Moderne Schulen – Sicherheit oder Entmündigung
Seit wir selbst die Schulbank gedrückt haben ist nun bereits eine ganze Weile her. Dass sich seitdem offenbar verändert hat, war uns bewusst. Wie arg diese Veränderungen sind, durften wir jedoch heute einmal aus nächster Nähe betrachten. Eine Erfahrung, bei der uns ein wenig die Spucke wegblieb, da wir kaum mehr fassen konnten, was wir sahen. Inwiefern einen die Schule früher aufs „echte Leben“ vorbereitet hat, darüber lässt sich sicher streiten.
Aber die moderne Schule von heute scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, die Kinder in einer Art verantwortungsfreien Seifenblasenwelt großzuziehen um ihnen jede Möglichkeit der Selbstbestimmung und des Wachstums zu nehmen. So jedenfalls empfanden wir es. Ein anderer würde vielleicht sagen, dass man heute einfach deutlich bessere Sicherheitsvorkehrungen trifft, sodass unseren Kindern nichts passieren kann. Aber unsere Frage dabei ist, ist das wirklich sinnvoll? Sollte man ein Kind, das gerade laufen lernt, wirklich daran hindern, hin und wieder hinzufallen? Denn genau das ist es, was wir hier versuchen.
Hochsicherheitstrakt Grundschule
So ist das moderne Schulgebäude in jeder einzelnen Eigenschaft darauf ausgelegt, dass die Kinder auch nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr Acht geben müssen. Ich weiß noch genau, dass mir meine Eltern als kleines Kind immer wieder eingebläut haben, dass ich meine Finger nicht in den Spalt zwischen Tür und Türrahmen stecken darf, wenn mir etwas an ihnen liegt. Ein anschauliches Beispiel, was mit einem Strohhalm passiert, den man in der Tür einquetscht, reicht dabei normalerweise aus, um einem Kind deutlich zu machen, dass es hier die Finger weglassen möchte.
Heute ist dies nicht mehr nötig. Denn jede einzelne Tür unserer Grundschule hatte einen Schutzrahmen, der verhinderte, dass man mit den Fingern in die Tür geraten konnte. Diese Gefahr war also schon einmal gebannt. Tatsächlich hätten wir uns das auch eingehen lassen, wäre es nicht der Anfang einer schier unendlichen Palette an Vorsichtsmaßnahmen gewesen. Schließlich waren wir uns nicht mehr sicher, warum man die Kinder nicht einfach in große Kissenbezüge einnähte und intravenös ernährte, damit sie sich nicht verschlucken konnten.
In einer modernen Schule läuft alles automatisch
So gab es beispielsweise keine einzige Tür mehr, die sich nicht automatisch von selbst wieder verschloss, wenn man sie einmal geöffnet hatte. So etwas wie „Achte bitte darauf, dass du die Tür geschlossen hältst!“ war nun unnötig geworden. Weiter ging es im Bad, in dem es keine echten Spültaster mehr gab, sondern nur noch Bewegungsmelder, die einen automatischen Spülvorgang auslösten um kleine und große Geschäfte sicher zu entfernen. Dass Wasserhähne von selbst wieder ausgehen, ist ja seit langem keine Neuerung mehr. Auch nicht, dass man in Fluren und zum Teil in öffentlichen Toiletten Bewegungsmelder anbringt, sodass das Licht nicht unnötig brennt.
Dass es diese Bewegungsmelder aber auch in den Klassenräumen gibt, war uns dann schon neu! Man hatte zwar noch Lichtschalter und konnte diese auch noch betätigen, doch kam man auch vollkommen ohne aus. Wenn man einen Raum betrat, ohne den Schalter zu drücken, ging das Licht trotzdem an. Bewegte man sich zu lange nicht, ging es aus, ohne dass jemand den Schalter drückte. Ob dies für ein Klassenzimmer wirklich sinnvoll ist, in dem die Schüler ja eigentlich still sitzen und lesen oder schreiben sollen, ist tatsächlich eine Frage. Was würde man nur ohne die ADHSler und ihren Bewegungsdrang machen?
Es gibt nichts, das man nicht automatisieren könnte
Und noch immer waren wir nicht am Ende. Die Heizung stellte sich automatisch ein und aus, ohne dass man hierauf noch Zugriff gehabt hätte. Gleiches galt für die Rollos: Man konnte sie zwar rauf und runter fahren, doch wenn sie das Licht, dass durch die Fenster in einen Raum fiel, für zu hell empfanden, dunkelten sie automatisch ab. Ebenso fuhren sie wieder hoch, sobald es draußen dunkler wurde.
Aber auch das war noch nicht alles! Anstelle von Tafeln, auf die man mit Kreide schrieb und die man mit Schwamm und Wasser wieder reinigte, gab es nun „Digital White Boards“ die über den Computer gesteuert wurden. Antippen reichte aus, um Flächen auszumalen oder die ganze „Tafel“ wieder zu reinigen.
Macht es das wirklich sicherer?
Wie soll man in so einer Umgebung noch irgendetwas lernen? Abgesehen davon, dass es vollkommen egal ist, was man tut, da nichts eine Konsequenz mehr zu haben scheint. Nur wird dies ein böses Erwachen, wenn man eines Tages auf die Straße tritt und merkt, dass die Autos nicht automatisch ausweichen, wenn man unachtsam über die Fahrbahn läuft.
Weisheit des Tages: So viel Sicherheit ist ganz schön verunsichernd. Tagesetappe: 14 km Höhenmeter: 135 m Etappenziel: Grundschule, Sommepy-Tahure, FrankreichGibt es die Italienische Mafia eigentlich noch? Diese Frage spukte uns im Kopf herum, als wir uns vor einigen Wochen immer mehr der kalabrischen Grenze näherten. Denn vor allem der Süden Italiens ist ja für seine Mafia bekannt. Jeder kennt die Geschichten über die machtvollen Familien, die in langen, blutigen Fehden miteinander Krieg um die Vormachtstellung führen, über die Restaurants, Bars und Cafés, die von den Schlägertrupps zerstört werden, wenn ihre Besitzer kein Schutzgeld zahlen, über die korrupte Polizei, die mehr die Interessen der Mafia als die des Volkes vertritt, über den Handel mit Drogen, Menschen und Waffen und über die vielen versteckten Intrigen mit denen die aktuellen Herrscher gestürzt werden, während die Hintermänner und Frauen stets an der Macht bleiben.
Aber was ist dran an all diesen Geschichten? Spielt sich das Leben hier wirklich so ab, oder sind es Mythen und Märchen, die italienische Mütter ihren Kindern erzählen, damit sie schön brav sind? Und vor allem: Was existiert davon heute noch? Gibt es die alten Mafiastrukturen wie aus den Zeiten von Al Capone und dem Parten noch, oder gehört das alles der Vergangenheit an?
