzeugend. Da sich niemand so richtig sicher war, wie sich die Lage weiter entwickeln würde, kam es oft vor, dass ein Teil der Familie konvertierte um die Steuern zu sparen und ein anderer Teil beim alten Glauben blieb, nur um sicher zu gehen. So kommt es, dass bis heute ein Teil der Slaven im Balkan muslimisch ist und ein anderer Teil nicht. Viele Muslime haben daher auch Arabische Vor- aber slawische Nachnamen, was sich für die Einheimischen etwa so abstrakt anhören muss wie Mohamed Müller.

Zur Zeit des 1. Weltkrieges war der Balkan dann ein Königreich unter einem serbischen König. Was danach passierte weiß ich nicht genau, aber im 2. Weltkrieg gingen die Kroaten einen Deal mit dem dritten Reich ein, um die Serben aus ihrem Land zu vertreiben. Die Nazis sicherten den Kroaten militärische Unterstützung zu, wenn diese sich dem dritten Reich anschlossen. Dazu gehörte natürlich auch die Verfolgung von Juden und allen anderen „Feinden des Reiches“ und wenn man schon einmal dabei war, konnte man die Serben und alle anderen, die man nicht haben wollte ja gleich mit verfolgen. Der Plan ging zunächst ganz gut auf, bis das dritte Reich fiel und Tito den Kommunismus auf dem Balkan einführte. Hier gibt es sicher auch noch einige spannende Hintergrunddetails, denn sicher war es nicht das Volk selbst, dass die Serben vergasen wollte. Je mehr uns der Mann über die Geschichte erzählte, desto mehr bekamen wir den Eindruck, dass dies alles mit den Kroaten, Serben, Slowenen, Moslem und wem auch immer, fast gar nichts zu tun hatte. Es wirkte viel mehr wie eine überdimensionierte Schachpartie, bei der niemand wusste, wer eigentlich die Figuren setzte und warum.

Nach dem zweiten Weltkrieg hatte der Kommunist Tito nun die Idee, die südslawischen Völker in einem Land zu vereinen. Dieses Land nannte er Jugoslawien, was übersetzt nichts anderes heißt als Südslawen. Die Idee, die verstrittenen Nachbarvölker zu vereinen war prinzipiell nicht verkehrt, nur die Umsetzung war äußerst fragwürdig. Wie bereits einmal beschrieben kamen hier in dieser Zeit mehr Menschen ums Leben als im ganzen zweiten Weltkrieg. Da die Kroaten mit den deutschen Verbündet gewesen waren, versuchten viele nach Kriegsende nach Deutschland zu fliehen. Doch die britischen Besetzer hatten die Grenzen gesperrt und schickten die Flüchtlinge zurück, wo sie als Verräter hingerichtet wurden. Erst später bekamen die Jugoslawen einen Reisepass, der es ihnen als einziges kommunistisches Volk erlaubte, frei in Europa umherzureisen. Viele nutzten diese Gelegenheit um als Gastarbeiter nach Westeuropa zu kommen oder um aus dem Land zu fliehen.

Das Bündnis mit Hitler brachte Kroatien nun im nachhinein einen sehr schlechten Stand ein, denn obwohl der Krieg längst vorüber war, galt man noch immer als Nazi, sobald man sich offen dazu bekannte, Kroate zu sein. Ein bisschen ähnlich wie auch bei den Deutschen.

Nach Titos Tod wird Milosevic der neue Staatschef von Jugoslawien. Er verfolgt im großen und ganzen die gleichen Ziele wie Tito, nur etwas anders interpretiert. Tito war Kroate und hatte versucht, das Land unter seiner Diktatur wirklich zu vereinen. Milosevic hingegen hatte nun die Idee, ganz Jugoslawien Serbisch zu machen. Ob das tatsächlich die Ideen von Tito und Milosevic waren, wage ich zu bezweifeln, aber sie stehen als Staatchefs nunmal im Mittelpunkt der Öffentlichkeit und solange man die wahren Drahtzieher nicht kennt müssen sie wohl erst einmal als Stellvertreter herhalten. Wessen Idee es auch immer war und warum diese Idee auch immer entstand, Jugoslawien sollte jedenfalls serbisch werden. Die Slowenen hielten das für keine gute Idee und machten von dem Gesetz gebrauch, das bereits unter Tito in Kraft getreten war, und das es jedem jugoslawischen Staat erlaubte, aus der Gemeinschaft auszutreten, wenn er es wollte. Somit wurde Slowenien also unabhängig, was endlich auch erklärt, warum sich dieses Land so stark von den anderen unterscheidet. Es war einfach schon früh nicht mehr dabei.

