Tag 1472 bis 1475: Zurück in Toul

von Heiko Gärtner
27.04.2018 06:54 Uhr

17.11.2017

Heute gab es mal wieder ein Deja-vú-Erlebnis. Nach 8km der Wanderung kamen wir nach Toul, eine kleine Stadt mit großer Stadtmauer und noch größerer Basilika. Vor knapp drei Jahren haben wir die Stadt auf dem Weg nach Santiago schon einmal besucht. Anders als bei den Doppel-Besichtigungsorten, wussten wir hier bereits vor Betreten der Stadt, dass wir sie kannten, doch konnten wir uns nur noch vage daran erinnern. Wo wir hier übernachtet hatten, wollte uns beispielsweise einfach nicht einfallen. Auch nicht, als wir nach der Kathedralenbesichtigung in der Touristeninformation mit einer deutschsprachigen Frau sprachen.

Das innere der Kirche von Toul

Das innere der Kirche von Toul

Der Wandermönch Franz von Bujor zu Besuch in der Kathedrale von Toul

Der Wandermönch Franz von Bujor zu Besuch in der Kathedrale von Toul

Sie vermutete, dass sie uns damals in einer Herberge namens L'Arche untergebracht hatte, was nun aber leider nicht mehr möglich sei, da man nun auch dort bezahlen müsste. An eine derartige Arche erinnerten wir uns nicht, dafür kam uns die Frau aber immer mehr bekannt vor und langsam glaubten wir uns sogar zu erinnern, dass wir damayyls keine besonders guten Erfahrungen mit ihr gemacht hatten. Später schauten wir dann noch einmal in unserem eigenen Tagebuch nach und waren überrascht, was es dort zu lesen gab. Anders als heute waren wir von der Basilika über alle Maßen begeistert. Heute hingegen waren wir nur leicht beeindruckt. Nicht, dass es nicht ein imposantes Gebäude gewesen wäre, aber es war so sehr heruntergekommen und verfallen, dass der Anblick fast eher ein Trauerspiel als ein Vergnügen war.

Die Kathedrale von Toul

Die Kathedrale von Toul

Dann kam der Teil über die Frau von der Touristeninformation. Es war tatsächlich die gleiche Person, die wir auch heute getroffen hatten und unsere Erfahrungen waren damals kein Stück besser gewesen. Wenn ihr möchtet könnt ihr hier noch einmal alles im Detail nachlesen: „Tag 37: Im Kreuzgang“.

Fakt war auf jeden Fall, dass sie uns damals nicht einmal im Ansatz, auf besagte Arche hingewiesen hatte. Sie hatte, wie auch heute, von Vorn herein behaupte, es gäbe in der ganzen Stadt keine Möglichkeit und wolle. Uns jetzt zu offenbaren, dass es damals etwas gegeben hätte, das sie uns ganz bewusst verheimlicht hatte, grenzte nun schon an Hohn.

Das Rathaus von Toul

Das Rathaus von Toul

Zum Glück waren wir dieses Mal aber nicht darauf angewiesen, hier einen Platz zu finden, denn unser Bürgermeister von Gestern hatte uns bereits einen Schlafplatz organisiert. Einen Ort weiter trafen wir uns mit einem anderen Bürgermeister der und in ein Hotel einlud.

18.11.2017

Rendezvous mit einer Bisamratte

Heute hatten wir eine ganz besondere Begegnung mit einer Bisamratte, die sich neben dem Kanal ins Gras gekuschelt hatte. Sie saß so entspannt und relaxed dar, dass wir nicht einmal sicher waren, ob sie uns überhaupt wahrnahm. In aller Ruhe konnten wir die Wagen abstellen, die Kamera herausholen und Heiko konnte sich bis auf einen Meter an sie heranpirschen. Hin und wieder schnupperte sie etwas intensiver in unsere Richtung, aber ansonsten zeigte sich mit keiner Regung, das sie uns bemerkt hatte. Entweder sie wusste, dass wir absolut harmlos waren, oder aber ie war steinalt und hatte grauen Star. So genau konnten wir das nicht sagen. Als Heiko jedoch versuchte ihr die Barhaare zu streicheln, sprang sie mit einem Satz auf und befand sich auch schon im Wasser . Dort zog sie eine elegante Runde und kam sofort wieder zurück an Land, ganz so als wollte sie sagen, dass ihr diese elend kalte Brühe, einfach zu viel wurde.