Gehört die italienische Mafia der Vergangenheit an?
Zunächst einmal waren wir fast überzeugt davon, dass letzteres der Fall ist. Viele der Geschichten, die man so hörte mochten stimmen, doch es schien alles auf längst vergangenen Tagen zu stammen. Das, was einst die Mafia in Form des Menschenhandels für Prostitution und Sklaverei war, war heute die organisierte Flüchtlingspolitik, die auf diese Weise billige Arbeitskräfte von Afrika und aus dem mittleren Osten ins Land holte, damit sie hier am Existenzminimum schuften konnten.
Brutal, verwerflich, bedenklich und in jedem Fall zu unterbinden: JA!
Aber Mafia? Wohl eher nicht.
Zudem sprach ein weiterer Punkt dagegen: Kalabrien war arm wie ein dritte Welt Land. Nicht weil es das hätte sein müssen, denn es gab hier mehr natürlichen Reichtum, als man sich nur vorstellen konnte. Allein was der Obstanbau und der Tourismus hätten erschaffen können, wenn man es nur gewollt hätte, sprengte jede Grenze. Aber man wollte nicht. Es gab hier die schönsten Küstenabschnitte im ganzen Land, doch anstatt Strandpromenaden, Hotels und Residenzen daran zu bauen, entschied man sich für eine Nationalstraße und eine Zuglinie. Die Waldflächen, die einst das Land begrünten und den Boden fruchtbar machten, hatte man gerodet und damit in reine Wüsten verwandelt, in denen sogar die Feigen verdorrten. Hätten Mafia-Familien, die hier nach Reichtum und Macht strebten so etwas wohl zugelassen? Unsere Meinung: Wohl kaum!
Dem Geld folgen
Ein lokaler Pfarrer schien diese Vermutung zunächst einmal zu bestätigen: „Wer an Kalabrien denkt, denkt sofort an die Mafia!“ meinte er. „Aber das ist Blödsinn! Früher, als wir einmal wohlhabend waren, da gab es hier auch die Mafiafamilien, aber die sind doch längst weiter gezogen. Die sind dort, wo das Geld ist. In Düsseldorf, in Mailand, in Mitteleuropa in den großen, wohlhabenden Städten. Hier will keiner mehr sein! Nicht einmal Flüchtlinge bleiben hier! Sie kommen an und ziehen sofort in den Norden weiter, denn bei uns geht es ihnen ja nicht besser, als in ihrem eigenen Land. Allenfalls die Jugendlichen bleiben zum Arbeiten auf den Feldern oder um Nutzlosigkeiten am Strand zu verkaufen.“
Die Spurensuche beginnt
Auch dies klang im ersten Moment sehr schlüssig. Doch es passte nicht ganz zu unseren Beobachtungen. Auch hier in Kalabrien wimmelte es vor Menschen mit Migrationshintergrund. Wie der Pfarrer es gesagt hatte, handelte es sich bei den meisten davon tatsächlich um jugendliche Sklaven, die auf den Feldern und als fliegende Händler arbeiteten. Aber nicht nur. Es gab sie dennoch, die afrikanischen Familien, die auch hier lebten.
Um mehr herauszufinden begannen wir zu recherchieren und stießen dabei auf einen Bericht, über die leerstehenden Residenzen und Wohnkomplexe an den süditalienischen Stränden. Auch diese hatten wir bereits in so großen Mengen gesehen, dass wir uns stets fragten, wie es dazu kommen konnte. Wie konnten in einer Region, die so prädestiniert für den Tourismus war, so viele Betriebe dicht machen. Teilweise noch ehe sie überhaupt je eröffnet wurden?
Laut der Dokumentation hatte dies mit der Vernichtung der Mafia zu tun. Ein Großteil dieser Ferienresidenzen war demnach von der Mafia erbaut worden, um auf diese Weise das Geld aus den illegalen Geschäften zu waschen. Nachdem der Staat mit neuer Härte gegen die Familien vorgegangen war und die Machtsyndikate größtenteils zerschlagen hatte, waren diese Urlaubsareale geschlossen worden und warteten nun auf ihren Verfall. Auch das klang einleuchtend!
Offene Fragen
Gab es dann also nun wirklich keine Mafia mehr? Hatte der Staat gesiegt und Kalabrien endlich in ein ruhiges, friedliches und kriminalitätsfreies Gebiet verwandelt? Oder hatte er die Geschäfte einfach selbst übernommen?
Es dauerte nur wenige Tage, bis wir diese Frage mit einem klaren „Weder noch!“ beantworten konnten. Und in gewisser Weise wurden wir sogar selbst ein Teil dieser absurden Geschichte.
Die italienische Mafia heute
Seit wir Kalabrien erreicht haben, haben wir einen neuen Unterstützer für unsere Reise gewonnen. Er hieß Valentino und war der Präsident der „Misericordia de Trebisace“, einer Organisation zu Erstrettung in einer Kleinstadt. Der Vorteil war, dass die Micericordia ähnlich wie das Rote Kreuz oder die Malteser Stützpunkte und Kontakte in vielen Städten hatten, dabei aber zugleich ein Teil der katholischen Kirche waren und deshalb auch in Verbindung mit den Pfarrern standen. Daher konnte uns Valentino mit seinen Kontakten eine gute Woche lang unsere Schlafplätze von der Ferne aus im Voraus organisieren.
Nun erreichten wir Crotone, eine größere Stadt, von der wir gleich vermuteten, dass wir es hier schwer haben würden. Warum kann ich nicht einmal sagen. Wir fühlten es einfach. Valentino hingegen meinte: „Macht euch keine Gedanken! Gleich im Nachbarort gibt es eine Station der Misericordia, das bedeutet, dass ich euch alles organisieren kann!“ Doch als es dann soweit war, war jegliche Zuversicht verschwunden. „Leider kann ich euch doch nicht helfen!“ meinte er nur, „Die Cheffetage der Misericordia hat Probleme und so wie es aussieht, können sie im Moment nichts für euch tun.“
Erst am nächsten Tag erfuhren wir, was es mit diesen bewusst schwammig formulierten Problemen auf sich hatte. Zunächst versanken wir selbst etwas im Chaos, verbrachten die Nacht im Zelt auf einer staubigen Wiese inmitten von Wohnkomplexen und brauchten fast einen ganzen Tag, um uns einen weiteren Schlafplatz zu ergattern.
Die Kirche und die Mafia
Doch dadurch erfuhren wir letztlich auch, warum hier alles so komplex war.
Es war nun fast zwei Jahre her, da hatte es hier in der Erte-Hilfe-Station, wie auch in der Kirchengemeinde eine Razzia gegeben. Der Erfolg der Aktion: die gesamte obere Riege inklusive dem Pfarrer und dem Präsidenten der Misericordia wurden verhaftet. Der Grund: Geldwäsche im Auftrag der Mafia!
