Tag 1464 bis 1467: Wandern in Lothringen

von Heiko Gärtner
19.04.2018 01:45 Uhr
14.11.2017

Muntere Nacht, müder Morgen

Meine Nacht war seit langem mal wieder produktiv und ich war fit genug, sie ohne Verschlafen oder Erstarren zu durchleben. Ich war schon richtig stolz auf mich, doch dann schaffte es mein Trägheits-und-Bequemlichkeits-Ich, mich doch noch einmal zu überlisten. Die letzte Viertelstunde vom Aufstehen wollte ich nur noch einen Text korrigieren und weil mein Zimmer über Nacht recht stark heruntergekühlt war, kuschelte ich mich dafür in mein Bettchen. Das ging zunächst auch gut, aber nachdem um 15 Nach Acht der Wecker klingelte machte ich den guten alten Anfängerfehler und stand nicht sofort auf. „Nur den einen Satz noch lesen!“ Dachte ich mir, fing damit an und war wieder in Trance-Zustand erstarrt noch ehe ich ihn beendet hatte. Auf diese Weise holte sich mein Trägheits-Ich dann doch noch seinen Triumph ab, genau in dem Moment, in dem ich dachte, für diese Nacht gewonnen zu haben.

Nicht gerade das Versicherungsbüro des Vertrauens

Nicht gerade das Versicherungsbüro des Vertrauens

Erwachen tat ich erst, als Heiko vor mir stand, der inzwischen gemerkt hatte, dass ich ihn nicht wecken kam. Es war bereits Viertel vor Neun und wir hatten weder gepackt noch gefrühstückt.

Laute, kalte Herbstwelt

Draußen herrschte finsterer Nebel und für einen kurzen Moment begann es sogar wieder zu regnen. Doch es machte keine Anstalten, wieder zu einem Dauerregen zu werden. Stattdessen wurde es einfach kalt, nass und ungemütlich.

Am Ufer reihen sich die verlassenen und verfallenen Fabrikhallen auf

Am Ufer reihen sich die verlassenen und verfallenen Fabrikhallen auf

Wir befanden uns nun nur noch etwa 30km von Nancy entfernt und an sich hätte man meinen können, dass der Rdweg hier am besten ausgebaut ist. Doch das Gegenteil war der Fall. Nicht nur, dass wir fast permanent direkt neben der Schnellstraße entlang geleitet wurden, der Weg selbst verwandelte sich auch von einem gut ausgebauten Radweg zu einem nahezu unzugänglichen Trampelpfad. Teilweise wanderten wir dabei durch eine zentimeterdicke Laubschicht. Das machte das Wandern nicht unbedingt leichter, erhöhte dafür aber die Herbststimmung, die durch den Nebel ohnehin schon auf dem Höhepunkt war. Nur den Ohren gönnte man mal wieder nichts zum Genießen. Der Verkehrslärm wollte nicht abklingen und wenn es wirklich mal einen Moment ruhiger war, kamen sofort die Flugzeuge auf den Plan, die über unseren Köpfen hinwegrauschten. Gab es schon immer überall so viele Flugzeuge? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Wo ist die Idylle, die wir in Frankreich so geliebt haben?

Wo ist die Idylle, die wir in Frankreich so geliebt haben?

Wo ist das Lothringen, das wir lieben?

Auch insgesamt scheint die Welt seltsam verändert zu sein, so sehr sogar, dass wir sie kaum wieder erkennen. Als wir vor knapp vier Jahren das erste Mal nach Lothringen kamen, waren wir begeistert von der Landschaft wie auch von der Freundlichkeit der Menschen. Wohin wir auch kamen, wurden wir gegrüßt, beschenkt und eingeladen, obwohl wir nicht einmal ein einziges Wort Französisch konnten. An einem trüben Regentag hatte man uns verschlammt und verdreckt wie wir waren einfach von der Straße weg auf einen Tee vor dem prasselnden Kaminfeuer eingeladen. Nur weil man uns am Fenster hatte vorbeigehen sehen. Nun konnten wir im Jahrhundertregen und im heftigsten Hagelschauer des Jahres an einer Tür klingeln und bekamen als einzige Reaktion, dass man innen das Licht ausschaltete um so zu tun, als wäre man nicht daheim. Früher war ich mit einem knittrigen Zettel auf die erstbeste Person im Ort zugegangen und wurde von ihr zum Bürgermeister und von ihm zu einem Schlafplatz geleitet, ohne auch nur einen Satz sagen zu müssen. Heute hatten wir eine Presse-Mappe die sogar aktuelle Zeitungsberichte aus der Region enthielt und konnten unser Projekt bis ins Detail genau beschreiben. Dafür aber bekamen wir Reaktionen wie heute von einem stellvertretenden Bürgermeister, der einfach wieder auflegte, noch ehe ich überhaupt etwas erklären konnte. Ich rief natürlich sofort wieder an und machte klar, dass ich es nicht in Ordnung fand, wenn ich einen Bürgermeister über eine offiziell am Rathaus angepinnte Nummer anrief und daraufhin einfach abgewürgt wurde. Doch der Mann zeigte sich unberührt und legte gleich wieder auf. Auch ein dritter versuch änderte daran nichts, abgesehen davon vielleicht, dass ich bei dem kurzen aber hitzigen Gespräch etwas Frust abbauen konnte.