Zwischen den Welten

Außer der Bisamratte ga es heute leider nur wenig Schönes auf unserer Strecke. Wir befanden uns nun direkt auf Höhe von Nancy und hier lief plötzlich alles zusammen, angefangen bei der Autobahn und den beiden Schnellstraßen, bis hin zu lärmenden Papierfabriken, Helikoptern, Baustellen und den obligatorischen Freischneidern. Alles in allem war es hier so unglaublich unangenehm, dass wir uns nicht vorstellen konnten, je auch nur einen Meter in diesem Gebiet zurückgelegt zu haben. Ich weiß noch, dass wir damals gesundheitlich wie psychisch ordentlich angeschlagen waren, und doch hatten wir diese Region nicht als so unangenehm empfunden.

Bisamratte blickt in die Kamera

Bisamratte blickt in die Kamera

Lächelnde Bisamratte

Lächelnde Bisamratte

Das konnte an mehreren Gründen liegen. Entweder waren wir damals bei weitem weniger sensibel für Störfaktoren, was aber unwahrscheinlich ist, oder der Lärm und die Atmosphäre der Negativität hatten seither enorm zugenommen. Oder aber, es war wirklich so, dass wir zwei verschiedene Welten besucht hatten, die jeweils auf unsere geistige Situation angepasst waren.

Spruch des Tages: Manches ändert sich eben doch nicht.

Höhenmeter 13m / 8m / 13m / 18m

Tagesetappe: 12km / 9km / 16km / 10km

Gesamtstrecke: 27.743 ,27km

Wetter: Kalt und Windig

Etappenziel 1: Jugendräme der Kirche, Bremerhaven, Deutschland

Etappenziel 2: Gemeindehaus der Kirche, Bad Bederkesa, Deutschland

Etappenziel 3: Gemeindehaus der Kirche, Hemmoor, Deutschland

Etappenziel 4: Evangelisches Gemeindehaus, Krempe, Deutschland

15.-16.11.2017

Dies ist definitiv der härteste Winter unserer Reise! Seit Tagen liegen die Temperaturen in der Nacht nun schon unter Null Grad, so dass am Morgen regelmäßig alles vereist ist. Gegen 12:30 Uhr am Mittag also zur wärmsten Zeit des Tages hatten wir heute drei Grad. Ich denke das sagt schon relativ viel. Zum Glück bekamen wir relativ schnell einen Saal, in den wir uns zurückziehen konnten. Dieses Mal war es eine recht gewagte Mischung aus Bibliothek und Kreativraum für den örtlichen Rentnerverein. Dass dies Krieg geben musste war fast vorprogrammiert und es gab viele Indizien, die das bestätigten. Die Bibliothekarin, die stets um Ordnung bemüht war, hatte überall Zettel hinterlassen auf denen sie erklärte, dass man in ihrer Abwesenheit auf keinen Fall ein Buch berühren durfte. Die Rentner ihrerseits hatten überall Glitter und Spuren von Strick und Bastelmaterialien zurückgelassen, gewissermaßen als Akt der Revolotion gegen die Ordnung der Bibliothekarin.

Alte Rohrfabrik

Alte Rohrfabrik

Leider ist es wieder einmal ein Platz mit nur einem Raum. Der einzige abgetrennte Nebenbereich ist die Toilette und hier befindet sich ein großes Loch als Lüfter in der Wand, wodurch es dort die gleiche Temperatur hat wie draußen

Großindustrie

Großindustrie

Da hatten wir gestern mehr Glück. In Neuf Maisons einer kleinen aber grauenhaft unruhigen Stadt an der Mosel bekamen wir das Gemeindehaus der Kirche in dem wir auf fünf verschiednenen Räumen auswählen konnten, die alle beheizt waren.

Großindustrie am Hafen

Großindustrie am Hafen

Der Kontakt mit dem Pfarrer war spartanisch, aber wir durften sein Internet nutzen und erfuhren ein erschreckendes Detail über die Kirche. Seit einigen Jahren wurde diese nur noch Vormittags geöffnet, weil es am Nachmittag zu gefährlich war um sie offen zu lassen. Nicht aufgrund von Verbrechern, Streunern oder anderen Fremden, sondern aufgrund der Schüler. Sobald diese aus der Schule kamen, war ihnen so langweilig, das sie in eine Art Zerstörungswut verfielen und zu randalieren begannen. Ist das nicht eine heftige Aussage? Von allen möglichen Wesen, die uns gefährlich werden könnten, fürchten wir tatsächlich am meisten vor unseren eigenen Kindern! Nicht das man ihren Frust in einer Stadt wie dieser nicht verstehen konnte, aber dennoch war dies in meinen Augen eine mehr als nur bedrohliche Aussage.