Nachdem Slowenien weg war, bestand die Gefahr, dass auch Kroatien aussteigen würde. Denn wirkliche Vorteile brachte ihnen Jugoslawien nun nicht mehr. Im Gegenteil: Durch den großen Küstenanteil ging es Kroatien wirtschaftlich sehr gut, zumindest theoretisch. Praktisch wanderten jedoch alle Steuern aus dem Tourismus nach Belgrad und mussten dann mühsam wieder erbettelt werden, wenn man in Kroatien damit etwas anstellen sollte. Also beschließt auch Kroatien, dass es von dem Unabhängigkeitsgesetz gebrauch machen will, doch diesmal ist es nicht ganz so einfach. Ein großer Teil Kroatiens wird nur oder fast nur von Serben bewohnt und Milosevic will diesen Teil nicht so einfach abgeben. Er beschließt, dass jeder Teil des Landes, der von Serben bewohnt wird, auch Serbien sein sollte und beginnt damit, diesen Teil mit militärischer Gewalt an sich zu reißen. Belgrad war zuvor die Hauptstadt von ganz Jugoslawien gewesen und somit befanden sich hier auch alle Machtinstrumente, einschließlich der Armee. Jetzt kommt es zum Krieg. Natürlich kann man nun glauben, dass dieser Krieg tatsächlich durch die Machtgeilheit und die Besessenheit eines fanatischen und faschistischen Staatsoberhauptes ausgelöst wurde, doch ich halte das wie gesagt für unwahrscheinlich. Es gibt keine Kriege, die aufgrund eines solchen Fanatismus entstehen. Es sieht vielleicht manchmal so aus, doch es gibt immer rationale und erklärbare Interessen im Hintergrund, die damit überspielt werden. Wenn ein Fanatiker an der Macht ist, dann ist das kein Zufall, sondern das Ergebnis eines strategischen Planes. Er ist an der Macht, weil ihn jemand dort haben will. Und genau hier sind wir wieder an dem Punkt, der noch immer unklar ist: Was sollte mit dem Jugoslawienkrieg erreicht werden?

Zunächst kämpfen nun die Serben gegen die Kroaten, die sich mit den Moslem verbündet haben. Später kämpfen die Moslem dann an der Seite der Serben und noch etwas später kämpft jeder gegen jeden, ohne dass irgendjemand weiß, warum er das eigentlich macht. Das spannende an Bosnien ist, dass es ein bosnisches Volk überhaupt nicht gibt. Bosnien ist einfach das grüne Land in der Mitte, das zu niemandem so richtig dazugehört und das sich gerne jeder unter den Nagel reißen würde. Aus diesem Grund wurde es auch „klein Jugoslawien“ genannt, weil es noch einmal ein Abbild des Balkans in klein war. Der Krieg war nicht hier, weil er etwas mit Bosnien zu tun hatte. Das Land lag nur einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde so zum Kriegsschauplatz. Dies ist auch der Grund, warum hier noch immer so viele Mienen liegen: Wenn wir es nicht bekommen, dann sollt ihr es auch nicht haben! Die Grenze zwischen dem Serbischen und dem Kroatischen Territorium verlief ungefähr bei Kupres. Daher sind wir dort auch auf die Mienengürtel gestoßen. Wir haben in den vergangenen Tagen immer mal wieder Leute aus Deutschland gefragt, die während des Krieges hier als Soldat stationiert waren. Keiner von ihnen konnte uns sagen worum es ging, oder was hier eigentlich gemacht wurde. Die meiste Zeit saßen die Soldaten irgendwo herum und haben sich gelangweilt. Wirkliche Kämpfe waren weit seltener als wir es glauben sollten.