Die französische Bank Credite Agricole

Die französische Bank Credite Agricole

Wenn man alles noch einmal zusammenfasst und wirklich ehrlich beobachtet, dann wirkt es nicht, als wäre dies mit normalen Umständen und Veränderungen erklärbar. Seit unserem ersten Besuch waren keine vier Jahre vergangen und es war schwer vorstellbar, dass ein Volk vom offenherzigsten und freundlichsten in Europa in so kurzer Zeit zu einem Volk der Miesmuffel und Griesgrame mutiert. Viel mehr hatten wir das Gefühl, dass wir es waren, die den Unterschied ausmachten. Fast so, als trügen wir gerade eine Traumblase mit uns herum, die uns eine unfreundliche und abweisende Welt zeigt, weil es gerade Teil unseres Prozesses ist, diese Überzeugungen abzubauen.

Salle de´l´Ecolle. der alte Schulsaal.

Salle de´l´Ecolle. der alte Schulsaal.

Das gleiche gilt auch für den Geräuschpegel. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum es plötzlich keinen Raum mehr geben darf, in dem so etwas wie Stille herrscht. Heute beispielsweise bekamen wir vom Rathaus einen schönen, neuen Saal, der gerade erst eingeweiht worden war. Er war warm, hell und rundum angenehm, wären da nicht die zwei Belüfungsanlagen gewesen, die permanent kalte Luft von außen in den Raum bliesen und an einer anderen Stelle wieder absaugten. Gemeinsam erzeugten sie ein Hintergrundrauschen, das in etwa dem eines laufenden Geschirrspühlers entsprach. Wie sollte man sich damit in einem Raum wohl fühlen? Wie sollte man damit zur Ruhe kommen?

Genau das waren die Fragen, um die es gerade ging: Wie kann man in einer Welt voller Störungen, Ablenkungen und Verführungen seinen Fokus halten und entspannt im eignen Rhythmus seinen Lebensweg voranschreiten? Wie also könnte uns das Universum ein noch deutlicheres Übungsfeld geben?

Noch etwas mehr verfallene Industrie

Noch etwas mehr verfallene Industrie

Spruch des Tages: Das ist nicht das Lothringen, das wir kennen.

Höhenmeter 15m / 13m / 15m / 11m

Tagesetappe: 14km / 16km / 12km / 14km

Gesamtstrecke: 27.544 ,27km

Wetter: Kälte, gelegentliche Schauer, reichlich Wind

Etappenziel 1: Jugend-Gästezimmer der Katholischen Kirche, Leer (Ostfriesland), Deutschland

Etappenziel 2: Evangelisches Gemeindehaus, Mittegroßefehn, Deutschland

Etappenziel 3: Gästezimmer der katholischen Kirchengemeinde, Blomberg, Deutschland

Etappenziel 4: „Haus am Hafen“, Neuharlingersiel, Deutschland

10.-13.11.2012

Mit der Gemütlichkeit ist es nun wohl endgültig erst einmal vorbei, denn die letzten Tage gab es fast täglich eine Steigerung, was die Schlechtigkeit des Wetters anbelangte. Angefangen von eisigem Wind und Nieselregen bis hin zu regelrechten Sinnfluten, die den ganzen Tag andauerten war nun wirklich alles dabei. Gleichzeitig sorgte dieses Wetter jedoch auch dafür, dass die Wälder, durch die wir nun wandern durften eine ganz besondere Stimmung ausstrahlen. Es war nicht angenehm, bei diesen Bedingungen zu wandern, aber es machte trotzdem Spaß, weil es etwas zu sehen gab und weil es irgendwie ein ganz eigenes Erlebnis war, immer wieder durch die Nebelschwaden zu steigen oder den knorrigen, alten Bäumen dabei zuzusehen, wie sie dem Wind trotzten.