Als Schwanenpärchen sieht alles rosig aus, aber was ist, wenn der Stroch jetzt noch ein Kind bringt?

Als Schwanenpärchen sieht alles rosig aus, aber was ist, wenn der Stroch jetzt noch ein Kind bringt?

Spruch des Tages: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Niemand! Und wer hat Angst vor seinen Kindern? …

 

Höhenmeter 4m / 9m / 6m / 6m

Tagesetappe: 12km / 14km / 13km / 12km

Gesamtstrecke: 27.595 ,27km

Wetter: Kälte, gelegentliche Schauer, reichlich Wind

Etappenziel 1: Evangelisches Gemeindehaus, Schillig, Deutschland

Etappenziel 2: Katholisches Gemeindehaus, Sengwarden, Deutschland

Etappenziel 3: Gemeindehaus, Cäciliengroden, Deutschland

Etappenziel 4: Gemeindehaus, Schweiburg, Deutschland

14.11.2017

Muntere Nacht, müder Morgen

Meine Nacht war seit langem mal wieder produktiv und ich war fit genug, sie ohne Verschlafen oder Erstarren zu durchleben. Ich war schon richtig stolz auf mich, doch dann schaffte es mein Trägheits-und-Bequemlichkeits-Ich, mich doch noch einmal zu überlisten. Die letzte Viertelstunde vom Aufstehen wollte ich nur noch einen Text korrigieren und weil mein Zimmer über Nacht recht stark heruntergekühlt war, kuschelte ich mich dafür in mein Bettchen. Das ging zunächst auch gut, aber nachdem um 15 Nach Acht der Wecker klingelte machte ich den guten alten Anfängerfehler und stand nicht sofort auf. „Nur den einen Satz noch lesen!“ Dachte ich mir, fing damit an und war wieder in Trance-Zustand erstarrt noch ehe ich ihn beendet hatte. Auf diese Weise holte sich mein Trägheits-Ich dann doch noch seinen Triumph ab, genau in dem Moment, in dem ich dachte, für diese Nacht gewonnen zu haben.

Nicht gerade das Versicherungsbüro des Vertrauens

Nicht gerade das Versicherungsbüro des Vertrauens

Erwachen tat ich erst, als Heiko vor mir stand, der inzwischen gemerkt hatte, dass ich ihn nicht wecken kam. Es war bereits Viertel vor Neun und wir hatten weder gepackt noch gefrühstückt.

Laute, kalte Herbstwelt

Draußen herrschte finsterer Nebel und für einen kurzen Moment begann es sogar wieder zu regnen. Doch es machte keine Anstalten, wieder zu einem Dauerregen zu werden. Stattdessen wurde es einfach kalt, nass und ungemütlich.

Am Ufer reihen sich die verlassenen und verfallenen Fabrikhallen auf

Am Ufer reihen sich die verlassenen und verfallenen Fabrikhallen auf

Wir befanden uns nun nur noch etwa 30km von Nancy entfernt und an sich hätte man meinen können, dass der Rdweg hier am besten ausgebaut ist. Doch das Gegenteil war der Fall. Nicht nur, dass wir fast permanent direkt neben der Schnellstraße entlang geleitet wurden, der Weg selbst verwandelte sich auch von einem gut ausgebauten Radweg zu einem nahezu unzugänglichen Trampelpfad. Teilweise wanderten wir dabei durch eine zentimeterdicke Laubschicht. Das machte das Wandern nicht unbedingt leichter, erhöhte dafür aber die Herbststimmung, die durch den Nebel ohnehin schon auf dem Höhepunkt war. Nur den Ohren gönnte man mal wieder nichts zum Genießen. Der Verkehrslärm wollte nicht abklingen und wenn es wirklich mal einen Moment ruhiger war, kamen sofort die Flugzeuge auf den Plan, die über unseren Köpfen hinwegrauschten. Gab es schon immer überall so viele Flugzeuge? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Wo ist die Idylle, die wir in Frankreich so geliebt haben?

Wo ist die Idylle, die wir in Frankreich so geliebt haben?

Wo ist das Lothringen, das wir lieben?