Tatsächlich hatten Pfarrer und Erste-Hilfe-Präsident einige Jahre zuvor ein neues Retreatzentrum außerhalb des Ortes aufgebaut, das außergewöhnlich gut florierte und sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Was jedoch keiner wusste war, dass dieses Zentrum nur vordergründig eine wohltätige Einrichtung war, während es in erster Linie dazu diente, Mafiagelder zu waschen. Und zwar im ganz großen Stil. Die Verhandlungen für die Drahtzieher und die Helfershelfer laufen noch immer, aber es geht um Gefängnisstrafen zwischen 7 und 21 Jahren. Nichts harmloses also.
Zeugenberichte über die Mafia
Der Pfarrer, mit dem wir nun am Tisch saßen und der uns all dies berichtete, war von der Kirche als Ersatz für den unfreiwilligen Gefängnispriester eingesetzt worden. Ein Job, der es in sich hatte und mit dem der arme Mann ganz schön kämpfen musste. Denn das Volk war mehr als nur geteilter Meinung, was die Mafia-Verstrickungen der Kirche in diesem Ort anbelangte. Viele waren natürlich enttäuscht und fühlten sich betrogen. Immerhin war der Mann, dem sie jahrelang vertraut hatten, der ihnen die Beichte abgenommen, ihnen in der Messe von gut und böse, richtig und falsch gepredigt und ihnen vom Willen Gottes erzählt hatte, nichts weiter als ein Unschuld heuchelnder Mafiosi gewesen.
Andere wiederum waren der Ansicht, dass die Kirche als ganzes ein mafiöses System sei und dass dieser Fall nur eine winzige Spitze vom Eisberg abgetrennt hatte, durch das die Vertrickungen nun sichtbar wurden. Wer also sagte, dass der neue Pfarrer nicht ebenso ein Gangster war, wie der alte? Und wieder andere konnten nicht glauben, dass ihr Don, ausgerechnet ihr Don ein Verbrecher sein sollte. An dieser Stelle sei noch einmal die ironische Gleichheit im offiziellen Titel der Mafiabosse und der italienischen Pfarrer erwähnt, die beide mit der Vorsilbe „Don“ und dann dem Vornamen angesprochen werden. Viele kennen das vielleicht von den Filmen um den italienischen Parrer „Don Camillo“ und von „Don Vito“ aus den „Pate“-Filmen.
Doch zurück zum Thema.
Don Francesco, so hieß der neue Pfarrer, der uns nun gegenüber saß, versuchte all diese Parteien wieder unter einen Hut zu bekommen und so die Wogen zu glätten. Doch es würde noch viele Jahre dauern, bis er hier wirklich einen Erfolg würde verzeichnen können.
Wie verdient die Mafia ihr Geld?
Indes tauchten jedoch ständig neue Probleme auf. Denn auch mit unseren Vermutungen über die neuen Formen von Menschenhandel bezüglich der Immigranten hatten wir nicht völlig falsch gelegen. Tatsächlich waren die alten Mafiafamilien auch hier noch immer involviert, wenngleich niemand so genau sagen konnte, wer der eigentliche Drahtzieher war. Fakt war nur, das mit den Migranten auch die Kriminalität in den Städten zunahm und dass sich die öffentliche Prostitution verbreitete, wie ein Lauffeuer.
Menschenhandel
Auch die Mafia hatte sich schon immer mit dem Menschenhandel in Form der Prostitution beschäftigt und hatte dieses Standbein sehr erfolgreich betrieben. Aber es hatte stets einen geregelten Rahmen gehabt, so dass man die entsprechenden Damen leicht finden konnte, wenn man es wollte, ihnen aber nicht unbedingt über den Weg lief, wenn man nichts mit der Sache zu tun hatte. Heute war das anders. Allein in den letzten zwei Wochen hatten wir, obwohl wir uns in der Regel von den großen Straßen und Städten fernhalten, rund fünf bis acht Prostituierte gesehen, die irgendwo in der Pampa am helllichten Tag in der prallen Sonne herumstanden und auf einen Freier warteten.
Keine von ihnen war Italienerin gewesen und man brauchte kein Menschenkenner zu sein, um zu sehen, dass keine freiwillig dort stand. Noch schlimmer, so berichtete uns der Pfarrer, sei es allerdings Nachts und in den Städten. Teilweise konnte man nicht mehr über die Straße gehen, ohne dabei einer Prostituierten auf die Füße zu treten. Überwiegend waren es Rumäninnen, Bulgarinnen und Albanerinnen, aber in letzter Zeit waren auch viele Damen auf Nigeria, Eritrea und anderen afrikanischen Flüchtlingsstaaten hinzugekommen. Er konnte es nicht mit Gewissheit sagen, aber zumindest in seiner eigenen Gemeinde hatte er dabei vielfach den Eindruck, dass es sich um Minderjährige handelte, die hier auf dem Straßenstrich zum Spottpreis verhökert wurden.
Männliche Prostitution
Das ganze betraf aber nicht nur Frauen. Auch die männliche Prostitution schoss aus dem Boden wie ein Fliegenpilz nach dem Regen. Vor allem junge, gut gebaute Bulgaren und Nicaraguaner boten an allen Ecken und Enden ihre Dienste an. In der Regel waren es Männer, die diese annahmen und in der Regel waren die männlichen Huren nicht Homosexuell.
Als der Pfarrer das erzählte, ergab plötzlich eine Situation Sinn, die uns am Abend zuvor mit Kopfschütteln zurückgelassen hatte. Wir waren weit Nach 22:00 Uhr in Crotone angekommen und ich versuchte verzweifelt und erfolglos noch irgendwo einen Pfarrer zu finden, der wach war und uns aufnehmen wollte. Heiko wartete indessen vor der Kirche. Auf der anderen Seite des Platzes saß ein junger Afrikaner, der sich zunächst einmal das Hemd vom Leib gerissen hatte. Dabei dachte sich Heiko noch nichts besonderes, sondern hielt es für eine verständliche Reaktion auf die noch immer unerträglich Hitze. Dann aber stellte er fest, dass er auch seine Hose im leicht übertiebenen Rapper-Style in den Kniekehlen hängen hatte, während seine Unterhose sein Gehänge gerade so eben nicht bedeckte.
Auch das mochte bei der Hitze angenehm sein, ging dann aber doch ein bisschen weit, dafür dass der Mann mitten in der Stadt auf einer Kirchentreppe saß, während noch immer unzählige Jugendliche, durch die Straßen tobten. Darunter auch viele Mädchen. Dass der Mann dort aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Chillen dort saß, sondern um auf einen Kunden zu warten, machte die Sache natürlich nicht besser. Es wurde jedoch ein Stück weit nachvollziehbarer, da es ja irgendwie darum ging, zu präsentieren, was man zu bieten hatte. Denn wie heißt es so schön: Wer kauft schon gerne die Schlange im Sack?
