Besichtigung der Meyerwerft

von Heiko Gärtner
01.09.2018 06:02 Uhr

Fortsetzung von Tag 1588 bis 1591:

Im Werftbecken befand sich nun also bereits der hintere Teil der neuen AIDA Nova im Wasser und wurde von kleineren Booten mit Kränen darauf gestrichen, geschliffen und poliert. Wie wir später erfuhren war dies eine gängige Praxis im Großschiffbau. Es wurde kein ganzes Schiff an einem Stück produziert, sondern zunächst eine Reihe von handlichen Schiffshappen, die dann zusammengeschweißt wurden. Dadurch war es möglich, trotz der immensen Größe der Bauprojekte teilweise schon zwei oder drei Schiffe parallel zu konstruieren, die dann in kurzen Zeitabständen vom Stapel gelassen wurden. So war die Frequenz der Schiffsfertigstellung vor 20 Jahren noch bei einem bis eineinhalb Jahren. Heute verlässt etwa alle 6 Monate ein neuer Kreuzfahrtgigant die Werft.

Die Produktionshalle der Meyerwerft.

Die Produktionshalle der Meyerwerft.

Um das zu schaffen arbeiten etwa 3000 Menschen in mehreren Schichten auf dem Werftgelände. Hinzu kommen viele weitere tausend Arbeiter, die für die Zulieferfirmen sowie für die Innenausstatter, Kabinenbau und die Fertigung der Restaurants, Casinos und Shoppingcenter zuständig sind.

Sicherheitsmaßnamen wie im Staatsgefängnis

Leider verstanden die Security-Wachleute am Eingang des Werksgelände keinen Spaß, wenn es darum ging, Fremde auf das Grundstück zu lassen. Nicht einmal in die Nähe einer Tür durfte man gehen und sogar beim Überqueren der Zufahrtsstraße wurde man schon zurückgepfiffen. Auch den Arbeitern gegenüber herrschte ein strenges Regiment. Jeder, der das Gelände verließ oder betrat wurde nicht nur auf seinen Mitarbeiterausweis hin kontrolliert, sondern auch von oben bis unten gefilzt. Jeder Rucksack musste geöffnet und vorgezeigt werden, denn man konnte ja nie wissen, ob nicht doch mal jemand so ein Kreuzfahrtschiff einsteckt und mit nach Hause schmuggelt.

Trotz der Sicherheitsmaßnahmen gelang es uns dann aber schließlich doch noch, ein Fenster in einem Seitentor zu finden, durch das wir einen Blick ins Innere der geheimnisvollen Halle werfen konnten. Mein Lieber Scholli, kann ich euch sagen, das war mal wirklich beeindruckend. Es ins Worten so zu beschreiben, dass man sich die Ausmaße vorstellen kann, finde ich fast unmöglich. Denn „Groß“ trifft es nicht wirklich. Stellt euch am Besten die Arkaden in eurer Stadt vor, stellt zwei davon aufeinander und steckt sie dann in eine Garage, die Groß genug ist, das alles bequem darin Platz hat. Man kann ehrlich sagen, dass die Raumschiffhangar aus Scince-Fiction-Filmen wie Star Wars nicht viel beeindruckender und futuristischer sind, als dieses Gebilde. Am skurrilsten war es jedoch, sich vorzustellen, wie es hier nach der Fertigstellung eines Schiffs aussah. Da arbeitete man mit rund 3000 Kollegen viele Monate daran, ein Monster mit rund 300m Länge, 60m Breite und knapp 100m Höhe zu konstruieren und dann verschwand dieses Monster im Meer und man begann wieder ganz von vorne mit einem Stück Blech, das irgendwo verloren am Boden einer kleinstaatgroßen Halle lag.

Die Entstehung eines neuen Kreuzfahrtschiffs.

Die Entstehung eines neuen Kreuzfahrtschiffs.