Hin und wieder ist die Welt im Herbst ruhig und harmonisch

Hin und wieder ist die Welt im Herbst ruhig und harmonisch

Dennoch freuten wir uns auch jedes Mal darüber, wenn wir irgendwo einen Platz zum einkehren fanden. In der ersten Nacht wurde es eine leerstehende Wohnung, deren Heizung leider nur sehr bedingt funktionierte und in der wir uns noch recht lange mit einer hübschen und netten Dame aus dem Rathaus, sowie mit einem Zeitungsreporter zusammensetzten, um ein Interview zu geben.

Oft überwiegt aber das trübe Einheitsgrau

Oft überwiegt aber das trübe Einheitsgrau

Die Menschen, denen wir am nächsten Tag begegneten waren nicht ganz so freundlich und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir schließlich jemanden dazu überreden konnten, auch nur den Pfarrer anzurufen. Als dieser jedoch einmal erreicht war, war die Sache innerhalb von 30 Sekunden geritzt und wir hatten ein komplettes Pfarrhaus mit Büros und zwei Etagen an Nutz- und Seminarräumen für uns alleine. Leider wurde ich in der Nacht wieder einmal so sehr vom Schlaf übermannt, dass ich erst mit dem letzten Wecker-Klingeln aufwachte, das soviel sagte wie: „Raus Jetzt! Du hast schon fast die Zeit verschlafen, in der ihr aufbrechen wolltet!“

Alte Lehmhäuser

Alte Lehmhäuser

Das war nicht nur ärgerlich, sondern warf mich auch in meinen Versuchen, die Tagesberichte nachzuholen wieder ein ordentliches Stück zurück. Außerdem warf es die dringende Frage auf, wie ich es geschafft hatte, gleich 7 Wecker zu überhören. Es war nicht einfach nur ein Verschlafen, sondern eine Art Koma-Zustand in den ich da verfiel und in dem es fast wirkte, als wäre ich vom Geist her nicht einmal mehr in diesem Körper anwesend.

Der Besuch im Megastore ist eine willkommene Gelegenheit, um sich etwas aufzuwärmen

Der Besuch im Megastore ist eine willkommene Gelegenheit, um sich etwas aufzuwärmen

Am heftigsten waren jedoch die Erfahrungen vom dritten Tag. Hier gerieten wir direkt vor dem Haus des Bürgermeisters in einen so heftigen Regenschauer, dass wir binnen weniger Minuten bis auf die Unterhose hin vollkommen durchnässt waren. Dank des eisigen Windes war es nun umso dringender, das wir einen Platz fanden, den lange hielten wir es so nicht mehr aus. Da war es umso erschreckender zu erleben, wie gering die Hilfsbereitschaft der Menschen in einem solchen Moment war. Nicht einmal der Feuerwehrmann bot uns etwas an, das über die Beschreibung zu einem Nachbarn hinaus ging, der im Rathaus arbeiten solle. Dieser besagte Mann brachte es dann auf die Spitze, indem er uns offen mitteilte, dass es zwar Räume gab, er jedoch nicht gewillt war, so nasse und dreckige Leute hinein zu bitten. Angeblich würde der Hauptbürgermeister da eh Nein sagen, warum sollte man es also versuchen? Wir müssten eben einfach noch einmal 10km weiter.

Der Sauerbraten von Heikos Mutter tröstet über viel Ungemütlichkeit hinweg.

Der Sauerbraten von Heikos Mutter tröstet über viel Ungemütlichkeit hinweg.

Dies war der Moment, in dem mir der Geduldsfaden riss. Ich war ja schon öfter mal aufgebracht gewesen, wegen derartiger Ereignisse aber dieses Mal reichte es endgültig und ich platzte nur so aus mir heraus. Ich schimpfte und zeterte wie ein Rohrspatz und warf ihm Grausamkeit, Herzlosigkeit und Unmenschlichkeit vor. Zu meinem eigenen Erstaunen machten ihn diese Worte tatsächlich betroffen und er änderte seine Meinung. Wenig später führte er ein kurzes Gespräch mit dem Bürgermeister und noch einen Moment drauf hatten wir ein Vereinshaus um die Ecke in dem wir bleiben und uns trocknen konnten.