Drogenhandel
Auch der Drogenhandel und in Folge dessen der Drogenkonsum hatten laut unserem Pfarrer enorm zugenommen. Dies wirkte sich natürlich wiederum auf die Kleinkriminalität und die Gewaltbereitschaft der Menschen aus. Mit anderen Worten: Kalabrien war heute schlechter dran als je zuvor und befand sich noch immer auf einem absteigenden Ast. Das wurde auch davon nicht besser, dass man verlauten ließ, man würde offiziell nun stärker als je zuvor gegen die Mafia vorgehen und hätte sie bereits fast ausgelöscht. Für Touristen und Landesfremde wie uns mochte sie auf den ersten Blick nicht mehr so präsent wirken, doch wenn man sich auskannte, dann spürte man auch heute noch, dass hier nichts passierte, bei dem die Mafia nicht ihre Finger im Spiel hatte.
So interviewten wir in den folgenden Tagen noch verschiedene weitere Pfarrer, wodurch sich ein immer vollständigeres, abstruseres und nicht ganz unbedenkliches Bild abzeichnete.
Don Antonio, der uns aufgrund der mangelnden Hilfsbereitschaft seiner Kollegen gleich zwei Tage beherbergte, erzählte uns einiges über das alltägliche Leben mit der Mafia.
Macht, Gewalt und Intrigen
Vor einigen Wochen beispielsweise war er auf der Bundesstraße von einem blitzenden, blauen Mercedes geschnitten worden, der ihn fast in den Graben gedrängt hatte. Dabei war er sogar noch so dreist gewesen, bei voller Fahrt aus dem offenen Fenster heraus seinen Spiegel mit der flachen Hand wegzuschlagen, so dass dieser sich einklappte.
Hitzköpfig wie unser Pfarrer war, hatte er ihm sofort den Stinkefinger gezeigt und ihm ein lautes „Arschloch!“ hinterher gebrüllt. Jaja, Pfarrer sind eben auch nur Menschen.
Womit er jedoch nicht gerechnet hatte war, dass der Krawallfahrer im diese spontane Wutreaktion so krumm nehmen würde, dass er mit quietschenden Reifen und ohne Rücksicht auf Verluste seinen Wagen wendete und zurück fuhr.
Die Kirche hat Imunität
„Für was halten Sie sich, das sie glauben so mit mir umgehen zu können?“ fragte der Mann vom Steuer seines Mercedes aus. Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn Don Antonio erkannte ihn sofort als einen der Söhne einer lokalen Mafia-Familie. Jeder andere Mensch hätte an dieser stelle wahrscheinlich in akuter Lebensgefahr geschwebt und auch Don Antonio hatte Todesangst. Wenn ihn der Junge aus Wut für die Beleidigung töten würde, würde man später allenfalls so etwas in der Zeitung lesen können wie „Pfarrer starb bei einem tragischen Autounfall mit erhöhter Geschwindigkeit.“
Doch trotz seiner Angst gelang es Don Antonio in diesem Moment, genau das zu tun, was im das Leben rettete: Er beantwortete die Frage des jungen Mafiosi mit der richtigen Antwort.
„Ich bin hier der Pfarrer!“ rief er laut, während es sich selbst nach unten duckte und dabei sein großes, eisernes Kruzifix hoch hielt, das er um den Hals trug.
Sofort schreckte der Junge zurück. „Oh Verzeihung, mein Vater!“ rief er voll von Schuldgefühlen, „Ich wollte sie nicht stören!“
Dann ließ er den Motor aufheulen und verschwand. Ein Pfarrer stand hier unter dem Schutz des Vatikans und war somit erst einmal unantastbar. Warum dies so ist, darüber kann man sich nun auch noch einmal Gedanken machen. Vor allem, wenn man Geschichten wie die über die Misericordia kennt.
Fakt ist aber auch, dass die meisten Mafia-Familien Traditionsfamilien sind, für die der Glaube eine wichtige Rolle spielt. Und da ermordet man keinen Pfarrer aus Spaß. Wenn, dann brauchte man schon einen guten Grund.
"Die Mafia hat ihre Finger überall"
Später am Abend kehrte Don Antonio in sein Dorf in den Bergen zurück, wo er eine Prozession zum Gedenken an San Rocco anleiten sollte. Im Anschluss erzählte er uns, dass quasi alle Hauptinitiatoren des Umzuges Mafiosi waren. Ein Kollege hatte vor einigen Wochen eine ähnliche Situation gehabt und daraufhin seine Prozession vollständig angehalten. Er hatte sogar einen riesigen Aufstand gemacht deswegen und hatte verkündet, dass er in seiner Gemeinde nicht länger die Herrschaft von kriminellen dulden würde.
Als der Pfarrer zwei Tage später nach Hause kam, fand er eine kleine Warnung an seiner Tür vor. Man hatte den Kopf einer Schaufensterpuppe genommen und ihr per Foto das Gesicht des Pfarrers verleihen. Dann hatte man ihr eine künstliche, heraushängende Zunge angebastelt, den Hals mittels roter Farbe blutig gemacht, ihm Teufelshörner aufgesetzt und das Kunstwerk dann mit einem langen Messer direkt an seine Tür geschlagen. Die Botschaft war deutlich: Ein zweites Mal würde sich hier keiner die Mühe machen, eine Puppe für einen derartigen Türschmuck zu verwenden.
Besser nicht zwischen die Fronten geraten
Langsam kam unser Gesprächspartner in Fahrt und packte weitere Geschichten dieser Art aus, die an Blutrünstigkeit immer mehr zunahmen. So kannte er einmal einen jungen Mann, dessen Vater auf irgendeine Weise in die Mafia-Geschäfte verstrickt war. Er selbst hatte nichts damit zu tun, sondern war zum Studieren in den Norden gezogen und hatte dort eine junge Frau kennengelernt, die er heiraten wollte. Das fatale war nur, dass sein Vater es schaffte, sich auf irgendeine Weise in die Schusslinie seiner Arbeitgeber zu manövrieren.
Wie er das tat und was genau das Problem war, konnten wir aufgrund der Sprachbarriere leider nicht ganz verstehen. Vermutlich ging es jedoch um Schulden und darum, dass der Vater in irgendeiner Weise seinen Sohn als eine Art Bürgschaft mit ins Spiel brachte. Das Ende vom Lied war jedenfalls, dass man dem Sohn selbst kein Haar krümmte, seine zukünftige Frau jedoch fein säuberlich zerstückelte und an die Fische verfütterte. In diesem einen Fall kam das ganze irgendwie an die Oberfläche und sowohl der Mord, als auch die Art und Weise, wie man die Leiche entsorgen wollte, wurden publik. Normalerweise verschwanden die Menschen einfach und tauchten nie wieder auf, ohne dass man je eine Leiche oder auch nur einen Überrest von ihnen fand.