Die dunkle Seite der Kreuzfahrt-Macht

So beeindruckend die Werft auf der einen Seite ist, so kritisch muss man sie auf der anderen natürlich auch betrachten. Denn so ein Kreuzfahrtschiff ist leider alles andere als ein harmloses Urlaubsgefährt. Jedes einzelne Schiff dieser Größenordnung lässt bei jeder einzelnen Fahrt viele tausend Liter Schweröl ins Meer ab und sorgt so für eine schier unvorstellbare Umweltverschmutzung, ohne dass der immense Energieverbrauch auch nur im Ansatz mit einberechnet wurde. Bei der Meyer-Werft kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu, der Umweltschützer seit Jahren immer wieder auf den Plan ruft. Papenburg war einst ein recht günstiger Standort zum Bau von kleinen Segelschiffen, die hier im Schutz der Wälder konstruiert werden konnten, bevor man sie dann aufs Meer hinaus trieb. Für den Bau von 300m Giganten hätte man hingegen keinen ungünstigeren Ort finden können, den Papenburg liegt nicht einmal im Ansatz am Meer. Um das fertige Schiff zu seinem Einsatzort zu bringen muss man zunächst die Ems auf einer Länge von rund 30km anstauen und fast ununterbrochen sind große Schwimmbagger damit beschäftigt, den Fluss auszuheben damit er nicht verlandet und zu flach wird. Dies bedeutet natürlich den Tod für sämtliche Bodenlebewesen und stellt für das gesamte Ökosystem in und entlang der Ems eine enorme Belastung dar. Daher gibt es immer wieder Aktionen, die die Meyerwerft dazu bewegen (oder verdonnern) wollen, ihren Standort zu verlegen und die Produktion zumindest an einem strategisch sinnvolleren Standort weiter zu führen. Dem entgegen steht natürlich das Argument, dass die Werft ein Jahrhunderte altes Traditionsunternehmen ist, das man nicht einfach seiner Wurzeln berauben könne. Denn bis heute ist das Unternehmen tatsächlich noch immer ein Familienbetrieb uns wird von den Söhnen und Töchtern der Nachfahren unseres Herrn Jansen geleitet. Eine Aufgabe mit der man auch erst einmal zurecht kommen muss. Vor allem Heiko konnte sich in diese Situation gut einfühlen, da er ja selbst einmal in der Position steckte, das Unternehmen seines Vaters fortführen zu sollen. Bei ihm hatte es sich damals um eine Agentur der Allianz gehandelt und nach dem ersten Schock hatte sein Vater die Entscheidung einen eigenen Weg einzuschlagen durchaus nachvollziehen können. Doch was war, wenn man nun der Erbe eines solchen Milliardenunternehmens war und vielleicht gar keine Schiffe mochte? Wenn man lieber Kunstgeschichte studieren, Yoga-Lehrer werden oder eine Strandbar auf Tahiti eröffnen wollte? Oder noch schlimmer, wenn man ein gewisses Umweltbewusstsein entwickelte und einem Klar wurde, wie viel Leid und Zerstörung man mit der Fortführung des elterlichen Betriebes verursachte. Ob man hier wohl auf offene Ohren stieß wenn man sagte: „Danke Papa, aber diese ganze Schiffsbauerei ist nichts für mich!“ Wohl kaum!

Die Meyerwerft in Papenburg bei Nacht

Die Meyerwerft in Papenburg bei Nacht

Die Friesen-Brücken-Affaire

Der eine oder die andere von euch werden es vielleicht mitbekommen haben, dass es vor rund zwei Jahren hier in der Gegend zu einer recht unsanften Begegnung zwischen einem Schiff und einer Brücke kam. Offiziell wurden die Umstände nie völlig geklärt aber irgendwie kam es dazu, dass ein Schiff auf die sogenannte Friesenbrücke zusteuerte und diese dabei mit voller Wucht rammte. Das Ergebnis war ein Totalschaden, der dazu führte, dass man die Brücke abreißen musste. Bis heute ist der Rechtsstreit um die Schuld an der Sache noch nicht geklärt und daher wurde auch nie eine neue Brücke gebaut.

Aus diesem Grund kamen wir heute gleich noch einmal an der Meyerwerft vorbei, denn leicht oberhalb der Werft befand sich nun die einzige Möglichkeit, die Ems zu überqueren. Nach einer eher ungemütlichen Wanderung entlang des Deiches, bei der wir von Hagelschauern, Gewittern und Schneegestöbern heimgesucht wurden, wartete in Weener bereits ein christliches Jugendhaus auf uns. Die Organisation war hier unkompliziert: Weder der Pfarrer noch der Jugendreferent hatten Zeit, weshalb einfach ein Zettel an die Tür gehängt wurde, auf dem stand: „Bitte offen lassen, es kommen Pilger.“ Die Angst, dass jemand etwas stehlen oder zerstören könnte, schien also gering zu sein. Am Abend fanden wir auch heraus, woran das lag. Weener gehörte zu den Orten, die über eine eigene Privat-Stasi in Form seiner Anwohner verfügte. Wir hatten kaum das Ortsschild passiert, da hatte hier im Stadtzentrum auch schon das Telefon in der Redaktion der Regionalzeitung geklingelt. „Hier sind zwei Jungs unterwegs, die eine Reise mit seltsamen Wagen unternehmen und die einmal um die ganze Welt wandern möchten. Ich denke, die wären ein Interview wert! Schauen Sie doch einmal im Jugendhaus der Kirche vorbei!“ hatte eine anonyme Frauenstimme mitgeteilt.