Die Harvester haben in den Wäldern spuren der Zertörung hinterlassen

Die Harvester haben in den Wäldern spuren der Zertörung hinterlassen

Dass diese Gegend jedoch insgesamt ein hartes Pflaster war zeigte sich später noch einmal bei der Essenssuche. Von rund zwanzig Häusern an deren Pforte ich klingelte sagten insgesamt nur zwei zu. Eine davon war eine Familie aus Afrika, die sich selbst gerade so über Wasser halten konnte. Die zweite war eine Messifamilie, die mit drei Generationen unter einem Dach lebte. Hier bekamen wir nicht nur reichlich Essen, sondern gleich auch noch einen Heizstrahler für die Nacht geborgt, denn das Vereinshaus selbst war bereits wieder dabei, eine Kühlkammer zu werden.

Spruch des Tages: Man muss nur erst einmal laut werden.

Höhenmeter 12m / 15m / 15m / 16m

Tagesetappe: 15km / 11km / 16km / 18km

Gesamtstrecke: 27.488 ,27km

Wetter: Kälte und Dauerregen

Etappenziel 1: Jugendhaus der Gemeinde, Veendam, Niederlande

Etappenziel 2: Katholisches Gemeindehaus, Winschoten, Niederlande

Etappenziel 3: Martin-Luther-Haus, Beerta, Niederlande

Etappenziel 4: Gemeindehaus, Driborg, Niederlande

09.11.2017

Heute kam unser Paket mit den neuen Packsäcken an. Wo gerade ohnehin schon einer kaputt gegangen war, haben wir die Gelegenheit genutzt, und gleich alle erneuert, die es vertragen konnten. Heikos Eltern haben natürlich auch wieder einiges an Nahrung hinzugelegt und schon hatten wir wieder ein Paket, das fast das Postamt sprengte. Der Ort, an dem wir es in Empfang nahmen, trug den Namen Bains les Bains, was soviel bedeutet wie „Bad des Bades“. Es klingt ein bisschen wie „Creme de la Creme“ oder „Top oft he Top“, was allerdings ein wenig hochgegriffen ist, denn man kann ohne zu flunkern behaupten, dass Bains le Bains der wohl mit Abstand hässlichste Kurort der Welt ist. Es ist Weltweit allgemein anerkannt, dass die pragmatisch eckige und betonlastige Architektur des ehemaligen Ostblocks die meisten Werteskalen in Sachen Ästhetik nach unten hin sprengen, aber gegen diese Gegend hier sind die sowjetischen Wohnbunker geradezu kuschelig.

Das Kur-Hotel von Bains-le-Bains

Das Kur-Hotel von Bains-le-Bains

Dementsprechend hoch war auch die Quote an Touristen und Badeurlaubern die uns über den Weg lief und es machte ein bisschen den Anschein, als hätten auch viele Einheimische schon vor langer Zeit das Weite gesucht. Theoretisch hätte man nun vermuten können, dass dies für uns ideal ist, dann dadurch gab es unzählige Leerstehende Gebäude, die von der Stadt verwaltet wurden und die man uns locker hätte zum Schlafen überlassen können. Doch die städtische Gemeinde sah das anders. Immerhin gab es hier ja eine offizielle Einrichtung, die man Hausierern und Vagabunden anbieten konnte und da man einmal ein Konzept hatte, wurde von dem auch nicht mehr abgegangen, nur weil es weniger erniedrigende Möglichkeiten gab. Vor allem war so natürlich alles viel leichter, da ja jeder Bescheid wusste und es kaum noch organisatorischen Aufwand gab. Wir mussten nur das Antragsformular B35x-C7 ausfüllen, sämtliche Personalien angeben, unsere Ausweise kontrollieren und kopieren lassen und dann auf die zuständige Dame warten, die den Schlüssel und die Öffnungsgewalt für besagte Örtlichkeit hatte.