„Das ist eine übliche Masche bei der Mafia!“ erzählte uns Don Antonio. Man nennt es „weiße Morde“, da es keine Leichen und kein Blut gibt. Die Menschen verschwinden einfach und tauchen nie wieder auf.
Familienfeden
In der Regel betraf dies jedoch vor allem die Mitglieder der Mafia selbst. Soweit wir es richtig verstanden haben, gibt es hier relativ wenig Kollateralschäden. Die Mafia-Familien scheinen eher ein bisschen wie Hooligans bei einem Fußballspiel zu sein. Ihr vorgehen ist brutal und beängstigend, aber wenn man nicht aus versehen oder absichtlich zwischen die Fronten gerät, passiert einem als Außenstehender nichts. Blutig wird es vor allem dann, wenn es um die Klärung von Machtverhältnissen geht. Das heißt, wenn eine weniger mächtige Familie versucht, einer mächtigeren den Rang abzulaufen. Oder wenn innerhalb der Familie einige Mitglieder versuchen einen höheren Rang einzunehmen, als man ihnen offiziell zugeteilt hat.
In solchen Fällen passiert es leicht, dass man sich als halbwegs einflussreicher Mafiosi an das Steuer seines Wagens setzt und mit der Drehung des „Zünd“-Schlüssels nicht nur den Motor, sondern auch eine Autobombe zündet. Wenn so etwas passiert, kann dies weitreichende Folgen haben, denn das gute, alte Vergeltungsrecht á la „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gilt bis heute.
Mehr als 80 Tote
Einer unserer anderen Gastgeber berichtete uns von einem Fall, bei dem durch einen solchen Vergeltungskrieg mehr als 80 Menschen ums Leben kamen. Es begann damit, dass einer eine Autobombe platzierte, die seinem Erzfeind das Leben kostete. Als Rache folgten ihm die Cousins des Opfers in den nächsten Tagen in einen Tunnel in den Bergen, und eröffneten dort mit einer Maschinenpistole das Feuer auf ihn. So folgte ein Schlag auf den nächsten, bis irgendwann niemand mehr übrig war, der noch Rache üben konnte.
Die wahren Drahtzieher der Mafia
Spannend an der Geschichte ist jedoch vor allem, dass die Männer in diesem Spiel aus Macht und Gewalt stets nur die Spielfiguren sind. Die wahren Drahtzieher hinter der Mafia sind stets die Frauen. Das bestätigten uns gleich mehrere Pfarrer und es passte auch erstaunlich gut zu dem Bild, das wir selbst durch unsere Reise bekamen. Schon öfter hatten wir uns gefragt, wie es sein konnte, dass die Frauen im Schnitt hier zwar außergewöhnlich hübsch, dafür aber auch außergewöhnlich kalt waren. So etwas wie echte Gefühle zwischen Mann und Frau schien es nicht zu geben.
Anders als im Norden Italiens, wo wir erstaunt waren, wie viel Nähe die einzelnen Paare miteinander tauschten, spürte man hier nicht den geringsten emotionalen Bezug zwischen Männern und Frauen. Es schien, als fanden sich die Paare hier vor allem aus praktischen oder gar logischen Gründen zusammen. Der reichste Mann bekam die schönste Frau. Ob er sie nun mochte oder nicht. Gleichzeitig gab es unter den Frauen jedoch eine Art Verschworenheit, die wir uns zunächst ebenfalls nicht erklären konnten. Mütter und Töchter waren hier stets die engsten Vertrauten. Aber nicht auf eine schöne „Oh schau mal, was die Mama für ein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter hat“-Art, sondern viel mehr auf eine Weise, die irgendwie unnatürlich erschien und einem den Magen verkrampfen ließ.
Die Frauen ziehen die Strippen
Wenn man nun bedachte, dass es die Aufgabe der Mütter war, ihre Töchter zu den nächsten Strippenzieherinnen hinter der Mafia-Fassade zu erziehen, dann war das natürlich kein Wunder. Auch wunderte es nicht, dass man keinen echten Bezug zu den Männern aufbaute. Denn zum Wohle der Familie als Ganzes musste eine Frau jederzeit bereit sein, ihren Mann als Bauernopfer vor den fahrenden Zug zu stoßen. Wie die Intrigen im einzelnen funktionierten und was hier alles wie gekungelt wurde, konnten uns auch die Pfarrer nicht sagen.
Aber es war klar, dass Kalabriens kriminelle Elite vollkommen in weiblicher Hand lag. Es waren die Frauen, die den Männern ins Ohr flüsterten, welche Entscheidungen als nächstes zu treffen waren. Es waren die Mütter, die ihre Söhne von klein auf dahin erzogen, einmal das neue, repräsentative Oberhaupt der Familie zu werden. Und es waren die Großmütter, also die familien-ältesten Damen, in deren Händen stets alle Fäden zusammen liefen, um das Spiel zu steuern.
Doch um was für Geschäfte geht es bei der italienischen Mafia?
Auch dies konnten unsere Informanten stets nur zum Teil beantworten. Die ursprüngliche und traditionelle Weise der Mafia, ihr Geld zu bekommen war die Schutzgelderpressung. Wer hier in Kalabrien oder Sizilien ein Geschäft, ein Café, eine Bar oder ein Restaurant eröffnete, konnte sich entscheiden, ob er dieses innerhalb einer Woche in Trümmern vorfinden, oder der amtierenden Mafia-Familie eine Art Steuer abtreten wollte. Das klingt zunächst nach einem brutalen und verurteilungswürdigen System, doch als wir hier noch einmal genauer nachfragten, stellten wir fest, dass man in Kalabrien als Geschäftsbetreiber mit der Steuer für den Staat und dem Schutzgeld für die Mafia noch immer weniger Abgaben hatte, als man in Deutschland an den Staat leisten musste. Und anders als vom deutschen Staat bekam man bei bedarf von der Mafia sogar tatsächlich eine Gegenleistung. Denn wer Schutzgeld zahlte, erkaufte sich damit auch einen gewissen Schutz, den man im Notfall auch einfordern durfte.
Schutzgelderpressung
Mit dem Geld aus diesem Schutzgeld-System wurden einige Familien bald so reich, dass sie in andere Geschäfte investieren konnten. Dadurch entstand der Drogen- und Menschenhandel, der sich wie erwähnt immer weiter ausbreitete. Hinzu kamen die üblichen weiteren illegalen bis halblegalen Geschäftszweige, mit denen man in kurzer Zeit viel Geld machen konnte: Glücksspiel, Casinos, Internationaler Geldtransfer, Waffenhandel, Tourismus und so weiter. Bis zu diesem Punkt waren sich die Pfarrer einig. Dies war schließlich auch der Stand gewesen, auf dem die Misericordia und der Pfarrer von Isola in das Geschäft eingestiegen waren, um die illegalen Gelder der Mafia zu waschen.