Auch insgesamt scheint die Welt seltsam verändert zu sein, so sehr sogar, dass wir sie kaum wieder erkennen. Als wir vor knapp vier Jahren das erste Mal nach Lothringen kamen, waren wir begeistert von der Landschaft wie auch von der Freundlichkeit der Menschen. Wohin wir auch kamen, wurden wir gegrüßt, beschenkt und eingeladen, obwohl wir nicht einmal ein einziges Wort Französisch konnten. An einem trüben Regentag hatte man uns verschlammt und verdreckt wie wir waren einfach von der Straße weg auf einen Tee vor dem prasselnden Kaminfeuer eingeladen. Nur weil man uns am Fenster hatte vorbeigehen sehen. Nun konnten wir im Jahrhundertregen und im heftigsten Hagelschauer des Jahres an einer Tür klingeln und bekamen als einzige Reaktion, dass man innen das Licht ausschaltete um so zu tun, als wäre man nicht daheim. Früher war ich mit einem knittrigen Zettel auf die erstbeste Person im Ort zugegangen und wurde von ihr zum Bürgermeister und von ihm zu einem Schlafplatz geleitet, ohne auch nur einen Satz sagen zu müssen. Heute hatten wir eine Presse-Mappe die sogar aktuelle Zeitungsberichte aus der Region enthielt und konnten unser Projekt bis ins Detail genau beschreiben. Dafür aber bekamen wir Reaktionen wie heute von einem stellvertretenden Bürgermeister, der einfach wieder auflegte, noch ehe ich überhaupt etwas erklären konnte. Ich rief natürlich sofort wieder an und machte klar, dass ich es nicht in Ordnung fand, wenn ich einen Bürgermeister über eine offiziell am Rathaus angepinnte Nummer anrief und daraufhin einfach abgewürgt wurde. Doch der Mann zeigte sich unberührt und legte gleich wieder auf. Auch ein dritter versuch änderte daran nichts, abgesehen davon vielleicht, dass ich bei dem kurzen aber hitzigen Gespräch etwas Frust abbauen konnte.

Die französische Bank Credite Agricole

Die französische Bank Credite Agricole

Wenn man alles noch einmal zusammenfasst und wirklich ehrlich beobachtet, dann wirkt es nicht, als wäre dies mit normalen Umständen und Veränderungen erklärbar. Seit unserem ersten Besuch waren keine vier Jahre vergangen und es war schwer vorstellbar, dass ein Volk vom offenherzigsten und freundlichsten in Europa in so kurzer Zeit zu einem Volk der Miesmuffel und Griesgrame mutiert. Viel mehr hatten wir das Gefühl, dass wir es waren, die den Unterschied ausmachten. Fast so, als trügen wir gerade eine Traumblase mit uns herum, die uns eine unfreundliche und abweisende Welt zeigt, weil es gerade Teil unseres Prozesses ist, diese Überzeugungen abzubauen.

Salle de´l´Ecolle. der alte Schulsaal.

Salle de´l´Ecolle. der alte Schulsaal.

Das gleiche gilt auch für den Geräuschpegel. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum es plötzlich keinen Raum mehr geben darf, in dem so etwas wie Stille herrscht. Heute beispielsweise bekamen wir vom Rathaus einen schönen, neuen Saal, der gerade erst eingeweiht worden war. Er war warm, hell und rundum angenehm, wären da nicht die zwei Belüfungsanlagen gewesen, die permanent kalte Luft von außen in den Raum bliesen und an einer anderen Stelle wieder absaugten. Gemeinsam erzeugten sie ein Hintergrundrauschen, das in etwa dem eines laufenden Geschirrspühlers entsprach. Wie sollte man sich damit in einem Raum wohl fühlen? Wie sollte man damit zur Ruhe kommen?

Genau das waren die Fragen, um die es gerade ging: Wie kann man in einer Welt voller Störungen, Ablenkungen und Verführungen seinen Fokus halten und entspannt im eignen Rhythmus seinen Lebensweg voranschreiten? Wie also könnte uns das Universum ein noch deutlicheres Übungsfeld geben?

Noch etwas mehr verfallene Industrie

Noch etwas mehr verfallene Industrie

Spruch des Tages: Das ist nicht das Lothringen, das wir kennen.

Höhenmeter 15m / 13m / 15m / 11m

Tagesetappe: 14km / 16km / 12km / 14km

Gesamtstrecke: 27.544 ,27km

Wetter: Kälte, gelegentliche Schauer, reichlich Wind

Etappenziel 1: Jugend-Gästezimmer der Katholischen Kirche, Leer (Ostfriesland), Deutschland

Etappenziel 2: Evangelisches Gemeindehaus, Mittegroßefehn, Deutschland

Etappenziel 3: Gästezimmer der katholischen Kirchengemeinde, Blomberg, Deutschland

Etappenziel 4: „Haus am Hafen“, Neuharlingersiel, Deutschland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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