Ein Wohnhaus in Bains-le-Bains

Ein Wohnhaus in Bains-le-Bains

Einkaufsmeile von Bains-les-Bains

Einkaufsmeile von Bains-les-Bains

Letzteres dauerte so lange, dass wir unseren gesamten Wagenumbau auf dem Rathausplatz vornehmen konnten. Der gesamte Inhalt meines Wagens wurde ausgeleert, sortiert und überprüft. Dann wurden die Packsäcke getauscht, zusätzliches Ballastmaterial wurde abmontiert und alles wurde wieder an seinen Platz gebracht. Danach hatten wir noch genug Zeit um den halben Vorrat an Nüssen aufzuessen, den uns Heikos Eltern mitgeschickt hatten. Erst dann ließ sich die Frau blicken, die uns zu unserem Quartier führen sollte. Seit meiner ersten Anfrage und der Zusicherung: „Kein Problem, das haben wir gleich!“ waren nun dreieinhalb Stunden vergangen.

Das Zentrum von Bainsl-les-Bains mit der Pilgerherberge links im Bild

Das Zentrum von Bainsl-les-Bains mit der Pilgerherberge links im Bild

Das wirklich beeindruckende war jedoch, dass es dreieinhalb Stunden angefüllt mit einer Symphonie der Grausamkeit waren. Das im Nachhinein zu beschreiben ist nicht so leicht, da es sich nun sogar für uns selbst unrealistisch anhört. Wir hatten den Platz kaum erreicht, da begann ein junger Mann damit, Laub von einem Ende ans andere zu pusten, wobei er einen großen motorisierten Laubbläser verwendete. Er war gewissermaßen die E-Gitarre in unserem Störgeräuschorchester. Kurze Zeit später setzten dann die Drums in Form eines Presslufthammers am oberen Straßenende ein und dann folgte das Piano als monotones Pfeifen eines Kleinbaggers, der permanent seinen Rückwärtsgang eingestellt ließ. Für die Melodie im Stück sorgte schließlich noch eine Autoalarmanlage und um den Gesang kümmerten sich zwei Hunde, die sich auf benachbarten Gärten gegenseitig ankeiften. Damit waren nun also alle wichtigen Posten besetzt. Ach halt, der Backround darf natürlich nicht fehlen, aber dafür gab es ja noch das tiefe, bassige Rauschen der Rathausklimaanlage.

Stadtzentrum von Bains-les-Bains

Stadtzentrum von Bains-les-Bains

Treppenaufgang zu einem Wohnhaus

Treppenaufgang zu einem Wohnhaus

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Eine Symphonie des Lärms

In den besagten dreieinhalb Stunden erlebten wir dann ein geradezu hervorragend komponiertes Wechselspiel zwischen diesen Lärmquellen. Immer mal wieder setzte die eine oder andere aus und fast automatisch wurden andere lauter, so als hätte gerade jemand seinen Solo-Auftritt. Ihr könnt euch also denken, dass es wie eine Erlösung war, als schließlich die Frau mit dem Schlüssel auftauchte. Man muss hier jedoch noch erwähnen, dass unsere Meinung über das Spektakel nicht allgemein geteilt wurde. Der Laubbläsermann beispielsweise hatte extra seine Hörgeräte eingeschaltet, damit er den röhrenden Sound seines Arbeitsgerätes auch voll genießen konnte. Werner würde dazu sagen: „Dad muss Kesseln!“

Doch wir waren noch immer nicht am Ziel.

Unser Pilgergepäck verteilt auf dem Marktplatz

Unser Pilgergepäck verteilt auf dem Marktplatz

Die Frau, die leider nicht besonders gut zu Fuß war und daher nur im Schneckentempo voran kam, stellte zehn Minuten später vor der Tür des Schlafquartiers fest, dass sie den falschen Schlüssel dabei hatte. Also ging alles noch einmal zurück und nur 20 Minuten nach unserem Aufbruch standen wir nun wieder an der gleichen Stelle auf dem Rathausplatz. Das Spiel wiederholten wir dann noch ein weiteres Mal, denn wie sich herausstellte wollte auch der zweite Schlüssel nicht in die vollkommen verrostete Tür passen, die außer ein paar Spinnen und Käfern schon seit einem Jahrzehnt niemand mehr betreten hatte. Wir nutzten die Zeit des erbitterten Kampfes von Frau gegen Tür um uns noch etwas genauer umzusehen. Die Straße, auf der wir uns befanden, war eine Hauptstraße und das Gebäude vor uns war so marode, dass sogar die Wände den Schall durchließen als wären sie aus Pappe. Von den Fenstern die bereits jetzt im Takt der vorbeirauschenden LKWs klirrten mal ganz zu schweigen. Alles ins allem war der Platz in etwa wo schlecht wie der, den wir vor einiger Zeit vom pensionierten Pfarrer ausgeschlagen hatten.