Doch dies dürfte bei weitem nur die Spitze des Eisberges sein. Je mehr Macht und Geld eine Mafia-Familie auf diese Weise gewinnen konnte, desto mehr lohne es sich für sie auch, in die wirklich lukrativen Geschäfte einzusteigen, wie beispielsweise den Ölhandel, die Pharmakologie, die Nahrungsmittelproduktion und natürlich die Flüchtlingsindustrie.
So ist letztlich alles wieder miteinander verknüpft.
Ist die Mafia gefährlich?
Auch diese Frage schoss uns natürlich durch den Kopf: Ist es wirklich sinnvoll, durch ein Mafia-Gebiet zu wandern? Ist das nicht viel zu gefährlich? Tatsächlich aber ist Kalabrien abgesehen von schreienden Kindern und rasenden Autofahrern durchaus friedlich. Also nicht im Sinne von „Ruhig und Friedlich“, so dass man sich vier entspannt zurücklehnen und das Leben genießen könnte. Dazu ist es überall viel zu laut und zu hektisch. Aber in dem Sinne, dass man öffentliche Gewalt so gut wie nie beobachten kann. Wie gesagt, wer sich selbst ins Schussfeld bringt, der muss damit rechnen, dass dies negative Konsequenzen hat. Aber als Urlauber oder Tourist bekommt man im Normalfall nicht einmal mit, dass hier überhaupt etwas ungewöhnliches vor sich geht.
Weitere Informationen über die Mafia
Wenn ihr mehr über die italienische Mafia erfahren wollt, können wir euch die folgenden Bücher empfehlen:Spruch des Tages: Die Mafia hat ihre Finger überall 1. Tagesetappe: Distanz: 19 km; Höhenmeter: 260 m; Ziel: Pfarrhaus, Isola di Capo Rizzuto, Italien 2. Tagesetappe: Distanz: 12 km; Höhenmeter: 160 m; Ziel: Pfarrhaus, Le Castella, Isola di Capo Rizzuto, Italien 3. Tagesetappe: Distanz: 19L km; Höhenmeter: 66 m; Ziel: ehemaliges Pfarrhaus, Botricello, Italien 4. Tagesetappe: Distanz: 29 km; Höhenmeter: 140 m; Ziel: Hotel Costa Jonica, Sellia Marina, Italien 5. Tagesetappe: Distanz: 21 km; Höhenmeter: 90 m; Ziel: Pfarrgemeindehaus, Roccelletta, Italien
Seit einigen Tagen wandern wir nun bereits durch die Region Basilikata, bzw. Basilicata, wie sie auf italienisch geschrieben wird. Gerade als Wanderer setzt sie uns noch einmal vor völlig neue Herausforderungen, denn es handelt sich hier um die ärmste Region des Landes. Warum sie dennoch sehenswert ist und was ihr bei eurer Besichtigung beachten solltet, verraten wir euch nun in diesem Artikel.
Daten und Fakten über Basilicata
Zunächst ein paar Eckdaten über die Region, die mit ihren 9.995 km² ungefähr halb so groß ist, wie Schleswig-Holstein. Offiziell leben hier etwa 577.000 Einwohner, von denen gerade einmal 2,6 % Ausländer sein sollen. Warum dies wahrscheinlich nicht stimmt, verraten wir euch etwas weiter unten. Theoretisch hätte Basilicata damit nur etwa 60 Einwohner pro Quadratkilometer, also 20 weniger als Frankreich.
Da sich diese jedoch auf nur wenige besiedelte Fläche und vor allem auf wenige Straßen verteilen, nimmt man sie deutlich bewusster und intensiver war, als an vielen anderen Orten Europas. Potenza ist mit rund 67.000 Einwohnern sowohl die größte Stadt in der Region als auch die Hauptstadt. Hierüber können wir jedoch nur wenig sagen, da die Stadt in den Bergen liegt und wir uns bei unserer Wanderung auf die Ostküste konzentriert haben. Die bei weitem berühmteste und schönste Stadt der Region ist jedoch Matera, die vor allem für ihre historischen Höhlenbauten bekannt geworden ist.
Wandern in Basilicata
Anders als Apulien, das überwiegend aus einer großen Flachebene besteht, beträgt der flache Anteil von Basilikata gerade einmal 8 %. Der Rest des Landes besteht zu etwa der Hälfte aus Hügelland und zur anderen aus Gebirge. Als wir vor drei Jahren das letzte mal hier waren, haben wir und dafür entschieden, durch das Hügelland zu wandern. Dies bedeutete, dass wir jeden Tag rund 200 Höhenmeter hinunter und anschließend wieder hinaufsteigen mussten.
Denn wie für Italien typisch, wurden auch hier fast alle Städte und Dörfer auf die Gipfel oder zumindest die oberen Steilhänge der Berge und Hügel gebaut. Das sieht zwar von weitem durchaus recht urig aus, ist aber gerade für Wanderer nicht besonders praktisch. Jetzt im Sommer herrschen hier Temperaturen von bis zu 43°C im Schatten. Zumindest theoretisch, denn praktisch gibt es fast nirgendwo Schatten. Mehrere Hundert Höhenmeter wären daher nun also tödlich, weshalb wir dieses Mal den Weg am Meer entlang gewählt haben.
Ein Labyrinth aus Straßen und Flüssen
Wie sich herausstellte unterscheidet sich Basilikata aber auch in der Möglichkeit für die Wegführung sehr stark von den Regionen, die wir bisher durchwandert haben. Es ist nämlich schlichtweg unmöglich, einfach am Meer entlang zu wandern, da es hier keine durchgängigen Straßen gibt. Immer wieder ziehen sich Flüsse oder ausgetrocknete Flussbetten vom Landesinneren bis zum Meer und schneiden einem damit den Weg ab. Leider wurden Brücken über diese Flüsse fast ausschließlich für die Autobahn und die Zuglinie gebaut, während Radfahrer und Fußgänger das nachsehen haben. Dies führt dazu, dass man für jede Tagesetappe fast doppelt so weit unterwegs ist, wie die eigentlich Entfernung zwischen zwei Orten beträgt. Obwohl die gesamte Küstenlinie von Basilikata gerade einmal 50km lang ist, verbringen wir daher nun in Basilicata bereits fast genauso viel Zeit wie zuvor im deutlich größeren Apulien.