Wenige Stunden später stand dann wirklich eine junge Reporterin vor unserer Tür und wir führten ein längeres Gespräch, das für uns ebenso interessant war, wie für sie. Denn als Mitarbeiterin der örtlichen Presse hatte sie damals die Protokolle des Funkverkehrs jenes Unglücksschiffes lesen und auswerten dürfen. Offiziell ist natürlich nichts bestätigt oder bewiesen, aber es gibt einen begründeten Verdacht, dass dieses Schiffsunglück nicht ganz so zufällig und unglücklich war, wie allgemein angenommen. Denn bis vor zwei Jahren musste vor jedem Zuwasserlassen eines neuen Schiffes der Meyerwerft diese Friesenbrücke mit einem überdimensionierten Kran aus ihrem Fundament gehoben und zur Seite gestellt werden. Dass dies nicht unerhebliche Kosten verursachte, die vom Gewinn eines produzierten Kreuzfahrtschiffes abgezogen werden mussten, könnt ihr euch sicher denken, und so ist es nur naheliegend, dass diese Brücke schon seit langem ein Dorn im Auge der Werftbetreiber war. Es ist also nicht allzu überraschend, dass der Funk-Verkehr zwischen dem Kapitän des Unglücksschiffes und dem Koordinator der Brücke keine echte Erklärung für den Zusammenstoß lieferte. Es gab weder technische Pannen noch einen Funkausfall oder Hinweise auf menschliches Versagen. Das Gespräch lief in etwas folgendermaßen ab:

Kapitän: „Wir kommen nun auf Sie zu und sind bereit für die Durchfahrt“

Koordinator: „Alles Klar! Habe verstanden! Die Brücke wir bereiten alles vor und öffnen die Brücke, damit Sie passieren können!“

Kapitän: „Danke! Dann ist ja alles gut!“

Kurz darauf: Schiff knutscht Brücke und beides geht kaputt.

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Die Brücke wurde nicht geöffnet, das Schiff war nicht zu schnell, es gab keine technischen Defekte, es passierte nichts ungewöhnliches oder unerwartetes und sowohl der Kapitän als auch der Koordinator hatten jene Prozedur schon hunderte Male problemlos durchlaufen, so dass es für beide vollkommene Routine war. Auffällig war nur, dass niemand verletzt wurde und dass ganz offensichtlich niemand ein Interesse daran hatte, das Unglück im letzten Moment zu verhindern. Das kann natürlich Zufall sein oder auf Schlafmangel, schlechte Laune oder spontane Amnesie zurückgeführt werden, aber Fakt ist, dass man nun seit zwei Jahren die fertigen Schiffe der Meyerwerft mit deutlich weniger Aufwand ganz bequem ins Meer befördern kann. Und aus irgendeinem Grund scheint auch niemand motiviert zu sein, die Brücke zu reparieren, oder durch eine neue zu ersetzen. Ein Schelm, der Böses dabei vermutet!

Spruch des Tages: Manchmal bedeutet den Weg frei machen auch, dass man Brücken einreißt anstatt welche zu bauen.

Höhenmeter 120m / 620m / 90m / 110m

Tagesetappe: 18km / 68km / 14km / 10km

Gesamtstrecke: 29.882,27km

Wetter: Überwiegend sonnig und warm

Etappenziel Tag 1592: Ferienhäuschen, Hotel Heia Gjestegård, Formofossen, Norwegen

Etappenziel Tag 1593: Leerstehendes Privathaus, Skjeldbreia, Norwegen

Etappenziel Tag 1594: Gemeindehaus der Kirche, Sandvika , Norwegen

Etappenziel Tag 1595: Ferienhäuschen des Nationalparks, Holand, Norwegen

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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