Schließlich mischten sich dann auch noch die Europäer und die Amerikaner ein, um das Chaos komplett zu machen. Die Kroaten wollten möglichst viel Land mit Kroaten darin, die Serben möglichst viel Land mit Serben. Gleichzeitig wollte aber keiner die muslimische Bevölkerung haben und auch die EU hatte kein allzu großes Interesse an einem muslimischen Staat mitten in Europa. Dadurch wurde die Sache natürlich irgendwie kompliziert.

Schließlich waren es die Amerikaner, die Bosnien zu einem eigenen Land erklärten, das von Serben, Kroaten und Moslem gleichermaßen bewohnt wird und das aus zwei Teilen bestehen sollte. Der nördliche Teil wurde aus irgendeinem Grund Serbische Republik genannt und der Südliche Föderation Bosnien und Herzegowina. Dass ein bosnisches „Bundesland“ ausgerechnet „Serbische Republik“ heißt, hatte mich zuvor schon beim Raussuchen der Wegstrecke irritiert, aber es wird sicher einen Grund geben.

Als wir unseren Reiseführer noch einmal explizit danach fragten, ob er selbst wusste, warum es zu diesem Krieg gekommen war, also ob er irgendeinen sinnvollen Grund dafür sehen konnte, der nachvollziehbar war, grinste er nur und verneinte ebenso wie alle anderen zuvor.

Wir waren nun wieder beim Restaurant angekommen und inzwischen war es spät genug, um ein Abendessen zu bestellen. Dabei kamen wir jedoch noch einmal auf das Wetter zu sprechen. Nicht wir, sondern unser Gastgeber fing mit dem Thema an, dass das Wetter hier nicht mehr auf natürliche Weise entstand. Er erzählte uns, dass es vor einiger Zeit ein großes Aufrufen in der Bevölkerung gegeben hatte, weil immer mehr Menschen festgestellt hatten, dass etwas mit dem Flugverkehr und der Wolkenbildung nicht stimmte. Es war normal, dass viele Flugzeuge von Ost nach West und zurück über das Land flogen. Doch plötzlich waren es viel mehr als normal und nun kamen sie auch von Norden nach Süden. Außerdem erzeugten sie in großen Mengen jene unnatürlichen Wolken, die wir auch in den letzten Tagen immer wieder gesehen hatten. Es gab einige Fernsehberichte zu dem Thema und eigentlich hätte es auch eine Dokumentation geben sollen, bei der ein Experte live erklärt, wie es zu diesem Phänomen kam. Kurz zuvor jedoch wurde er von seiner Universität entlassen, mit einer hanebüchenen Story angeschwärzt und der Bericht fiel aus. Danach wurde das Thema wieder unter den Teppich gekehrt. Doch die Leute wissen, was sie sehen und selbst wenn die Wolkenbilder noch keine Fragen auslösen, dann aber zumindest die ungewöhnliche Flut im letzten Jahr. Bislang hatten wir geglaubt, dass Slowenien und Kroatien davon betroffen waren, aber es hatte den ganzen Balkan erwischt und Serbien am schlimmsten. Zur gleichen Zeit sind wir damals durch Spanien gewandert und haben uns gefragt, wie es dort zu dieser ungewöhnlichen Trockenheit kommt, bei der es bis zu 2 Jahre nicht mehr geregnet hatte. War das wirklich nur ein Zufall? Eine Laune der Natur? Oder steckt doch mehr dahinter?

Jetzt jedenfalls war es erst einmal Zeit für das Abendessen. Wir bekamen ein saftiges Rindersteak aus ökologischer Haltung mit Pommes und in Kräuterbutter geschmorten Pilzen. Dazu gab es einen frischen Salat. So lecker haben wir bereits seit Wochen nicht mehr gegessen.

Spruch des Tages: Ein Mensch ist erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt. (Bob Dylan)

 

Höhenmeter: 350m

Tagesetappe: 22km

Gesamtstrecke: 9359,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Eco Selo Grabovica, 80 245 Prisoje, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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