Auch sonst gibt es vielerorts keine Möglichkeit den Hauptstraßen auszuweichen, so dass man häufig mitten im Verkehr gehen muss. Auch dies führt dazu, dass man sich zumindest als Wanderer nur selten vorstellen kann, dass die Bevölkerungsdichte hier in Basilicata nur etwa ein Viertel von der des übrigen Italien beträgt. Sobald man jedoch nur ein kleines Stück von den Hauptrouten weg kommt, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Nun hat man wirklich das Gefühl, weitgehend alleine in diesem Land zu sein. Und genau das macht auch die Schönheit von Basilicata aus. Der Umstand, dass es hier tatsächlich noch einsame Strände, Wege und Gebirgsrouten gibt, auf denen man noch immer weitgehend seine Ruhe haben kann.
Naturzerstörung bis ins Extremste
Wir schreiben hier bewusst „weitgehend“ denn eine echte, friedliche Stimmung gibt es hier in Basilikata ebenso wenig, wie wir sie sonst in Italien haben finden können. Zumindest nicht im Sommer. Hier haben die Italiener in ihrer jüngeren Geschichte leider ganze Arbeit geleistet und fast ihre gesamte Natur zerstört. Das jedenfalls bekommen wir immer wieder von verschiedenen Einheimischen berichtet. Wir selbst können ja nur eine Momentaufnahme machen, aber vor allem viele der Älteren haben Italien noch ganz anders erlebt. Einst muss es auch hier saftig grün und idyllisch gewesen sein, doch heute ist gerade Basilicata ein trockene, waldarme Region die eher an afrikanische Steppe als an ein europäisches Urlaubsparadies erinnert. Doch dadurch wurde nicht nur der fruchtbare Boden abgetragen, es hat sich auch eine neue Insekten-Population gebildet, die aus Millionen von Zirpen und Grillen besteht.
Die Natur als Lärmbelästigung
Diese Heuschreckenplage, die hier fast ein biblisches Ausmaß angenommen hat wurde mit der Zeit zu einem echten Problem. Nicht, weil sie wie in der Geschichte über die Sünden alles kahl frisst, was ihr begegnet, sondern weil die Insekten mit vereinten Kräften ein Dauerzirpen mit über 60dB erzeugen. Sie sind also lauter als ein normales Gespräch und etwa so laut, wie die Atmosphäre auf einem Marktplatz. Dabei beginnen sie ihr eintöniges Lied im Frühjahr und enden im Herbst. An einigen Orten geben sie Ruhe, sobald es Nacht wird, an anderen zirpen sie 24h durch.
Das fiese dabei ist, dass sie sich vorzugsweise in Bäumen aufhalten, also immer dort, wo es an sich eigentlich schön wäre. In den Olivenhainen, in Parks in kleinen Wäldern in Allen, in Grünstreifen neben der Strandpromenade und in den Gärten von Privathäusern und Hotel. Dies ist eine Sache, auf die man unbedingt achten sollte, wenn man einen Sommerurlaub in Süditalien und damit auch in Basilicata bucht. Denn sonst passiert es leicht, dass man viel Geld für ein wunderschönes Hotel ausgibt, aber den ganzen Urlaub über kein einziges Auge zumachen kann und den ganzen Tag nur an Flucht denkt.
Die ärmste Region Italiens
Dass Basilikata die ärmste Region Italiens ist, hätte man uns zuvor nicht unbedingt sagen müssen. Man braucht nur wenige Impressionen, um es selber zu merken. Wie gesagt, es gibt wunderschöne Ecken mit einsamen Stränden und es gibt auch einige faszinierende und sehenswerte Altstädte. Aber der überwiegende Teil des bewohnten Bereichs besteht aus heruntergekommenen Plattenbauten und Wohnbunkeranlagen, die eher an Brasilien oder Russland als an Italien denken lassen. Farbe scheint den meisten in Bezug auf Häuser ein absolutes Fremdwort zu sein.
Rost und abblätternder Putz hingegen nicht. Selbst viele Hotels wirken heruntergekommen und geben einem kein besonders gutes Gefühl, wenn man hier länger als ein paar Stunden verbringen soll. Dementsprechend gering ist auch der Anteil an ausländischen Touristen. Er beträgt gerade einmal 14 %, während 86 % der rund 533.000 jährlichen Urlaubsbuchungen aus Italien selbst kommen. Überwiegend sind es Bewohner des Innenlandes, die über die Sommerferien an die Küste wollen. Geschätzt kommt man damit dennoch auf knapp 2 Millionen Urlaubsübernachtungen pro Jahr. Das klingt nach einer Menge, ist aber in etwa das, was man in Venedig in einem schlechten Monat unterbringt.
Landwirtschaft mit zweifelhaften Methoden
Damit kommen wir nun zum wahrscheinlich dunkelsten Abschnitt über das kleine, heiße Bundesland. Die wirtschaftliche Situation gilt hier gemeinhin als eher zurückgeblieben, da es nur wenig Industrie, dafür aber umso mehr Landwirtschaft gibt. Ob das nun wirklich persé ein Nachteil ist, darüber kann man sich sicher streiten. Fakt ist jedoch, dass die Art und Weise, mit der unsere Nahrung hier angepflanzt wird nahezu niemandem gut tut. Zum einen verdankt es Basilikata seiner Landwirtschaft, dass so große Teile seiner ursprünglichen Natur heute zerstört und verwüstet sind.
Doch das ist noch nicht alles. Denn die Landwirtschaft besteht hier zum größten Teil aus dem Anbau von Obst und Gemüse. Produkte also, die man nicht einfach mit einem Mähdrescher oder anderen Vollerntemaschinen einholen kann. Es geht nur mit der guten alten Handarbeit. Und die wäre heute natürlich zu teuer um mit hoch industrieller Landwirtschaft mitzuhalten. Es sei denn natürlich, man würde einen Weg finden, um menschliche Arbeitskraft nutzen zu können, ohne dafür viel Geld ausgeben zu müssen.
Moderne Sklavenarbeit auf den Feldern
Moment Mal! Die gibt es ja längst! Sie wird bereits seit der Antike benutzt und das sogar damals schon genau hier an dieser Stelle!
Ganz genau, wir reden von Sklavenarbeit, die sich seit dem Römischen Reich nur wenig verändert, definitiv aber nicht verbessert hat. Vor drei Jahren haben wir sie bereits bei unserer Überfahrt von Griechenland nach Brindisi miterlebt. Damals stammten die Gastarbeiter noch überwiegend aus Rumänien, Albanien, Serbien, Bulgarien und Mazedonien. Heute sind es hingegen vor allem Schwarzafrikaner, die uns fast immer und überall besuchen. Die meisten von ihnen sind illegale Einwanderer oder Flüchtlinge, die sich für ein paar Euro am Tag ihr Essensgeld auf den Feldern verdienen. Sie werden in speziellen Wohnblocks zusammengepfercht und haben dort in der Regel nicht einmal Wasser und Strom.