Unser Postpaket kam mit dem Service "Poste Restante"zu uns.

Unser Postpaket kam mit dem Service "Poste Restante"zu uns.

Die Weltreiseausrüstung wird noch eingehend durchgecheckt.

Die Weltreiseausrüstung wird noch eingehend durchgecheckt.

Dann lieber doch ins Schwarzzelt…

„Es tut mir leid!“ sagte die Frau schließlich, „ich brauche noch einmal einen weiteren Schlüssel! Dauert nicht lange!“

„Es tut uns leid!“ sagte ich daraufhin, „aber lassen Sie ihren Schlüssel einfach da wo er ist. Wir gehen weiter bis in einen Ort, an dem man nicht versucht uns in ein Rattenloch zu stecken, obwohl es ein gutes Dutzend an Gebäuden gibt, bei denen man keine Angst hat, verschüttet zu werden, wenn man niesen muss.“

        Die optimale Weltreiseausrüstung

So befanden wir uns nun also erneut auf der Piste, nur dass wir dieses Mal einen zusätzlichen Packsack und knapp 20kg anderes Zusatzgepäck dabei hatten. Offroadstrecken und starke Steigungen waren also nicht ratsam. Drei mal dürft ihr raten, was uns auf den folgenden 9km immer wieder erwartete...

           

Meine erste Übernachtung in der Jurte

Nach all den nur bedingt erfreulichen Ereignissen nahm der Tag letztlich dann aber noch eine vollkommen neue und unerwartete Wendung. Denn im nächsten Dorf in dem wir ankamen bekamen wir nicht etwa den Festsaal, das Vereinshaus oder Räume des zurzeit unbenutzten Seminarbetriebes zur Verfügung gestellt. Nein, wir durften zum ersten Mal auf unserer Reise und zum ersten Mal in meinem Leben in einer Jurte schlafen. Zwei Kilometer hinter dem Ort hatte ein junges Pärchen einen Jurtenplatz aufgebaut, der immer von Urlaubern, Heiratenden, Schülergruppen und Firmen besucht wurde. Die Jurten waren in weitgehend Traditionellem Stil gebaut, verfügten aber über elektrischen Strohm und via Satellit sogar über einen Internetzugang.

             

Zum Abendessen wurden wir in die Nachbarjurte eingeladen, die von unseren Gastgebern selbst bewohnt wurde. Sie lebten nun seit einem knappen Jahr hier auf dem Platz und waren immer mehr davon überzeugt, dasss eine Jurte ein schönes Zuhause ist. Auch wir selbst waren begeistert, wie ausgeklügelt diese Art des Wohnens war, allein wenn es ums Beheizen ging. Obwohl unser Raum einen Durchmesser von etwa 12m hatte, reichte ein winziger Ofen aus, um ihn zu beheizen. Viele der vergangenen und noch kommenden Nächte, die wir in festen Häusern verbrachten, waren so kalt, dass wir ohne Verspannungen und zweiten Schlafsack nicht durch kamen. Doch die Nacht im Schwarzzelt war durchgängig warm und angenehm. Ein Hoch auf die Jurte!

Ein spannender Kurztrip mit außergewöhnlicher Übernachtung als Erlebnisgeschenk

Eure eigene Übernachtung in der Jurte

Ihr habt durch den Artikel Lust bekommen, selbst einmal in einer Jurte zu übernachten? Kein Problem, schaut einfach mal in unserer Erlebnisgalaxie vorbei. Dort findet Ihr gleich eine ganze Auswahl an außergewöhnlichen Übernachtungen. Neben einer Nacht in der Jurte gibt es zum Beispiel auch Schlafen im Heuhotel, übernachten im Iglu und viele weitere ungewöhnliche Schlafplätze wie Baumhäuser, Riesenbierfässer, Tipis, Höhlen und Schlösser.

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Spruch des Tages: Nicht schlecht so eine Jurte!

Höhenmeter 25m / 33m / 45m / 16m

Tagesetappe: 13km / 11km / 16km / 18km

Gesamtstrecke: 27.428 ,27km

Wetter: Kälte und Dauerregen

Etappenziel 1: Jugendbildungsstätte, Hoogeveen, Niederlande

Etappenziel 2: Privatpension, Assen, Niederlande

Etappenziel 3: Städtisches Jugendhaus, Groningen, Niederlande

Etappenziel 4: Private Gästezimmer, Hoogezand, Niederlande

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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