Leben am Rande der Existenz
Vor ein paar Tagen haben wir selbst eine intensive Erfahrung in einem Ort machen dürfen, der zu einem überwiegenden Anteil aus afrikanischen Sklavenarbeitern bestand. Der Pfarrer wollte uns dort einen Platz anbieten, den die Caritas eigentlich den Arbeitern als Aufenthaltsraum, zum Duschen und zum Laden ihrer Handys zur Verfügung stellte. Wir schlugen das Angebot aus, da wir niemandem etwas wegnehmen wollten, doch wir erfuhren dabei einiges über die Situation der Arbeiter. Wenn die Caritas in einem Ort nicht existierte bzw. keine Angebote zur Verfügung stellte, mussten sie auf Staatliche oder Private Hilfe zurückgreifen. Und beide verlangten für die Nutzung von Duschen und Stromanschlüssen auch noch Geld von den Arbeitern. Eben jenes Geld, das sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in brütender Hitze und an mehr als 12 Stunden am Stück verdient hatten.
Teilweise wurden sie noch mitten in der Nacht hinaus auf die Felder gebracht, um im Dunkeln weiter zu arbeiten. Oder sie mussten ohne Lampen in völliger Dunkelheit an den Hauptstraßen entlang bis in ihre Baracken wandern, wenn sie spät Feierabend hatten. Dass es hier immer wieder zu Konflikten kommt und dass sich weder die Einheimischen noch die Arbeiter sicher fühlen, ist wohl naheliegend.
Die Strände in Basilicata
Aber auch die Strände und der Tourismus sind ein wichtiger Bestandteil von Basilicata und auch die wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Was die Stände anbelangt, lässt sich nun langsam sagen, dass es die Italiener einfach lieben, sich dicht an dicht ans Meer zu legen und ihre Sonnenschirme aufzuspannen. Es ist keine Folge des Massentourismus, sondern eher eine Art Fetisch der Einheimischen. Ebenso wie sie es lieben ihre Häuser so nah wie möglich aneinander zu bauen oder sich in kleine Wohnungen zu pferchen, obwohl ihr Land auch Platz für anständige Wohnsituationen bieten würde. Im Süden Basilicatas gibt es beispielsweise überwiegend Stein- und Kiesstrände, was aber dennoch niemanden abhält, um daraus Sonnenschimwiesen zu machen. Sobald man sich jedoch ein bisschen von den Ortschaften in Meeresnähe entfernt, hat man die Strände weitgehend für sich alleine.
Basilikatas Kulturhauptstadt Matera
Der wohl bemerkenswerteste Ort in Basilicata ist jedoch Matera. Die Stadt liegt im Norden der Region, direkt ander Grenze zu Apulien und war einst eine Höhlensiedlung. Hier haben die ursprünglichen Bewohner ihre Wohnungen nicht gebaut, sondern direkt in die Felsen geschlagen. Später entstand dann eine Stadt um diese Höhlenwohnungen herum, die auch noch einiges an sehenswerter Architektur zu bieten hat. Die Höhlen selber sind heute unbewohnt, beherbergen aber Musen und andere öffentliche Einrichtungen, so dass man sie besuchen und besichtigen kann. Was man definitiv auch tun sollte.
Wissenswertes über Matera:
Basilicatas Sehenswürdigkeiten und Reiseziele
Hier noch einmal die wichtigsten Reiseziele und Sehenswürdigkeiten von Basilicata im Überblick:
1. Sassi di Matera
Dies sind die bereits erwähnten berühmten Höhlenbehausungen von Matera. Sie zählen zu den ältesten Behausungen Europas und wurden den Archäologen zufolge bereits 7000 Jahre vor Christi bewohnt.
2. Castello Tramontano in Matera
Nicht ganz so alt, aber ebenfalls sehenswert ist das Castello von Matera. Auch dieses blickt auf eine einzigartige Geschichte zurück. Wurde es doch von seinem Erbauer, dem Grafen Carlo Tramontano von Matera nicht etwa zum Schutz der Stadt errichtet. Viel mehr ging es darum, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Untertanen leichter und bequemer zu kontrollieren. Dass dies als offizielles und anerkanntes Ziel nicht so gut ankam kann man sich vorstellen. Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass der gute Mann noch während der Bauzeit seiner Überwachungsburg auf offener Straße von seinen eigenen Leuten ermordet wurde. Das Schloss wurde daher nie wirklich vollendet.
3. Potenza
Die Hauptstadt der Basilicata bietet neben einer imposanten Kathedrale und einer recht ansprechenden Altstadt ein schönes Bergpanorama und einiges an kulturellen Schätzen.
4. Pietrapertosa
Hierbei handelt es sich um einen Kleinen Ort inmitten der Berge, der unter einem beeindruckenden Felsen beheimatet ist. Der Ortsname heißt übersetzt „Durchlöcherter Stein“ und beschreibt damit recht gut, was man hier zu sehen bekommt. Neben dem Naturkunstwerk jenes Felsens bietet der Ort zudem eine Auswahl an schönen und sehenswerten Kirchen.
5. Craco
Das antike kleine Städtchen Craco, das auf einem Hügel unweit der Küste thront, ist heute eine Geisterstadt. Dadurch wurde der Zustand wie vor einigen Hundert jahren konserviert und man kann gewissermaßen eine Zeitreise in längst vergessene Tage machen.
6. Metaponto
Dies ist die Kleinstadt, die heute überwiegend von Arbeitersklaven bewohnt wird. Abgesehen davon bietet sie jedoch auch einen sehr schönen Strand. Außerdem gibt es ein Archäologisches Museum in dem noch einige Überbleibsel aus der griechischen Antike zu sehen sind. Unter anderem erzählt die Sage, dass unter anderem der Erfinder des Trojanischen Pferdes hier gelebt und vielleicht sogar auch diese Stadt gegründet haben soll. Zudem wird erzählt, dass einst Pythagoras hier auf seine berühmte Formel für rechtwinklige Dreiecke kam.
Zusammenfassung
Basilicata ist mit Sicherheit nicht die erste Wahl für einen Italienurlaub. Die Region bietet aber dennoch deutlich mehr, als man im ersten Moment vermuten würde. Es ist eine Region der Gegensätze mit viel Armut und vielen Gegenden, die alles andere als Sehenswert sind. Aber es ist auch eine Region voller Geschichte und Kultur. Und es ist eine Region, in der man sehr klar erkennen kann, in welche Richtung sich Europa gerade bewegt. Definitiv ist nicht alles schön hier, aber Basilikata ist dennoch einen Besuch wert.
Die besten Reiseführer über Basilikata
Weitere spannende Informationen über Basilikata
Spruch des Tages: Jede Region hat ihre Sonnen- und ihre Schattenseiten.
- Etappe: 19 km, 180 Höhenmeter, Ziel: Pfarrhaus, Bernalda, Italien
- Etappe: Distanz: 15 km, Höhenunterschied: 150 m, Ziel: Pfarrhaus, Tinchi, Italien